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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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richtete sich nicht blos gegen die Autorität des Staates, son-
dern auch gegen die der Kirche. Es liegt ein dichter Schleier
über diesen Kämpfen seines Herzens, den er, wie jeder fein-
fühlige Mensch, nie ganz gelüftet, auch gegen seine besten
Jugendfreunde nicht. Darum differiren auch ihre Mitthei-
lungen über diesen Punkt. "Ich bin überzeugt", schreibt
der Eine, "daß Büchner bereits in der Prima des Gymnasiums
ein radikaler Atheist war. Mit der Kirche war er schon
früh fertig. So sagte er mir einmal, noch in unserer Knaben-
zeit: "Das Christenthum gefällt mir nicht -- es ist mir zu
sanft, es macht lammfromm". Die Aeußerung ist mir in
Erinnerung geblieben, weil ich mich damals so sehr darüber
entsetzte. Es stimmt dazu, wenn wir in des Knaben Re-
ligionshefte neben dem Dictat: "Mit der Ehrfurcht vor Gott
ist die Demuth unzertrennlich verbunden", eine Garnitur --
von Fragezeichen finden. Hingegen schreibt ein anderer
Jugendfreund: "Ich hatte mit Büchner damals viele Unter-
redungen, welche die Religion betrafen, namentlich auf un-
seren Spaziergängen. Davon habe ich jetzt natürlich nur
noch allgemeine Erinnerung. Ihr folgend bin ich fest über-
zeugt, daß er damals zwar ein kühner Skeptiker, aber nicht
Atheist war." So steht Behauptung gegen Behauptung,
übrigens ist auch die Frage, wann Büchner Atheist wurde,
von keinem Belange, daß er es wurde, ist unzweifelhaft.
Die Aufsätze Büchner's aus der Schulzeit lassen nur so viel
erkennen, daß er im Sinne des kirchlichen Christenthums
sicherlich kein Gläubiger mehr war. So meint er einmal,
es sei der größte Unsinn, zu glauben, daß jemals Wunder
geschehen seien, und von jenen obenerwähnten vierhundert
Helden schreibt er: er wolle nicht behaupten, daß sie sich

richtete ſich nicht blos gegen die Autorität des Staates, ſon-
dern auch gegen die der Kirche. Es liegt ein dichter Schleier
über dieſen Kämpfen ſeines Herzens, den er, wie jeder fein-
fühlige Menſch, nie ganz gelüftet, auch gegen ſeine beſten
Jugendfreunde nicht. Darum differiren auch ihre Mitthei-
lungen über dieſen Punkt. "Ich bin überzeugt", ſchreibt
der Eine, "daß Büchner bereits in der Prima des Gymnaſiums
ein radikaler Atheiſt war. Mit der Kirche war er ſchon
früh fertig. So ſagte er mir einmal, noch in unſerer Knaben-
zeit: "Das Chriſtenthum gefällt mir nicht — es iſt mir zu
ſanft, es macht lammfromm". Die Aeußerung iſt mir in
Erinnerung geblieben, weil ich mich damals ſo ſehr darüber
entſetzte. Es ſtimmt dazu, wenn wir in des Knaben Re-
ligionshefte neben dem Dictat: "Mit der Ehrfurcht vor Gott
iſt die Demuth unzertrennlich verbunden", eine Garnitur —
von Fragezeichen finden. Hingegen ſchreibt ein anderer
Jugendfreund: "Ich hatte mit Büchner damals viele Unter-
redungen, welche die Religion betrafen, namentlich auf un-
ſeren Spaziergängen. Davon habe ich jetzt natürlich nur
noch allgemeine Erinnerung. Ihr folgend bin ich feſt über-
zeugt, daß er damals zwar ein kühner Skeptiker, aber nicht
Atheiſt war." So ſteht Behauptung gegen Behauptung,
übrigens iſt auch die Frage, wann Büchner Atheiſt wurde,
von keinem Belange, daß er es wurde, iſt unzweifelhaft.
Die Aufſätze Büchner's aus der Schulzeit laſſen nur ſo viel
erkennen, daß er im Sinne des kirchlichen Chriſtenthums
ſicherlich kein Gläubiger mehr war. So meint er einmal,
es ſei der größte Unſinn, zu glauben, daß jemals Wunder
geſchehen ſeien, und von jenen obenerwähnten vierhundert
Helden ſchreibt er: er wolle nicht behaupten, daß ſie ſich

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[XXXI/0047] richtete ſich nicht blos gegen die Autorität des Staates, ſon- dern auch gegen die der Kirche. Es liegt ein dichter Schleier über dieſen Kämpfen ſeines Herzens, den er, wie jeder fein- fühlige Menſch, nie ganz gelüftet, auch gegen ſeine beſten Jugendfreunde nicht. Darum differiren auch ihre Mitthei- lungen über dieſen Punkt. "Ich bin überzeugt", ſchreibt der Eine, "daß Büchner bereits in der Prima des Gymnaſiums ein radikaler Atheiſt war. Mit der Kirche war er ſchon früh fertig. So ſagte er mir einmal, noch in unſerer Knaben- zeit: "Das Chriſtenthum gefällt mir nicht — es iſt mir zu ſanft, es macht lammfromm". Die Aeußerung iſt mir in Erinnerung geblieben, weil ich mich damals ſo ſehr darüber entſetzte. Es ſtimmt dazu, wenn wir in des Knaben Re- ligionshefte neben dem Dictat: "Mit der Ehrfurcht vor Gott iſt die Demuth unzertrennlich verbunden", eine Garnitur — von Fragezeichen finden. Hingegen ſchreibt ein anderer Jugendfreund: "Ich hatte mit Büchner damals viele Unter- redungen, welche die Religion betrafen, namentlich auf un- ſeren Spaziergängen. Davon habe ich jetzt natürlich nur noch allgemeine Erinnerung. Ihr folgend bin ich feſt über- zeugt, daß er damals zwar ein kühner Skeptiker, aber nicht Atheiſt war." So ſteht Behauptung gegen Behauptung, übrigens iſt auch die Frage, wann Büchner Atheiſt wurde, von keinem Belange, daß er es wurde, iſt unzweifelhaft. Die Aufſätze Büchner's aus der Schulzeit laſſen nur ſo viel erkennen, daß er im Sinne des kirchlichen Chriſtenthums ſicherlich kein Gläubiger mehr war. So meint er einmal, es ſei der größte Unſinn, zu glauben, daß jemals Wunder geſchehen ſeien, und von jenen obenerwähnten vierhundert Helden ſchreibt er: er wolle nicht behaupten, daß ſie ſich

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XXXI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/47>, abgerufen am 25.04.2024.