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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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nachgeschrieben, dann erst endlich auswendig gelernt. Welche
horrible und ganz überflüssige Zeitverschwendung, da es
doch auch damals recht gute Lehrbücher dieser Disciplinen
gab! Auch die klassischen Sprachen wurden mit der Feder
in der Hand erlernt. Alle Regeln der Grammatik, alle
Aufgaben zur Uebersetzung wurden dictirt, auch genügte es
nicht, die Klassiker mündlich übersetzen zu können, sondern
die Version mußte schriftlich beigebracht werden, so daß jeder
Schüler in jedem Semester mehrere Bände schrieb! Faßt
man dies zusammen, so wird auch ein maßvolles Urtheil
dahin lauten müssen, daß dieser Unterricht seinem Inhalte
nach keine allgemeine Bildung, seiner Methode nach keinen
besonderen Lerneifer hervorrufen konnte.

Georg Büchner war, nach dem übereinstimmenden
Zeugniß seiner Mitschüler und Geschwister, ein guter Schüler,
der Location nach einer der Ersten -- auch die Censuren in
seinen Schulheften beweisen dies. Aber übereinstimmend
wird auch berichtet, daß er den Anforderungen der Lehrer
nur deßhalb vollauf genügt, weil ihn der Ehrgeiz und die
Rücksicht für die Eltern getrieben. Durch seine hervorragende
Begabung, sein glückliches Gedächtniß sei ihm übrigens die
Mühe nicht allzu schwer geworden. Spontanes Interesse je-
doch habe er nur an einigen wenigen Gegenständen genommen,
just an den vernachlässigten, den Realien; wogegen die Me-
thode, mit der die klassischen Sprachen tradirt wurden, ihm
bis in die Jahre beginnender Reife eine heftige Abneigung
gegen dieselben beigebracht. Das läßt sich auch ohne jeden
weiteren Gewährsmann aus seinen Schulheften abstrahiren;
jene über die exakten Wissenschaften sind mit größter Sorgfalt
ausgearbeitet, während die lateinischen und griechischen Prä-

nachgeſchrieben, dann erſt endlich auswendig gelernt. Welche
horrible und ganz überflüſſige Zeitverſchwendung, da es
doch auch damals recht gute Lehrbücher dieſer Disciplinen
gab! Auch die klaſſiſchen Sprachen wurden mit der Feder
in der Hand erlernt. Alle Regeln der Grammatik, alle
Aufgaben zur Ueberſetzung wurden dictirt, auch genügte es
nicht, die Klaſſiker mündlich überſetzen zu können, ſondern
die Verſion mußte ſchriftlich beigebracht werden, ſo daß jeder
Schüler in jedem Semeſter mehrere Bände ſchrieb! Faßt
man dies zuſammen, ſo wird auch ein maßvolles Urtheil
dahin lauten müſſen, daß dieſer Unterricht ſeinem Inhalte
nach keine allgemeine Bildung, ſeiner Methode nach keinen
beſonderen Lerneifer hervorrufen konnte.

Georg Büchner war, nach dem übereinſtimmenden
Zeugniß ſeiner Mitſchüler und Geſchwiſter, ein guter Schüler,
der Location nach einer der Erſten — auch die Cenſuren in
ſeinen Schulheften beweiſen dies. Aber übereinſtimmend
wird auch berichtet, daß er den Anforderungen der Lehrer
nur deßhalb vollauf genügt, weil ihn der Ehrgeiz und die
Rückſicht für die Eltern getrieben. Durch ſeine hervorragende
Begabung, ſein glückliches Gedächtniß ſei ihm übrigens die
Mühe nicht allzu ſchwer geworden. Spontanes Intereſſe je-
doch habe er nur an einigen wenigen Gegenſtänden genommen,
juſt an den vernachläſſigten, den Realien; wogegen die Me-
thode, mit der die klaſſiſchen Sprachen tradirt wurden, ihm
bis in die Jahre beginnender Reife eine heftige Abneigung
gegen dieſelben beigebracht. Das läßt ſich auch ohne jeden
weiteren Gewährsmann aus ſeinen Schulheften abſtrahiren;
jene über die exakten Wiſſenſchaften ſind mit größter Sorgfalt
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[XX/0036] nachgeſchrieben, dann erſt endlich auswendig gelernt. Welche horrible und ganz überflüſſige Zeitverſchwendung, da es doch auch damals recht gute Lehrbücher dieſer Disciplinen gab! Auch die klaſſiſchen Sprachen wurden mit der Feder in der Hand erlernt. Alle Regeln der Grammatik, alle Aufgaben zur Ueberſetzung wurden dictirt, auch genügte es nicht, die Klaſſiker mündlich überſetzen zu können, ſondern die Verſion mußte ſchriftlich beigebracht werden, ſo daß jeder Schüler in jedem Semeſter mehrere Bände ſchrieb! Faßt man dies zuſammen, ſo wird auch ein maßvolles Urtheil dahin lauten müſſen, daß dieſer Unterricht ſeinem Inhalte nach keine allgemeine Bildung, ſeiner Methode nach keinen beſonderen Lerneifer hervorrufen konnte. Georg Büchner war, nach dem übereinſtimmenden Zeugniß ſeiner Mitſchüler und Geſchwiſter, ein guter Schüler, der Location nach einer der Erſten — auch die Cenſuren in ſeinen Schulheften beweiſen dies. Aber übereinſtimmend wird auch berichtet, daß er den Anforderungen der Lehrer nur deßhalb vollauf genügt, weil ihn der Ehrgeiz und die Rückſicht für die Eltern getrieben. Durch ſeine hervorragende Begabung, ſein glückliches Gedächtniß ſei ihm übrigens die Mühe nicht allzu ſchwer geworden. Spontanes Intereſſe je- doch habe er nur an einigen wenigen Gegenſtänden genommen, juſt an den vernachläſſigten, den Realien; wogegen die Me- thode, mit der die klaſſiſchen Sprachen tradirt wurden, ihm bis in die Jahre beginnender Reife eine heftige Abneigung gegen dieſelben beigebracht. Das läßt ſich auch ohne jeden weiteren Gewährsmann aus ſeinen Schulheften abſtrahiren; jene über die exakten Wiſſenſchaften ſind mit größter Sorgfalt ausgearbeitet, während die lateiniſchen und griechiſchen Prä-

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/36>, abgerufen am 18.04.2024.