Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

am Himmel stille zu stehen. Eine tausendjährige Er-
fahrung hat dem Naturforscher die Ueberzeugung von
der Unabänderlichkeit der Naturgesetze mit immer stei-
gender und zuletzt so unumstößlicher Gewißheit aufge-
drängt, daß ihm auch nicht der leiseste Zweifel über
diese große Wahrheit bleiben kann. Stück für Stück hat
die Aufklärung suchende Wissenschaft dem uralten Kin-
derglauben der Völker seine Positionen abgewonnen, hat
den Donner und Blitz und die Verfinsterung der Ge-
stirne den Händen der Götter entwunden und die ge-
waltigen Kräfte ehemaliger Titanen unter den befehlenden
Finger des Menschen geschmiedet. Was unerklärlich,
was wunderbar, was durch eine übernatürliche Macht
bedingt schien, wie bald und leicht stellte es die Leuchte
der Forschung als den Effekt bisher unbekannter oder
unvollkommen gewürdigter Naturkräfte dar, wie schnell
zerrann unter den Händen der Wissenschaft die Macht
der Geister und Götter! Der Aberglaube mußte unter
den Culturnationen fallen und das Wissen an seine
Stelle treten. Mit dem vollkommensten Rechte können
wir heute sagen: Es gibt Nichts Wunderbares; Alles,
was geschieht, was geschehen ist und was geschehen wird,
geschieht und geschah und wird geschehen auf eine natür-
liche
Weise, d. h. auf eine Weise, die nur bedingt ist
durch das zufällige oder nothwendige Zusammenwirken
oder Begegnen der von Ewigkeit her vorhandenen Stoffe

Büchner, Kräft und Stoff. 3

am Himmel ſtille zu ſtehen. Eine tauſendjährige Er-
fahrung hat dem Naturforſcher die Ueberzeugung von
der Unabänderlichkeit der Naturgeſetze mit immer ſtei-
gender und zuletzt ſo unumſtößlicher Gewißheit aufge-
drängt, daß ihm auch nicht der leiſeſte Zweifel über
dieſe große Wahrheit bleiben kann. Stück für Stück hat
die Aufklärung ſuchende Wiſſenſchaft dem uralten Kin-
derglauben der Völker ſeine Poſitionen abgewonnen, hat
den Donner und Blitz und die Verfinſterung der Ge-
ſtirne den Händen der Götter entwunden und die ge-
waltigen Kräfte ehemaliger Titanen unter den befehlenden
Finger des Menſchen geſchmiedet. Was unerklärlich,
was wunderbar, was durch eine übernatürliche Macht
bedingt ſchien, wie bald und leicht ſtellte es die Leuchte
der Forſchung als den Effekt bisher unbekannter oder
unvollkommen gewürdigter Naturkräfte dar, wie ſchnell
zerrann unter den Händen der Wiſſenſchaft die Macht
der Geiſter und Götter! Der Aberglaube mußte unter
den Culturnationen fallen und das Wiſſen an ſeine
Stelle treten. Mit dem vollkommenſten Rechte können
wir heute ſagen: Es gibt Nichts Wunderbares; Alles,
was geſchieht, was geſchehen iſt und was geſchehen wird,
geſchieht und geſchah und wird geſchehen auf eine natür-
liche
Weiſe, d. h. auf eine Weiſe, die nur bedingt iſt
durch das zufällige oder nothwendige Zuſammenwirken
oder Begegnen der von Ewigkeit her vorhandenen Stoffe

Büchner, Kräft und Stoff. 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0053" n="33"/>
am Himmel &#x017F;tille zu &#x017F;tehen. Eine tau&#x017F;endjährige Er-<lb/>
fahrung hat dem Naturfor&#x017F;cher die Ueberzeugung von<lb/>
der Unabänderlichkeit der Naturge&#x017F;etze mit immer &#x017F;tei-<lb/>
gender und zuletzt &#x017F;o unum&#x017F;tößlicher Gewißheit aufge-<lb/>
drängt, daß ihm auch nicht der lei&#x017F;e&#x017F;te Zweifel über<lb/>
die&#x017F;e große Wahrheit bleiben kann. Stück für Stück hat<lb/>
die Aufklärung &#x017F;uchende Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft dem uralten Kin-<lb/>
derglauben der Völker &#x017F;eine Po&#x017F;itionen abgewonnen, hat<lb/>
den Donner und Blitz und die Verfin&#x017F;terung der Ge-<lb/>
&#x017F;tirne den Händen der Götter entwunden und die ge-<lb/>
waltigen Kräfte ehemaliger Titanen unter den befehlenden<lb/>
Finger des Men&#x017F;chen ge&#x017F;chmiedet. Was unerklärlich,<lb/>
was wunderbar, was durch eine übernatürliche Macht<lb/>
bedingt &#x017F;chien, wie bald und leicht &#x017F;tellte es die Leuchte<lb/>
der For&#x017F;chung als den Effekt bisher unbekannter oder<lb/>
unvollkommen gewürdigter Naturkräfte dar, wie &#x017F;chnell<lb/>
zerrann unter den Händen der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft die Macht<lb/>
der Gei&#x017F;ter und Götter! Der Aberglaube mußte unter<lb/>
den Culturnationen fallen und das Wi&#x017F;&#x017F;en an &#x017F;eine<lb/>
Stelle treten. Mit dem vollkommen&#x017F;ten Rechte können<lb/>
wir heute &#x017F;agen: Es gibt Nichts Wunderbares; Alles,<lb/>
was ge&#x017F;chieht, was ge&#x017F;chehen i&#x017F;t und was ge&#x017F;chehen wird,<lb/>
ge&#x017F;chieht und ge&#x017F;chah und wird ge&#x017F;chehen auf eine <hi rendition="#g">natür-<lb/>
liche</hi> Wei&#x017F;e, d. h. auf eine Wei&#x017F;e, die nur bedingt i&#x017F;t<lb/>
durch das zufällige oder nothwendige Zu&#x017F;ammenwirken<lb/>
oder Begegnen der von Ewigkeit her vorhandenen Stoffe<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Büchner,</hi> Kräft und Stoff. 3</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[33/0053] am Himmel ſtille zu ſtehen. Eine tauſendjährige Er- fahrung hat dem Naturforſcher die Ueberzeugung von der Unabänderlichkeit der Naturgeſetze mit immer ſtei- gender und zuletzt ſo unumſtößlicher Gewißheit aufge- drängt, daß ihm auch nicht der leiſeſte Zweifel über dieſe große Wahrheit bleiben kann. Stück für Stück hat die Aufklärung ſuchende Wiſſenſchaft dem uralten Kin- derglauben der Völker ſeine Poſitionen abgewonnen, hat den Donner und Blitz und die Verfinſterung der Ge- ſtirne den Händen der Götter entwunden und die ge- waltigen Kräfte ehemaliger Titanen unter den befehlenden Finger des Menſchen geſchmiedet. Was unerklärlich, was wunderbar, was durch eine übernatürliche Macht bedingt ſchien, wie bald und leicht ſtellte es die Leuchte der Forſchung als den Effekt bisher unbekannter oder unvollkommen gewürdigter Naturkräfte dar, wie ſchnell zerrann unter den Händen der Wiſſenſchaft die Macht der Geiſter und Götter! Der Aberglaube mußte unter den Culturnationen fallen und das Wiſſen an ſeine Stelle treten. Mit dem vollkommenſten Rechte können wir heute ſagen: Es gibt Nichts Wunderbares; Alles, was geſchieht, was geſchehen iſt und was geſchehen wird, geſchieht und geſchah und wird geſchehen auf eine natür- liche Weiſe, d. h. auf eine Weiſe, die nur bedingt iſt durch das zufällige oder nothwendige Zuſammenwirken oder Begegnen der von Ewigkeit her vorhandenen Stoffe Büchner, Kräft und Stoff. 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/53
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/53>, abgerufen am 30.04.2024.