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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Flocken leicht vom Schwanze stäubte. Alles so still, und
die Bäume weithin mit schwankenden weißen Federn in der
tiefblauen Luft. Es wurde ihm heimlich nach und nach,
die einförmigen, gewaltigen Flächen und Linien, vor denen
es ihm manchmal war, als ob sie ihn mit gewaltigen Tönen
anredeten, waren verhüllt, ein heimliches Weihnachtsgefühl
beschlich ihn, er meinte manchmal, seine Mutter müsse hinter
einem Baume hervortreten, groß, und ihm sagen, sie hätte
ihm dieses Alles bescheert; wie er hinunterging, sah er, daß
um seinen Schatten sich ein Regenbogen von Strahlen legte,
es wurde ihm, als hätte ihn was an der Stirn berührt,
das Wesen sprach ihn an. Er kam hinunter. Oberlin war
im Zimmer, Lenz kam heiter auf ihn zu, und sagte ihm,
er möge wohl einmal predigen. "Sind Sie Theologe?" --
Ja! -- "Gut, nächsten Sonntag". --

Lenz ging vergnügt auf sein Zimmer, er dachte auf
einen Text zum Predigen und verfiel in Sinnen, und seine
Nächte wurden ruhig. Der Sonntagmorgen kam, es war
Thauwetter eingefallen. Vorüberstreifende Wolken, Blau
dazwischen, die Kirche lag neben am Berge hinauf, auf
einem Vorsprunge, der Kirchhof drum herum. Lenz stand
oben, als die Glocke läutete und die Kirchengänger, die
Weiber und Mädchen in ihrer ernsten schwarzen Tracht, das
weiße gefaltete Schnupftuch auf dem Gesangbuch und den
Rosmarinzweig, von den verschiedenen Seiten die schmalen
Pfade zwischen den Felsen herauf- und herabkamen. Ein
Sonnenblick lag manchmal über dem Thal, die laue Luft
regte sich langsam, die Landschaft schwamm im Duft, fernes
Geläute, es war, als löste sich Alles in eine harmonische
Welle auf.


Flocken leicht vom Schwanze ſtäubte. Alles ſo ſtill, und
die Bäume weithin mit ſchwankenden weißen Federn in der
tiefblauen Luft. Es wurde ihm heimlich nach und nach,
die einförmigen, gewaltigen Flächen und Linien, vor denen
es ihm manchmal war, als ob ſie ihn mit gewaltigen Tönen
anredeten, waren verhüllt, ein heimliches Weihnachtsgefühl
beſchlich ihn, er meinte manchmal, ſeine Mutter müſſe hinter
einem Baume hervortreten, groß, und ihm ſagen, ſie hätte
ihm dieſes Alles beſcheert; wie er hinunterging, ſah er, daß
um ſeinen Schatten ſich ein Regenbogen von Strahlen legte,
es wurde ihm, als hätte ihn was an der Stirn berührt,
das Weſen ſprach ihn an. Er kam hinunter. Oberlin war
im Zimmer, Lenz kam heiter auf ihn zu, und ſagte ihm,
er möge wohl einmal predigen. "Sind Sie Theologe?" —
Ja! — "Gut, nächſten Sonntag". —

Lenz ging vergnügt auf ſein Zimmer, er dachte auf
einen Text zum Predigen und verfiel in Sinnen, und ſeine
Nächte wurden ruhig. Der Sonntagmorgen kam, es war
Thauwetter eingefallen. Vorüberſtreifende Wolken, Blau
dazwiſchen, die Kirche lag neben am Berge hinauf, auf
einem Vorſprunge, der Kirchhof drum herum. Lenz ſtand
oben, als die Glocke läutete und die Kirchengänger, die
Weiber und Mädchen in ihrer ernſten ſchwarzen Tracht, das
weiße gefaltete Schnupftuch auf dem Geſangbuch und den
Rosmarinzweig, von den verſchiedenen Seiten die ſchmalen
Pfade zwiſchen den Felſen herauf- und herabkamen. Ein
Sonnenblick lag manchmal über dem Thal, die laue Luft
regte ſich langſam, die Landſchaft ſchwamm im Duft, fernes
Geläute, es war, als löſte ſich Alles in eine harmoniſche
Welle auf.


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[214/0410] Flocken leicht vom Schwanze ſtäubte. Alles ſo ſtill, und die Bäume weithin mit ſchwankenden weißen Federn in der tiefblauen Luft. Es wurde ihm heimlich nach und nach, die einförmigen, gewaltigen Flächen und Linien, vor denen es ihm manchmal war, als ob ſie ihn mit gewaltigen Tönen anredeten, waren verhüllt, ein heimliches Weihnachtsgefühl beſchlich ihn, er meinte manchmal, ſeine Mutter müſſe hinter einem Baume hervortreten, groß, und ihm ſagen, ſie hätte ihm dieſes Alles beſcheert; wie er hinunterging, ſah er, daß um ſeinen Schatten ſich ein Regenbogen von Strahlen legte, es wurde ihm, als hätte ihn was an der Stirn berührt, das Weſen ſprach ihn an. Er kam hinunter. Oberlin war im Zimmer, Lenz kam heiter auf ihn zu, und ſagte ihm, er möge wohl einmal predigen. "Sind Sie Theologe?" — Ja! — "Gut, nächſten Sonntag". — Lenz ging vergnügt auf ſein Zimmer, er dachte auf einen Text zum Predigen und verfiel in Sinnen, und ſeine Nächte wurden ruhig. Der Sonntagmorgen kam, es war Thauwetter eingefallen. Vorüberſtreifende Wolken, Blau dazwiſchen, die Kirche lag neben am Berge hinauf, auf einem Vorſprunge, der Kirchhof drum herum. Lenz ſtand oben, als die Glocke läutete und die Kirchengänger, die Weiber und Mädchen in ihrer ernſten ſchwarzen Tracht, das weiße gefaltete Schnupftuch auf dem Geſangbuch und den Rosmarinzweig, von den verſchiedenen Seiten die ſchmalen Pfade zwiſchen den Felſen herauf- und herabkamen. Ein Sonnenblick lag manchmal über dem Thal, die laue Luft regte ſich langſam, die Landſchaft ſchwamm im Duft, fernes Geläute, es war, als löſte ſich Alles in eine harmoniſche Welle auf.

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/410>, abgerufen am 17.05.2024.