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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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stand, daß er in die Matrikeln der evangelisch-theologischen
Facultät zu Gießen inscribirt war, im Uebrigen hat die
Sonne schwerlich vorher oder nachher irgend einen Menschen
beschienen, der so wenig der gebräuchlichen Vorstellung von
einem Jünger der Gottesgelahrheit entsprach, als dieses selt-
same Individuum. Ohne Rock, am Oberkörper nur mit
einem verwaschenen russischen Hemde bekleidet, auf den langen,
wirren, fuchsrothen Locken ein kleines, schwarzes Sammtbarett
balancirend, in der Hand stets einen armsdicken Prügel --
so stolzirte der "rothe Becker" umher -- ein mächtiger braun-
rother Bart, der die ganze Brust bedeckte und ein Paar
wuchtige, aber unglaublich zerrissene Kanonenstiefel vervoll-
ständigten einen Aufzug, der weit eher in ein Costümbuch
zu Schillers Räubern, als in die Gassen der stillen, ehr-
samen Stadt Gießen paßte. In diesen Gassen umherzugehen
und sich anstaunen zu lassen, war seine Hauptbeschäftigung;
daneben besuchte er Wirthshäuser, wenn ihn Bekannte ein-
luden und die Zeche zahlten, im Colleg aber war er keines-
falls zu gewahren, nie und nimmer. Was Büchner zuerst
zu diesem eigenthümlichen Theologen hinzog, war sicherlich
nur die Neugierde; jeder Student, der nach Gießen kam,
suchte die Bekanntschaft des "rothen Becker" zu machen,
wenn auch nur deßhalb, um später über ihn lachen zu können.
Das that aber Büchner nicht, weil er bald an seinem
neuen Bekannten seltene Eigenschaften gewahrte. Der junge,
verwilderte Riese hatte sich in all seiner Verkommenheit einen
eigenthümlichen Stolz bewahrt; er bat und bettelte nie, er
wies jedes Geldgeschenk zurück, er nahm nie an einer Mahl-
zeit oder Kneiperei Theil, außer wenn er ausdrücklich dazu
eingeladen wurde und erwies auch die Ehre, für ihn zahlen

ſtand, daß er in die Matrikeln der evangeliſch-theologiſchen
Facultät zu Gießen inſcribirt war, im Uebrigen hat die
Sonne ſchwerlich vorher oder nachher irgend einen Menſchen
beſchienen, der ſo wenig der gebräuchlichen Vorſtellung von
einem Jünger der Gottesgelahrheit entſprach, als dieſes ſelt-
ſame Individuum. Ohne Rock, am Oberkörper nur mit
einem verwaſchenen ruſſiſchen Hemde bekleidet, auf den langen,
wirren, fuchsrothen Locken ein kleines, ſchwarzes Sammtbarett
balancirend, in der Hand ſtets einen armsdicken Prügel —
ſo ſtolzirte der "rothe Becker" umher — ein mächtiger braun-
rother Bart, der die ganze Bruſt bedeckte und ein Paar
wuchtige, aber unglaublich zerriſſene Kanonenſtiefel vervoll-
ſtändigten einen Aufzug, der weit eher in ein Coſtümbuch
zu Schillers Räubern, als in die Gaſſen der ſtillen, ehr-
ſamen Stadt Gießen paßte. In dieſen Gaſſen umherzugehen
und ſich anſtaunen zu laſſen, war ſeine Hauptbeſchäftigung;
daneben beſuchte er Wirthshäuſer, wenn ihn Bekannte ein-
luden und die Zeche zahlten, im Colleg aber war er keines-
falls zu gewahren, nie und nimmer. Was Büchner zuerſt
zu dieſem eigenthümlichen Theologen hinzog, war ſicherlich
nur die Neugierde; jeder Student, der nach Gießen kam,
ſuchte die Bekanntſchaft des "rothen Becker" zu machen,
wenn auch nur deßhalb, um ſpäter über ihn lachen zu können.
Das that aber Büchner nicht, weil er bald an ſeinem
neuen Bekannten ſeltene Eigenſchaften gewahrte. Der junge,
verwilderte Rieſe hatte ſich in all ſeiner Verkommenheit einen
eigenthümlichen Stolz bewahrt; er bat und bettelte nie, er
wies jedes Geldgeſchenk zurück, er nahm nie an einer Mahl-
zeit oder Kneiperei Theil, außer wenn er ausdrücklich dazu
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[XCIII/0109] ſtand, daß er in die Matrikeln der evangeliſch-theologiſchen Facultät zu Gießen inſcribirt war, im Uebrigen hat die Sonne ſchwerlich vorher oder nachher irgend einen Menſchen beſchienen, der ſo wenig der gebräuchlichen Vorſtellung von einem Jünger der Gottesgelahrheit entſprach, als dieſes ſelt- ſame Individuum. Ohne Rock, am Oberkörper nur mit einem verwaſchenen ruſſiſchen Hemde bekleidet, auf den langen, wirren, fuchsrothen Locken ein kleines, ſchwarzes Sammtbarett balancirend, in der Hand ſtets einen armsdicken Prügel — ſo ſtolzirte der "rothe Becker" umher — ein mächtiger braun- rother Bart, der die ganze Bruſt bedeckte und ein Paar wuchtige, aber unglaublich zerriſſene Kanonenſtiefel vervoll- ſtändigten einen Aufzug, der weit eher in ein Coſtümbuch zu Schillers Räubern, als in die Gaſſen der ſtillen, ehr- ſamen Stadt Gießen paßte. In dieſen Gaſſen umherzugehen und ſich anſtaunen zu laſſen, war ſeine Hauptbeſchäftigung; daneben beſuchte er Wirthshäuſer, wenn ihn Bekannte ein- luden und die Zeche zahlten, im Colleg aber war er keines- falls zu gewahren, nie und nimmer. Was Büchner zuerſt zu dieſem eigenthümlichen Theologen hinzog, war ſicherlich nur die Neugierde; jeder Student, der nach Gießen kam, ſuchte die Bekanntſchaft des "rothen Becker" zu machen, wenn auch nur deßhalb, um ſpäter über ihn lachen zu können. Das that aber Büchner nicht, weil er bald an ſeinem neuen Bekannten ſeltene Eigenſchaften gewahrte. Der junge, verwilderte Rieſe hatte ſich in all ſeiner Verkommenheit einen eigenthümlichen Stolz bewahrt; er bat und bettelte nie, er wies jedes Geldgeſchenk zurück, er nahm nie an einer Mahl- zeit oder Kneiperei Theil, außer wenn er ausdrücklich dazu eingeladen wurde und erwies auch die Ehre, für ihn zahlen

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XCIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/109>, abgerufen am 22.11.2024.