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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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17. October 1813 aus doppelten Gründen der glücklichste
Tag ihres Lebens, und sie knüpfte an dies Spiel des Zu-
falls stolze Zukunftsträume für ihren Sohn und ihr Volk.

Aber nicht blos die politischen Ueberzeugungen der
Eltern waren grundverschieden, sondern, wie wir gleich sehen
werden, auch ihr sonstiger Charakter, Zug für Zug. Gleich-
wohl war die Ehe eine glückliche, auch von materiellem
Gedeihen begleitet. Denn nachdem sich der Hausstand zwei
Jahre später durch einen neuen Ankömmling, das Töchterchen
Mathilde, erweitert, folgte auch eine Verbesserung in der Stel-
lung Dr. Büchner's; er wurde mit erhöhtem Rang und Ge-
halt nach Darmstadt versetzt. Georg war damals dreijährig.

Ueber die ersten Kinderjahre des Dichters, bis zur
Zeit, wo er das Gymnasium bezog, fließen die handschrift-
lichen Quellen, auf denen diese Darstellung fußt, recht dürftig.
Das liegt sicherlich nicht am Stoffmangel, denn die ersten
Entwicklungsjahre jedes Kindes, mag es in der Folge ein
noch so unbedeutender Mensch werden, gehören zu dem In-
teressantesten, was sich beobachten läßt. Wohl aber fehlt
es hier an Berichterstattern; die Familie lebte höchst abge-
schlossen, die Eltern sind längst todt, die jüngeren Geschwister
aber waren damals theils noch gar nicht geboren, theils
standen sie in zu zartem Alter, um präcise Erinnerungen
zu bewahren (S. 458). Unsere Kunde beschränkt sich auf
einige allgemeine Mittheilungen; von besonderen Handlungen
und Aussprüchen wird nichts überliefert. Das bleibt zu
bedauern, weil solche Einzelheiten oft blitzähnlich den orga-
nischen Zusammenhang von Charakterzügen enthüllen, welche
das spätere Leben immer schärfer sondert und widerspruchs-
voll entwickelt. Andererseits bleibt uns hiedurch freilich die

17. October 1813 aus doppelten Gründen der glücklichſte
Tag ihres Lebens, und ſie knüpfte an dies Spiel des Zu-
falls ſtolze Zukunftsträume für ihren Sohn und ihr Volk.

Aber nicht blos die politiſchen Ueberzeugungen der
Eltern waren grundverſchieden, ſondern, wie wir gleich ſehen
werden, auch ihr ſonſtiger Charakter, Zug für Zug. Gleich-
wohl war die Ehe eine glückliche, auch von materiellem
Gedeihen begleitet. Denn nachdem ſich der Hausſtand zwei
Jahre ſpäter durch einen neuen Ankömmling, das Töchterchen
Mathilde, erweitert, folgte auch eine Verbeſſerung in der Stel-
lung Dr. Büchner's; er wurde mit erhöhtem Rang und Ge-
halt nach Darmſtadt verſetzt. Georg war damals dreijährig.

Ueber die erſten Kinderjahre des Dichters, bis zur
Zeit, wo er das Gymnaſium bezog, fließen die handſchrift-
lichen Quellen, auf denen dieſe Darſtellung fußt, recht dürftig.
Das liegt ſicherlich nicht am Stoffmangel, denn die erſten
Entwicklungsjahre jedes Kindes, mag es in der Folge ein
noch ſo unbedeutender Menſch werden, gehören zu dem In-
tereſſanteſten, was ſich beobachten läßt. Wohl aber fehlt
es hier an Berichterſtattern; die Familie lebte höchſt abge-
ſchloſſen, die Eltern ſind längſt todt, die jüngeren Geſchwiſter
aber waren damals theils noch gar nicht geboren, theils
ſtanden ſie in zu zartem Alter, um präciſe Erinnerungen
zu bewahren (S. 458). Unſere Kunde beſchränkt ſich auf
einige allgemeine Mittheilungen; von beſonderen Handlungen
und Ausſprüchen wird nichts überliefert. Das bleibt zu
bedauern, weil ſolche Einzelheiten oft blitzähnlich den orga-
niſchen Zuſammenhang von Charakterzügen enthüllen, welche
das ſpätere Leben immer ſchärfer ſondert und widerſpruchs-
voll entwickelt. Andererſeits bleibt uns hiedurch freilich die

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[VIII/0024] 17. October 1813 aus doppelten Gründen der glücklichſte Tag ihres Lebens, und ſie knüpfte an dies Spiel des Zu- falls ſtolze Zukunftsträume für ihren Sohn und ihr Volk. Aber nicht blos die politiſchen Ueberzeugungen der Eltern waren grundverſchieden, ſondern, wie wir gleich ſehen werden, auch ihr ſonſtiger Charakter, Zug für Zug. Gleich- wohl war die Ehe eine glückliche, auch von materiellem Gedeihen begleitet. Denn nachdem ſich der Hausſtand zwei Jahre ſpäter durch einen neuen Ankömmling, das Töchterchen Mathilde, erweitert, folgte auch eine Verbeſſerung in der Stel- lung Dr. Büchner's; er wurde mit erhöhtem Rang und Ge- halt nach Darmſtadt verſetzt. Georg war damals dreijährig. Ueber die erſten Kinderjahre des Dichters, bis zur Zeit, wo er das Gymnaſium bezog, fließen die handſchrift- lichen Quellen, auf denen dieſe Darſtellung fußt, recht dürftig. Das liegt ſicherlich nicht am Stoffmangel, denn die erſten Entwicklungsjahre jedes Kindes, mag es in der Folge ein noch ſo unbedeutender Menſch werden, gehören zu dem In- tereſſanteſten, was ſich beobachten läßt. Wohl aber fehlt es hier an Berichterſtattern; die Familie lebte höchſt abge- ſchloſſen, die Eltern ſind längſt todt, die jüngeren Geſchwiſter aber waren damals theils noch gar nicht geboren, theils ſtanden ſie in zu zartem Alter, um präciſe Erinnerungen zu bewahren (S. 458). Unſere Kunde beſchränkt ſich auf einige allgemeine Mittheilungen; von beſonderen Handlungen und Ausſprüchen wird nichts überliefert. Das bleibt zu bedauern, weil ſolche Einzelheiten oft blitzähnlich den orga- niſchen Zuſammenhang von Charakterzügen enthüllen, welche das ſpätere Leben immer ſchärfer ſondert und widerſpruchs- voll entwickelt. Andererſeits bleibt uns hiedurch freilich die

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/24>, abgerufen am 23.11.2024.