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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

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Bewegung des Stoff's folgt allein den Gesetzen, welche
in ihm selber thätig sind, und die Erscheinungsweisen
der Dinge sind nichts weiter, als Produkte der verschie-
denen und mannigfaltigen, zufälligen oder nothwendigen
Combinationen stofflicher Bewegungen unter einander.
Nie und nirgends, in keiner Zeit, und nicht bis in die
entferntesten Räume hinein, zu denen unser Fernrohr
dringt, konnte eine Thatsache constatirt werden, welche
eine Ausnahme von dieser Regel bedingen, welche die
Annahme einer unmittelbar und außer den Dingen wir-
kenden selbstständigen Kraft nothwendig machen würde.
Eine Kraft aber, die sich nicht äußert, kann
nicht existiren
. Dieselbe in ewiger, in sich selbst zu-
friedener Ruhe oder innerer Selbstanschauung versunken
vorzustellen -- läuft eben wiederum auf eine leere und
willkührliche Abstraction ohne empirische Basis hinaus.
So bliebe nur eine dritte Möglichkeit übrig, d. h. die
ebenso sonderbare als unnöthige Vorstellung, es sei die
Schöpferkraft plötzlich und ohne bekannte Veranlassung
aus dem Nichts emporgetaucht, habe die Welt geschaffen
(woraus?) und sei mit dem Moment der Vollendung
wieder in sich selbst versunken, habe sich gewissermaßen
an die Welt dahingegeben, sich selbst in dem All auf-
gelöst. Philosophen und Nichtphilosophen haben von je
diese Vorstellung, namentlich den letzteren Theil derselben,
mit Vorliebe behandelt, weil sie auf diese Weise die allzu

Bewegung des Stoff’s folgt allein den Geſetzen, welche
in ihm ſelber thätig ſind, und die Erſcheinungsweiſen
der Dinge ſind nichts weiter, als Produkte der verſchie-
denen und mannigfaltigen, zufälligen oder nothwendigen
Combinationen ſtofflicher Bewegungen unter einander.
Nie und nirgends, in keiner Zeit, und nicht bis in die
entfernteſten Räume hinein, zu denen unſer Fernrohr
dringt, konnte eine Thatſache conſtatirt werden, welche
eine Ausnahme von dieſer Regel bedingen, welche die
Annahme einer unmittelbar und außer den Dingen wir-
kenden ſelbſtſtändigen Kraft nothwendig machen würde.
Eine Kraft aber, die ſich nicht äußert, kann
nicht exiſtiren
. Dieſelbe in ewiger, in ſich ſelbſt zu-
friedener Ruhe oder innerer Selbſtanſchauung verſunken
vorzuſtellen — läuft eben wiederum auf eine leere und
willkührliche Abſtraction ohne empiriſche Baſis hinaus.
So bliebe nur eine dritte Möglichkeit übrig, d. h. die
ebenſo ſonderbare als unnöthige Vorſtellung, es ſei die
Schöpferkraft plötzlich und ohne bekannte Veranlaſſung
aus dem Nichts emporgetaucht, habe die Welt geſchaffen
(woraus?) und ſei mit dem Moment der Vollendung
wieder in ſich ſelbſt verſunken, habe ſich gewiſſermaßen
an die Welt dahingegeben, ſich ſelbſt in dem All auf-
gelöſt. Philoſophen und Nichtphiloſophen haben von je
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[8/0028] Bewegung des Stoff’s folgt allein den Geſetzen, welche in ihm ſelber thätig ſind, und die Erſcheinungsweiſen der Dinge ſind nichts weiter, als Produkte der verſchie- denen und mannigfaltigen, zufälligen oder nothwendigen Combinationen ſtofflicher Bewegungen unter einander. Nie und nirgends, in keiner Zeit, und nicht bis in die entfernteſten Räume hinein, zu denen unſer Fernrohr dringt, konnte eine Thatſache conſtatirt werden, welche eine Ausnahme von dieſer Regel bedingen, welche die Annahme einer unmittelbar und außer den Dingen wir- kenden ſelbſtſtändigen Kraft nothwendig machen würde. Eine Kraft aber, die ſich nicht äußert, kann nicht exiſtiren. Dieſelbe in ewiger, in ſich ſelbſt zu- friedener Ruhe oder innerer Selbſtanſchauung verſunken vorzuſtellen — läuft eben wiederum auf eine leere und willkührliche Abſtraction ohne empiriſche Baſis hinaus. So bliebe nur eine dritte Möglichkeit übrig, d. h. die ebenſo ſonderbare als unnöthige Vorſtellung, es ſei die Schöpferkraft plötzlich und ohne bekannte Veranlaſſung aus dem Nichts emporgetaucht, habe die Welt geſchaffen (woraus?) und ſei mit dem Moment der Vollendung wieder in ſich ſelbſt verſunken, habe ſich gewiſſermaßen an die Welt dahingegeben, ſich ſelbſt in dem All auf- gelöſt. Philoſophen und Nichtphiloſophen haben von je dieſe Vorſtellung, namentlich den letzteren Theil derſelben, mit Vorliebe behandelt, weil ſie auf dieſe Weiſe die allzu

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Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/28>, abgerufen am 24.04.2024.