von tiefster Abneigung gegen alle liberalen, geschweige denn demokratischen Strebungen erfüllt, nicht um seiner amtlichen Stellung willen, sondern aus innerster Ueberzeugung. Die Bewegung von 1848 erregte seinen härtesten Unmuth, nicht den Unmuth des großherzoglich hessischen Ober-Medicinal- rathes, sondern den des entgegengesetzt gesinnten Politikers. Als sein Georg "unter die Hochverräther" ging, sagte er sich mit kalter Härte von dem Lieblingssohne los -- als zwanzig Jahre später der dritte Sohn Ludwig durch sein Buch "Kraft und Stoff" einen literarischen Sturm gegen sich entfesselte, trat er auf dessen Seite, obwohl doch Georg nicht radikaler auf politischem Gebiet gewesen, als sein jüngerer Bruder auf philosophisch-religiösem! Und als er 1858 die müden Augen schloß, da schien ihm die politische Richtung des erzreaktionären Dalwigk durchaus löblich, nur die Intimität mit dem Erzbischof Ketteler gefiel ihm nicht; daß eine innere Wahlverwandtschaft den Bund herbeigeführt, ahnte der sonst so klare Mann nicht! Trotz solcher politischen Ueberzeugung, trotz der Ecken und Härten seines Wesens erwarb er sich, wenn nicht die Liebe, so doch die unbegrenzte Hochachtung seiner Mitbürger durch die musterhaft humane Art seiner Berufserfüllung, durch die Lauterkeit seines Charakters. Wie er dachte, so handelte er; in vielen Dingen sonderbar, in allen ohne Falsch und Makel, so war Ernst Büchner. Seiner Familie bereitete er durch Eigensinn und Pedanterie manche schwere Stunde, aber er lebte nur für diese Familie, suchte nur in ihrem Kreise Freude und Er- holung, war ein selbstloser, musterhafter Gatte und Vater. Alles in Allem: ein Halbedelstein -- und man weiß, solche Steine krystallisiren in sonderbaren Formen!
von tiefſter Abneigung gegen alle liberalen, geſchweige denn demokratiſchen Strebungen erfüllt, nicht um ſeiner amtlichen Stellung willen, ſondern aus innerſter Ueberzeugung. Die Bewegung von 1848 erregte ſeinen härteſten Unmuth, nicht den Unmuth des großherzoglich heſſiſchen Ober-Medicinal- rathes, ſondern den des entgegengeſetzt geſinnten Politikers. Als ſein Georg "unter die Hochverräther" ging, ſagte er ſich mit kalter Härte von dem Lieblingsſohne los — als zwanzig Jahre ſpäter der dritte Sohn Ludwig durch ſein Buch "Kraft und Stoff" einen literariſchen Sturm gegen ſich entfeſſelte, trat er auf deſſen Seite, obwohl doch Georg nicht radikaler auf politiſchem Gebiet geweſen, als ſein jüngerer Bruder auf philoſophiſch-religiöſem! Und als er 1858 die müden Augen ſchloß, da ſchien ihm die politiſche Richtung des erzreaktionären Dalwigk durchaus löblich, nur die Intimität mit dem Erzbiſchof Ketteler gefiel ihm nicht; daß eine innere Wahlverwandtſchaft den Bund herbeigeführt, ahnte der ſonſt ſo klare Mann nicht! Trotz ſolcher politiſchen Ueberzeugung, trotz der Ecken und Härten ſeines Weſens erwarb er ſich, wenn nicht die Liebe, ſo doch die unbegrenzte Hochachtung ſeiner Mitbürger durch die muſterhaft humane Art ſeiner Berufserfüllung, durch die Lauterkeit ſeines Charakters. Wie er dachte, ſo handelte er; in vielen Dingen ſonderbar, in allen ohne Falſch und Makel, ſo war Ernſt Büchner. Seiner Familie bereitete er durch Eigenſinn und Pedanterie manche ſchwere Stunde, aber er lebte nur für dieſe Familie, ſuchte nur in ihrem Kreiſe Freude und Er- holung, war ein ſelbſtloſer, muſterhafter Gatte und Vater. Alles in Allem: ein Halbedelſtein — und man weiß, ſolche Steine kryſtalliſiren in ſonderbaren Formen!
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0028"n="XII"/>
von tiefſter Abneigung gegen alle liberalen, geſchweige denn<lb/>
demokratiſchen Strebungen erfüllt, nicht um ſeiner amtlichen<lb/>
Stellung willen, ſondern aus innerſter Ueberzeugung. Die<lb/>
Bewegung von 1848 erregte ſeinen härteſten Unmuth, nicht<lb/>
den Unmuth des großherzoglich heſſiſchen Ober-Medicinal-<lb/>
rathes, ſondern den des entgegengeſetzt geſinnten Politikers.<lb/>
Als ſein Georg "unter die Hochverräther" ging, ſagte er<lb/>ſich mit kalter Härte von dem Lieblingsſohne los — als<lb/>
zwanzig Jahre ſpäter der dritte Sohn Ludwig durch ſein<lb/>
Buch "Kraft und Stoff" einen literariſchen Sturm gegen<lb/>ſich entfeſſelte, trat er auf deſſen Seite, obwohl doch Georg<lb/>
nicht radikaler auf politiſchem Gebiet geweſen, als ſein<lb/>
jüngerer Bruder auf philoſophiſch-religiöſem! Und als er<lb/>
1858 die müden Augen ſchloß, da ſchien ihm die politiſche<lb/>
Richtung des erzreaktionären Dalwigk durchaus löblich, nur<lb/>
die Intimität mit dem Erzbiſchof Ketteler gefiel ihm nicht;<lb/>
daß eine innere Wahlverwandtſchaft den Bund herbeigeführt,<lb/>
ahnte der ſonſt ſo klare Mann nicht! Trotz ſolcher politiſchen<lb/>
Ueberzeugung, trotz der Ecken und Härten ſeines Weſens<lb/>
erwarb er ſich, wenn nicht die Liebe, ſo doch die unbegrenzte<lb/>
Hochachtung ſeiner Mitbürger durch die muſterhaft humane<lb/>
Art ſeiner Berufserfüllung, durch die Lauterkeit ſeines<lb/>
Charakters. Wie er dachte, ſo handelte er; in vielen Dingen<lb/>ſonderbar, in allen ohne Falſch und Makel, ſo war Ernſt<lb/>
Büchner. Seiner Familie bereitete er durch Eigenſinn und<lb/>
Pedanterie manche ſchwere Stunde, aber er lebte nur für<lb/>
dieſe Familie, ſuchte nur in ihrem Kreiſe Freude und Er-<lb/>
holung, war ein ſelbſtloſer, muſterhafter Gatte und Vater.<lb/>
Alles in Allem: ein Halbedelſtein — und man weiß, ſolche<lb/>
Steine kryſtalliſiren in ſonderbaren Formen!</p><lb/></div></body></text></TEI>
[XII/0028]
von tiefſter Abneigung gegen alle liberalen, geſchweige denn
demokratiſchen Strebungen erfüllt, nicht um ſeiner amtlichen
Stellung willen, ſondern aus innerſter Ueberzeugung. Die
Bewegung von 1848 erregte ſeinen härteſten Unmuth, nicht
den Unmuth des großherzoglich heſſiſchen Ober-Medicinal-
rathes, ſondern den des entgegengeſetzt geſinnten Politikers.
Als ſein Georg "unter die Hochverräther" ging, ſagte er
ſich mit kalter Härte von dem Lieblingsſohne los — als
zwanzig Jahre ſpäter der dritte Sohn Ludwig durch ſein
Buch "Kraft und Stoff" einen literariſchen Sturm gegen
ſich entfeſſelte, trat er auf deſſen Seite, obwohl doch Georg
nicht radikaler auf politiſchem Gebiet geweſen, als ſein
jüngerer Bruder auf philoſophiſch-religiöſem! Und als er
1858 die müden Augen ſchloß, da ſchien ihm die politiſche
Richtung des erzreaktionären Dalwigk durchaus löblich, nur
die Intimität mit dem Erzbiſchof Ketteler gefiel ihm nicht;
daß eine innere Wahlverwandtſchaft den Bund herbeigeführt,
ahnte der ſonſt ſo klare Mann nicht! Trotz ſolcher politiſchen
Ueberzeugung, trotz der Ecken und Härten ſeines Weſens
erwarb er ſich, wenn nicht die Liebe, ſo doch die unbegrenzte
Hochachtung ſeiner Mitbürger durch die muſterhaft humane
Art ſeiner Berufserfüllung, durch die Lauterkeit ſeines
Charakters. Wie er dachte, ſo handelte er; in vielen Dingen
ſonderbar, in allen ohne Falſch und Makel, ſo war Ernſt
Büchner. Seiner Familie bereitete er durch Eigenſinn und
Pedanterie manche ſchwere Stunde, aber er lebte nur für
dieſe Familie, ſuchte nur in ihrem Kreiſe Freude und Er-
holung, war ein ſelbſtloſer, muſterhafter Gatte und Vater.
Alles in Allem: ein Halbedelſtein — und man weiß, ſolche
Steine kryſtalliſiren in ſonderbaren Formen!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/28>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.