vollkommensten Macht ausgerüstete Kraft solcher An- strengungen bedürfen, um ihren Zweck zu erreichen? Kann sie nicht unmittelbar und ohne Zögern thun und schaffen, was ihr gut und nützlich scheint? Warum be- darf sie der Umwege und Sonderbarkeiten? Nur die natürlichen Schwierigkeiten, welche der Stoff bei der all- mähligen und unbewußten Combination seiner Theile und der Gestaltung seiner Formen findet, können uns das Eigenthümliche jener Entstehungsgeschichte der organischen und unorganischen Welt erklären.
Von der Größe der Zeiträume, welche die Erde bedurfte, um ihre heutige Gestalt zu erlangen, kann man sich einen ungefähren oder annähernden Begriff machen, wenn man an die Berechnungen denkt, welche die Geologen für einzelne Phasen derselben, namentlich für die Bildung der einzelnen Erdschichten, gemacht haben. Die Bildung der s. g. Steinkohlenschichte allein erforderte nach einigen Berechnungen neun Millionen Jahre, und bis die ursprünglich glühende Erde von einem Temperaturgrad von 2000 Graden auf einen sol- chen von 200 Graden sich abkühlen konnte, müssen nach der Berechnung von Bischof 350 Millionen Jahre ver- flossen sein. Man weiß, daß ganze Berge und Gebirgs- schichten aus den Kieselpanzern mikroskopischer, d. h. mit bloßem Auge unsichtbarer Thierchen, s. g. Jnfusorien, bestehen. Welche unendlichen Zeiträume mußten nöthig
vollkommenſten Macht ausgerüſtete Kraft ſolcher An- ſtrengungen bedürfen, um ihren Zweck zu erreichen? Kann ſie nicht unmittelbar und ohne Zögern thun und ſchaffen, was ihr gut und nützlich ſcheint? Warum be- darf ſie der Umwege und Sonderbarkeiten? Nur die natürlichen Schwierigkeiten, welche der Stoff bei der all- mähligen und unbewußten Combination ſeiner Theile und der Geſtaltung ſeiner Formen findet, können uns das Eigenthümliche jener Entſtehungsgeſchichte der organiſchen und unorganiſchen Welt erklären.
Von der Größe der Zeiträume, welche die Erde bedurfte, um ihre heutige Geſtalt zu erlangen, kann man ſich einen ungefähren oder annähernden Begriff machen, wenn man an die Berechnungen denkt, welche die Geologen für einzelne Phaſen derſelben, namentlich für die Bildung der einzelnen Erdſchichten, gemacht haben. Die Bildung der ſ. g. Steinkohlenſchichte allein erforderte nach einigen Berechnungen neun Millionen Jahre, und bis die urſprünglich glühende Erde von einem Temperaturgrad von 2000 Graden auf einen ſol- chen von 200 Graden ſich abkühlen konnte, müſſen nach der Berechnung von Biſchof 350 Millionen Jahre ver- floſſen ſein. Man weiß, daß ganze Berge und Gebirgs- ſchichten aus den Kieſelpanzern mikroskopiſcher, d. h. mit bloßem Auge unſichtbarer Thierchen, ſ. g. Jnfuſorien, beſtehen. Welche unendlichen Zeiträume mußten nöthig
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vollkommenſten Macht ausgerüſtete Kraft ſolcher An-
ſtrengungen bedürfen, um ihren Zweck zu erreichen?
Kann ſie nicht unmittelbar und ohne Zögern thun und
ſchaffen, was ihr gut und nützlich ſcheint? Warum be-
darf ſie der Umwege und Sonderbarkeiten? Nur die
natürlichen Schwierigkeiten, welche der Stoff bei der all-
mähligen und unbewußten Combination ſeiner Theile und
der Geſtaltung ſeiner Formen findet, können uns das
Eigenthümliche jener Entſtehungsgeſchichte der organiſchen
und unorganiſchen Welt erklären.
Von der Größe der Zeiträume, welche die Erde
bedurfte, um ihre heutige Geſtalt zu erlangen, kann
man ſich einen ungefähren oder annähernden Begriff
machen, wenn man an die Berechnungen denkt, welche
die Geologen für einzelne Phaſen derſelben, namentlich
für die Bildung der einzelnen Erdſchichten, gemacht
haben. Die Bildung der ſ. g. Steinkohlenſchichte allein
erforderte nach einigen Berechnungen neun Millionen
Jahre, und bis die urſprünglich glühende Erde von
einem Temperaturgrad von 2000 Graden auf einen ſol-
chen von 200 Graden ſich abkühlen konnte, müſſen nach
der Berechnung von Biſchof 350 Millionen Jahre ver-
floſſen ſein. Man weiß, daß ganze Berge und Gebirgs-
ſchichten aus den Kieſelpanzern mikroskopiſcher, d. h.
mit bloßem Auge unſichtbarer Thierchen, ſ. g. Jnfuſorien,
beſtehen. Welche unendlichen Zeiträume mußten nöthig
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/84>, abgerufen am 24.11.2024.
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