Den 20. ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Thäler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen. Es war naß- kalt, das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Aeste der Tannen hingen schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber Alles so dicht, und dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so träg, so plump. Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf- bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopfe gehen konnte. Anfangs drängte es ihm in der Brust, wenn das Gestein so wegsprang, der graue Wald sich unter ihm schüttelte, und der Nebel die Formen bald verschlang, bald die gewaltigen Glieder halb enthüllte; es drängte in ihm, er suchte nach etwas, wie nach verlornen Träumen, aber er fand nichts. Es war ihm Alles so klein, so nahe, so naß, er hätte die Erde hinter den Ofen setzen mögen, er begriff nicht, daß er so viel Zeit brauchte, um einen Abhang hinunter zu klimmen, einen fernen Punkt zu erreichen; er meinte, er müsse Alles mit ein paar Schritten ausmessen können. Nur manchmal, wenn der Sturm das Gewölk in die Thäler warf, und es den Wald herauf
Den 20. ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Thäler hinunter graues Geſtein, grüne Flächen, Felſen und Tannen. Es war naß- kalt, das Waſſer rieſelte die Felſen hinunter und ſprang über den Weg. Die Aeſte der Tannen hingen ſchwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber Alles ſo dicht, und dann dampfte der Nebel herauf und ſtrich ſchwer und feucht durch das Geſträuch, ſo träg, ſo plump. Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf- bald abwärts. Müdigkeit ſpürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopfe gehen konnte. Anfangs drängte es ihm in der Bruſt, wenn das Geſtein ſo wegſprang, der graue Wald ſich unter ihm ſchüttelte, und der Nebel die Formen bald verſchlang, bald die gewaltigen Glieder halb enthüllte; es drängte in ihm, er ſuchte nach etwas, wie nach verlornen Träumen, aber er fand nichts. Es war ihm Alles ſo klein, ſo nahe, ſo naß, er hätte die Erde hinter den Ofen ſetzen mögen, er begriff nicht, daß er ſo viel Zeit brauchte, um einen Abhang hinunter zu klimmen, einen fernen Punkt zu erreichen; er meinte, er müſſe Alles mit ein paar Schritten ausmeſſen können. Nur manchmal, wenn der Sturm das Gewölk in die Thäler warf, und es den Wald herauf
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[[207]/0403]
Den 20. ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und
hohen Bergflächen im Schnee, die Thäler hinunter graues
Geſtein, grüne Flächen, Felſen und Tannen. Es war naß-
kalt, das Waſſer rieſelte die Felſen hinunter und ſprang
über den Weg. Die Aeſte der Tannen hingen ſchwer herab
in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber
Alles ſo dicht, und dann dampfte der Nebel herauf und
ſtrich ſchwer und feucht durch das Geſträuch, ſo träg, ſo
plump. Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am
Weg, bald auf- bald abwärts. Müdigkeit ſpürte er keine,
nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf
dem Kopfe gehen konnte. Anfangs drängte es ihm in der
Bruſt, wenn das Geſtein ſo wegſprang, der graue Wald
ſich unter ihm ſchüttelte, und der Nebel die Formen bald
verſchlang, bald die gewaltigen Glieder halb enthüllte; es
drängte in ihm, er ſuchte nach etwas, wie nach verlornen
Träumen, aber er fand nichts. Es war ihm Alles ſo klein,
ſo nahe, ſo naß, er hätte die Erde hinter den Ofen ſetzen
mögen, er begriff nicht, daß er ſo viel Zeit brauchte, um
einen Abhang hinunter zu klimmen, einen fernen Punkt zu
erreichen; er meinte, er müſſe Alles mit ein paar Schritten
ausmeſſen können. Nur manchmal, wenn der Sturm das
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. [207]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/403>, abgerufen am 22.11.2024.
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