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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Ein unvollendet Lied sinkt er in's Grab,
Der Verse schönsten nimmt er mit hinab!

So leuchtet es in goldenen Lettern vom Grabsteine
Georg Büchners den Unzähligen entgegen, welche alljährlich die
sanfte Höhe des Zürichberges gewandelt kommen; und mitten
in ihrer Heiterkeit und Entzückung über das Walten unsäg-
lich schöner Natur muß sie dieses Wort und dieser Stein
schmerzlich mahnen, daß dieselbe Natur auch häßlich und
grausam ist und ihren schönsten Schmuck muthwillig zer-
schellt. Denn wer die spärlichen Zeichen dieses Jünglings-
lebens betrachtet, sei's jenen Stein unter den Schweizer
Linden, sei's sein stolzestes Denkmal, seine Werke, dem wird
neben tiefen und reichen Gedanken, welche solche Betrachtung
wecken muß, doch vor Allem und immer wieder Eines auf
die Lippen treten: "Und dieser Mensch durfte nicht älter
werden, als dreiundzwanzig Jahre!" Nicht aus Mitgefühl
erheben wir diese Klage, denn so hoch oder so schicksalslos
ist Niemand gestellt, daß er nicht begriffe, warum die fein-
fühligen Hellenen jähen Tod in jungen Jahren als bestes
Menschenglück gepriesen, nicht um seinetwillen klagen wir:
um unsretwillen. Denn Georg Büchner war ein Genie
-- man soll dieses Wort nicht eitel nennen, es bezeichnet

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Ein unvollendet Lied ſinkt er in's Grab,
Der Verſe ſchönſten nimmt er mit hinab!

So leuchtet es in goldenen Lettern vom Grabſteine
Georg Büchners den Unzähligen entgegen, welche alljährlich die
ſanfte Höhe des Zürichberges gewandelt kommen; und mitten
in ihrer Heiterkeit und Entzückung über das Walten unſäg-
lich ſchöner Natur muß ſie dieſes Wort und dieſer Stein
ſchmerzlich mahnen, daß dieſelbe Natur auch häßlich und
grauſam iſt und ihren ſchönſten Schmuck muthwillig zer-
ſchellt. Denn wer die ſpärlichen Zeichen dieſes Jünglings-
lebens betrachtet, ſei's jenen Stein unter den Schweizer
Linden, ſei's ſein ſtolzeſtes Denkmal, ſeine Werke, dem wird
neben tiefen und reichen Gedanken, welche ſolche Betrachtung
wecken muß, doch vor Allem und immer wieder Eines auf
die Lippen treten: "Und dieſer Menſch durfte nicht älter
werden, als dreiundzwanzig Jahre!" Nicht aus Mitgefühl
erheben wir dieſe Klage, denn ſo hoch oder ſo ſchickſalslos
iſt Niemand geſtellt, daß er nicht begriffe, warum die fein-
fühligen Hellenen jähen Tod in jungen Jahren als beſtes
Menſchenglück geprieſen, nicht um ſeinetwillen klagen wir:
um unſretwillen. Denn Georg Büchner war ein Genie
— man ſoll dieſes Wort nicht eitel nennen, es bezeichnet

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[[III]/0019] Ein unvollendet Lied ſinkt er in's Grab, Der Verſe ſchönſten nimmt er mit hinab! So leuchtet es in goldenen Lettern vom Grabſteine Georg Büchners den Unzähligen entgegen, welche alljährlich die ſanfte Höhe des Zürichberges gewandelt kommen; und mitten in ihrer Heiterkeit und Entzückung über das Walten unſäg- lich ſchöner Natur muß ſie dieſes Wort und dieſer Stein ſchmerzlich mahnen, daß dieſelbe Natur auch häßlich und grauſam iſt und ihren ſchönſten Schmuck muthwillig zer- ſchellt. Denn wer die ſpärlichen Zeichen dieſes Jünglings- lebens betrachtet, ſei's jenen Stein unter den Schweizer Linden, ſei's ſein ſtolzeſtes Denkmal, ſeine Werke, dem wird neben tiefen und reichen Gedanken, welche ſolche Betrachtung wecken muß, doch vor Allem und immer wieder Eines auf die Lippen treten: "Und dieſer Menſch durfte nicht älter werden, als dreiundzwanzig Jahre!" Nicht aus Mitgefühl erheben wir dieſe Klage, denn ſo hoch oder ſo ſchickſalslos iſt Niemand geſtellt, daß er nicht begriffe, warum die fein- fühligen Hellenen jähen Tod in jungen Jahren als beſtes Menſchenglück geprieſen, nicht um ſeinetwillen klagen wir: um unſretwillen. Denn Georg Büchner war ein Genie — man ſoll dieſes Wort nicht eitel nennen, es bezeichnet a *

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. [III]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/19>, abgerufen am 24.04.2024.