Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.
Sonne geht nicht unter, und es ist so unendlich lang seit unsrer Flucht. Lena. Nicht doch, meine Liebe, die Blumen sind ja kaum welk, die ich zum Abschied brach, als wir aus dem Garten gingen. Gouvernante. Und wo sollen wir ruhen? Wir sind noch auf gar nichts gestoßen. Ich sehe kein Kloster, keinen Eremiten, keinen Schäfer. Lena. Wir haben Alles wohl anders geträumt mit unseren Büchern, hinter der Mauer unseres Gartens, zwischen unseren Myrthen und Oleandern. Gouvernante. Du mein Jesus, was wird man sagen? Und doch ist es so zart und weiblich! Es ist eine Entsagung. Es ist wie die Flucht der heiligen Ottilia. Aber wir müssen ein Obdach suchen. Es wird Abend. Lena. Ja, die Pflanzen legen ihre Fiederblättchen zum Schlaf zusammen, und die Sonnenstrahlen wiegen sich an den Grashalmen, wie müde Libellen. Gouvernante. O die Welt ist abscheulich! An einen irrenden Königsohn ist gar nicht zu denken. Lena. O sie ist schön und so weit, so unendlich weit. Ich möchte immer so fort gehen, Tag und Nacht. Es rührt sich nichts. Ein rother Blumenschein spielt über die Wiesen, und die fernen Berge liegen auf der Erde wie ruhende Wolken.
Sonne geht nicht unter, und es iſt ſo unendlich lang ſeit unſrer Flucht. Lena. Nicht doch, meine Liebe, die Blumen ſind ja kaum welk, die ich zum Abſchied brach, als wir aus dem Garten gingen. Gouvernante. Und wo ſollen wir ruhen? Wir ſind noch auf gar nichts geſtoßen. Ich ſehe kein Kloſter, keinen Eremiten, keinen Schäfer. Lena. Wir haben Alles wohl anders geträumt mit unſeren Büchern, hinter der Mauer unſeres Gartens, zwiſchen unſeren Myrthen und Oleandern. Gouvernante. Du mein Jeſus, was wird man ſagen? Und doch iſt es ſo zart und weiblich! Es iſt eine Entſagung. Es iſt wie die Flucht der heiligen Ottilia. Aber wir müſſen ein Obdach ſuchen. Es wird Abend. Lena. Ja, die Pflanzen legen ihre Fiederblättchen zum Schlaf zuſammen, und die Sonnenſtrahlen wiegen ſich an den Grashalmen, wie müde Libellen. Gouvernante. O die Welt iſt abſcheulich! An einen irrenden Königſohn iſt gar nicht zu denken. Lena. O ſie iſt ſchön und ſo weit, ſo unendlich weit. Ich möchte immer ſo fort gehen, Tag und Nacht. Es rührt ſich nichts. Ein rother Blumenſchein ſpielt über die Wieſen, und die fernen Berge liegen auf der Erde wie ruhende Wolken. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="act" n="3"> <div type="scene" n="4"> <sp who="#GOU"> <p><pb facs="#f0334" n="138"/> Sonne geht nicht unter, und es iſt ſo unendlich lang ſeit<lb/> unſrer Flucht.</p> </sp><lb/> <sp who="#LENA"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Lena.</hi> </hi> </speaker> <p>Nicht doch, meine Liebe, die Blumen ſind ja<lb/> kaum welk, die ich zum Abſchied brach, als wir aus dem<lb/> Garten gingen.</p> </sp><lb/> <sp who="#GOU"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Gouvernante.</hi> </hi> </speaker> <p>Und wo ſollen wir ruhen? Wir ſind<lb/> noch auf gar nichts geſtoßen. Ich ſehe kein Kloſter, keinen<lb/> Eremiten, keinen Schäfer.</p> </sp><lb/> <sp who="#LENA"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Lena.</hi> </hi> </speaker> <p>Wir haben Alles wohl anders geträumt mit<lb/> unſeren Büchern, hinter der Mauer unſeres Gartens, zwiſchen<lb/> unſeren Myrthen und Oleandern.</p> </sp><lb/> <sp who="#GOU"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Gouvernante.</hi> </hi> </speaker> <p>Du mein Jeſus, was wird man ſagen?<lb/> Und doch iſt es ſo zart und weiblich! Es iſt eine Entſagung.<lb/> Es iſt wie die Flucht der heiligen Ottilia. Aber wir müſſen<lb/> ein Obdach ſuchen. Es wird Abend.</p> </sp><lb/> <sp who="#LENA"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Lena.</hi> </hi> </speaker> <p>Ja, die Pflanzen legen ihre Fiederblättchen zum<lb/> Schlaf zuſammen, und die Sonnenſtrahlen wiegen ſich an<lb/> den Grashalmen, wie müde Libellen.</p> </sp><lb/> <sp who="#GOU"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Gouvernante.</hi> </hi> </speaker> <p>O die Welt iſt abſcheulich! An einen<lb/> irrenden Königſohn iſt gar nicht zu denken.</p> </sp><lb/> <sp who="#LENA"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Lena.</hi> </hi> </speaker> <p>O ſie iſt ſchön und ſo weit, ſo unendlich weit.<lb/> Ich möchte immer ſo fort gehen, Tag und Nacht. Es rührt<lb/> ſich nichts. Ein rother Blumenſchein ſpielt über die Wieſen,<lb/> und die fernen Berge liegen auf der Erde wie ruhende<lb/> Wolken.</p> </sp> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [138/0334]
Sonne geht nicht unter, und es iſt ſo unendlich lang ſeit
unſrer Flucht.
Lena. Nicht doch, meine Liebe, die Blumen ſind ja
kaum welk, die ich zum Abſchied brach, als wir aus dem
Garten gingen.
Gouvernante. Und wo ſollen wir ruhen? Wir ſind
noch auf gar nichts geſtoßen. Ich ſehe kein Kloſter, keinen
Eremiten, keinen Schäfer.
Lena. Wir haben Alles wohl anders geträumt mit
unſeren Büchern, hinter der Mauer unſeres Gartens, zwiſchen
unſeren Myrthen und Oleandern.
Gouvernante. Du mein Jeſus, was wird man ſagen?
Und doch iſt es ſo zart und weiblich! Es iſt eine Entſagung.
Es iſt wie die Flucht der heiligen Ottilia. Aber wir müſſen
ein Obdach ſuchen. Es wird Abend.
Lena. Ja, die Pflanzen legen ihre Fiederblättchen zum
Schlaf zuſammen, und die Sonnenſtrahlen wiegen ſich an
den Grashalmen, wie müde Libellen.
Gouvernante. O die Welt iſt abſcheulich! An einen
irrenden Königſohn iſt gar nicht zu denken.
Lena. O ſie iſt ſchön und ſo weit, ſo unendlich weit.
Ich möchte immer ſo fort gehen, Tag und Nacht. Es rührt
ſich nichts. Ein rother Blumenſchein ſpielt über die Wieſen,
und die fernen Berge liegen auf der Erde wie ruhende
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