Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

ruhiger geworden; das Gewölk lag fest und unbeweglich am
Himmel; so weit der Blick reichte, nichts als Gipfel, von
denen sich breite Flächen hinabzogen, und Alles so still,
grau, dämmernd; es wurde ihm entsetzlich einsam, er war
allein, ganz allein, er wollte mit sich sprechen, aber er konnte
nicht, er wagte kaum zu athmen, das Biegen seines Fußes
tönte wie Donner unter ihm, er mußte sich niedersetzen; es
faßte ihn eine namenlose Angst in diesem Nichts, er war
im Leeren, er riß sich auf und flog den Abhang hinunter.
Es war finster geworden, Himmel und Erde verschmolzen
in Eins. Es war als ginge ihm was nach, und als müsse
ihn was Entsetzliches erreichen, etwas das Menschen nicht
ertragen können, als jage der Wahnsinn auf Rossen hinter
ihm. Endlich hörte er Stimmen, er sah Lichter, es wurde
ihm leichter, man sagte ihm, er hätte noch eine halbe Stunde
nach Waldbach. Er ging durch das Dorf, die Lichter
schienen durch die Fenster, er sah hinein im Vorbeigehen,
Kinder am Tische, alte Weiber, Mädchen, Alles ruhige,
stille Gesichter, es war ihm, als müsse das Licht von ihnen
ausstrahlen, es ward ihm leicht, er war bald in Waldbach
im Pfarrhause. Man saß am Tisch, er hinein; die blonden
Locken hingen ihm um das bleiche Gesicht, es zuckte ihm in
den Augen und um den Mund, seine Kleider waren zerrissen.
Oberlin hieß ihn willkommen, er hielt ihn für einen
Handwerker. "Sein Sie mir willkommen, obschon Sie mir
unbekannt". -- Ich bin ein Freund von .... und bringe
Ihnen Grüße von ihm. -- "Der Name, wenn's beliebt" ...
-- Lenz. -- "Ha, ha, ha, ist er nicht gedruckt? Habe
ich nicht einige Dramen gelesen, die einem Herrn dieses
Namens zugeschrieben werden?" -- Ja, aber belieben Sie,

G. Büchner's Werke. 14

ruhiger geworden; das Gewölk lag feſt und unbeweglich am
Himmel; ſo weit der Blick reichte, nichts als Gipfel, von
denen ſich breite Flächen hinabzogen, und Alles ſo ſtill,
grau, dämmernd; es wurde ihm entſetzlich einſam, er war
allein, ganz allein, er wollte mit ſich ſprechen, aber er konnte
nicht, er wagte kaum zu athmen, das Biegen ſeines Fußes
tönte wie Donner unter ihm, er mußte ſich niederſetzen; es
faßte ihn eine namenloſe Angſt in dieſem Nichts, er war
im Leeren, er riß ſich auf und flog den Abhang hinunter.
Es war finſter geworden, Himmel und Erde verſchmolzen
in Eins. Es war als ginge ihm was nach, und als müſſe
ihn was Entſetzliches erreichen, etwas das Menſchen nicht
ertragen können, als jage der Wahnſinn auf Roſſen hinter
ihm. Endlich hörte er Stimmen, er ſah Lichter, es wurde
ihm leichter, man ſagte ihm, er hätte noch eine halbe Stunde
nach Waldbach. Er ging durch das Dorf, die Lichter
ſchienen durch die Fenſter, er ſah hinein im Vorbeigehen,
Kinder am Tiſche, alte Weiber, Mädchen, Alles ruhige,
ſtille Geſichter, es war ihm, als müſſe das Licht von ihnen
ausſtrahlen, es ward ihm leicht, er war bald in Waldbach
im Pfarrhauſe. Man ſaß am Tiſch, er hinein; die blonden
Locken hingen ihm um das bleiche Geſicht, es zuckte ihm in
den Augen und um den Mund, ſeine Kleider waren zerriſſen.
Oberlin hieß ihn willkommen, er hielt ihn für einen
Handwerker. "Sein Sie mir willkommen, obſchon Sie mir
unbekannt". — Ich bin ein Freund von .... und bringe
Ihnen Grüße von ihm. — "Der Name, wenn's beliebt" ...
Lenz. — "Ha, ha, ha, iſt er nicht gedruckt? Habe
ich nicht einige Dramen geleſen, die einem Herrn dieſes
Namens zugeſchrieben werden?" — Ja, aber belieben Sie,

G. Büchner's Werke. 14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0405" n="209"/>
ruhiger geworden; das Gewölk lag fe&#x017F;t und unbeweglich am<lb/>
Himmel; &#x017F;o weit der Blick reichte, nichts als Gipfel, von<lb/>
denen &#x017F;ich breite Flächen hinabzogen, und Alles &#x017F;o &#x017F;till,<lb/>
grau, dämmernd; es wurde ihm ent&#x017F;etzlich ein&#x017F;am, er war<lb/>
allein, ganz allein, er wollte mit &#x017F;ich &#x017F;prechen, aber er konnte<lb/>
nicht, er wagte kaum zu athmen, das Biegen &#x017F;eines Fußes<lb/>
tönte wie Donner unter ihm, er mußte &#x017F;ich nieder&#x017F;etzen; es<lb/>
faßte ihn eine namenlo&#x017F;e Ang&#x017F;t in die&#x017F;em Nichts, er war<lb/>
im Leeren, er riß &#x017F;ich auf und flog den Abhang hinunter.<lb/>
Es war fin&#x017F;ter geworden, Himmel und Erde ver&#x017F;chmolzen<lb/>
in Eins. Es war als ginge ihm was nach, und als mü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
ihn was Ent&#x017F;etzliches erreichen, etwas das Men&#x017F;chen nicht<lb/>
ertragen können, als jage der Wahn&#x017F;inn auf Ro&#x017F;&#x017F;en hinter<lb/>
ihm. Endlich hörte er Stimmen, er &#x017F;ah Lichter, es wurde<lb/>
ihm leichter, man &#x017F;agte ihm, er hätte noch eine halbe Stunde<lb/>
nach <hi rendition="#g">Waldbach</hi>. Er ging durch das Dorf, die Lichter<lb/>
&#x017F;chienen durch die Fen&#x017F;ter, er &#x017F;ah hinein im Vorbeigehen,<lb/>
Kinder am Ti&#x017F;che, alte Weiber, Mädchen, Alles ruhige,<lb/>
&#x017F;tille Ge&#x017F;ichter, es war ihm, als mü&#x017F;&#x017F;e das Licht von ihnen<lb/>
aus&#x017F;trahlen, es ward ihm leicht, er war bald in Waldbach<lb/>
im Pfarrhau&#x017F;e. Man &#x017F;aß am Ti&#x017F;ch, er hinein; die blonden<lb/>
Locken hingen ihm um das bleiche Ge&#x017F;icht, es zuckte ihm in<lb/>
den Augen und um den Mund, &#x017F;eine Kleider waren zerri&#x017F;&#x017F;en.<lb/><hi rendition="#g">Oberlin</hi> hieß ihn willkommen, er hielt ihn für einen<lb/>
Handwerker. "Sein Sie mir willkommen, ob&#x017F;chon Sie mir<lb/>
unbekannt". &#x2014; Ich bin ein Freund von .... und bringe<lb/>
Ihnen Grüße von ihm. &#x2014; "Der Name, wenn's beliebt" ...<lb/>
&#x2014; <hi rendition="#g">Lenz</hi>. &#x2014; "Ha, ha, ha, i&#x017F;t er nicht gedruckt? Habe<lb/>
ich nicht einige Dramen gele&#x017F;en, die einem Herrn die&#x017F;es<lb/>
Namens zuge&#x017F;chrieben werden?" &#x2014; Ja, aber belieben Sie,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G. Büchner's Werke. 14</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0405] ruhiger geworden; das Gewölk lag feſt und unbeweglich am Himmel; ſo weit der Blick reichte, nichts als Gipfel, von denen ſich breite Flächen hinabzogen, und Alles ſo ſtill, grau, dämmernd; es wurde ihm entſetzlich einſam, er war allein, ganz allein, er wollte mit ſich ſprechen, aber er konnte nicht, er wagte kaum zu athmen, das Biegen ſeines Fußes tönte wie Donner unter ihm, er mußte ſich niederſetzen; es faßte ihn eine namenloſe Angſt in dieſem Nichts, er war im Leeren, er riß ſich auf und flog den Abhang hinunter. Es war finſter geworden, Himmel und Erde verſchmolzen in Eins. Es war als ginge ihm was nach, und als müſſe ihn was Entſetzliches erreichen, etwas das Menſchen nicht ertragen können, als jage der Wahnſinn auf Roſſen hinter ihm. Endlich hörte er Stimmen, er ſah Lichter, es wurde ihm leichter, man ſagte ihm, er hätte noch eine halbe Stunde nach Waldbach. Er ging durch das Dorf, die Lichter ſchienen durch die Fenſter, er ſah hinein im Vorbeigehen, Kinder am Tiſche, alte Weiber, Mädchen, Alles ruhige, ſtille Geſichter, es war ihm, als müſſe das Licht von ihnen ausſtrahlen, es ward ihm leicht, er war bald in Waldbach im Pfarrhauſe. Man ſaß am Tiſch, er hinein; die blonden Locken hingen ihm um das bleiche Geſicht, es zuckte ihm in den Augen und um den Mund, ſeine Kleider waren zerriſſen. Oberlin hieß ihn willkommen, er hielt ihn für einen Handwerker. "Sein Sie mir willkommen, obſchon Sie mir unbekannt". — Ich bin ein Freund von .... und bringe Ihnen Grüße von ihm. — "Der Name, wenn's beliebt" ... — Lenz. — "Ha, ha, ha, iſt er nicht gedruckt? Habe ich nicht einige Dramen geleſen, die einem Herrn dieſes Namens zugeſchrieben werden?" — Ja, aber belieben Sie, G. Büchner's Werke. 14

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/405
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/405>, abgerufen am 22.11.2024.