Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Hals, durch das Unruhige, stets fieberhaft Aufgeregte
seines Charakters. Die geringe Entwicklung des Drüsen-
systems, welche den Amerikanerinnen jenen bekannten
zarten und ätherischen Ausdruck der Figur verleiht, das
starke lange, trockene Haar mag im Zusammenhang mit
der großen Trockenheit der Luft stehen. Zur Zeit des
Nordostwinds will man bemerkt haben, daß sich das
Aufgeregtsein der Leute in Amerika um ein Beträcht-
liches steigert. -- So würde das Großartige und Rapide
in der amerikanischen Staatsentwicklung, welches wir
anstaunen und wegen dessen wir die amerikanische Nation
bewundern, vielleicht zum größten Theil Folge klima-
tischer Verhältnisse sein! Wir können dabei nicht unter-
lassen, auf den mächtigen Einfluß aufmerksam zu machen,
welchen klimatische und Witterungsverhältnisse auf unsere
individuelle geistige Stimmung ausüben; und wer hätte
diese Bemerkung noch nicht an sich selbst gemacht? Unsere
Entschlüsse schwanken mit dem Barometer, und eine
Menge Dinge, die wir aus freier Wahl gethan zu haben
glauben, waren vielleicht nur Ausdrücke solcher zufälligen
Verhältnisse. Ebenso üben persönliche körperliche Zustände
einen unwiderstehlichen Einfluß auf unsere geistigen Stim-
mungen und Entschließungen. Der junge Mensch hat
andere Vorstellungen, als der alte, der Liegende denkt
anders, als der Aufrechtstehende, der Hungernde anders,
als der Gesättigte, der Behagliche anders, als der Ver-

Hals, durch das Unruhige, ſtets fieberhaft Aufgeregte
ſeines Charakters. Die geringe Entwicklung des Drüſen-
ſyſtems, welche den Amerikanerinnen jenen bekannten
zarten und ätheriſchen Ausdruck der Figur verleiht, das
ſtarke lange, trockene Haar mag im Zuſammenhang mit
der großen Trockenheit der Luft ſtehen. Zur Zeit des
Nordoſtwinds will man bemerkt haben, daß ſich das
Aufgeregtſein der Leute in Amerika um ein Beträcht-
liches ſteigert. — So würde das Großartige und Rapide
in der amerikaniſchen Staatsentwicklung, welches wir
anſtaunen und wegen deſſen wir die amerikaniſche Nation
bewundern, vielleicht zum größten Theil Folge klima-
tiſcher Verhältniſſe ſein! Wir können dabei nicht unter-
laſſen, auf den mächtigen Einfluß aufmerkſam zu machen,
welchen klimatiſche und Witterungsverhältniſſe auf unſere
individuelle geiſtige Stimmung ausüben; und wer hätte
dieſe Bemerkung noch nicht an ſich ſelbſt gemacht? Unſere
Entſchlüſſe ſchwanken mit dem Barometer, und eine
Menge Dinge, die wir aus freier Wahl gethan zu haben
glauben, waren vielleicht nur Ausdrücke ſolcher zufälligen
Verhältniſſe. Ebenſo üben perſönliche körperliche Zuſtände
einen unwiderſtehlichen Einfluß auf unſere geiſtigen Stim-
mungen und Entſchließungen. Der junge Menſch hat
andere Vorſtellungen, als der alte, der Liegende denkt
anders, als der Aufrechtſtehende, der Hungernde anders,
als der Geſättigte, der Behagliche anders, als der Ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0273" n="253"/>
Hals,</hi> durch das Unruhige, &#x017F;tets fieberhaft Aufgeregte<lb/>
&#x017F;eines Charakters. Die geringe Entwicklung des Drü&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;y&#x017F;tems, welche den Amerikanerinnen jenen bekannten<lb/>
zarten und ätheri&#x017F;chen Ausdruck der Figur verleiht, das<lb/>
&#x017F;tarke lange, trockene Haar mag im Zu&#x017F;ammenhang mit<lb/>
der großen Trockenheit der Luft &#x017F;tehen. Zur Zeit des<lb/>
Nordo&#x017F;twinds will man bemerkt haben, daß &#x017F;ich das<lb/>
Aufgeregt&#x017F;ein der Leute in Amerika um ein Beträcht-<lb/>
liches &#x017F;teigert. &#x2014; So würde das Großartige und Rapide<lb/>
in der amerikani&#x017F;chen Staatsentwicklung, welches wir<lb/>
an&#x017F;taunen und wegen de&#x017F;&#x017F;en wir die amerikani&#x017F;che Nation<lb/>
bewundern, vielleicht zum größten Theil Folge klima-<lb/>
ti&#x017F;cher Verhältni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ein! Wir können dabei nicht unter-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, auf den mächtigen Einfluß aufmerk&#x017F;am zu machen,<lb/>
welchen klimati&#x017F;che und Witterungsverhältni&#x017F;&#x017F;e auf un&#x017F;ere<lb/>
individuelle gei&#x017F;tige Stimmung ausüben; und wer hätte<lb/>
die&#x017F;e Bemerkung noch nicht an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gemacht? Un&#x017F;ere<lb/>
Ent&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e &#x017F;chwanken mit dem Barometer, und eine<lb/>
Menge Dinge, die wir aus freier Wahl gethan zu haben<lb/>
glauben, waren vielleicht nur Ausdrücke &#x017F;olcher zufälligen<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;e. Eben&#x017F;o üben per&#x017F;önliche körperliche Zu&#x017F;tände<lb/>
einen unwider&#x017F;tehlichen Einfluß auf un&#x017F;ere gei&#x017F;tigen Stim-<lb/>
mungen und Ent&#x017F;chließungen. Der junge Men&#x017F;ch hat<lb/>
andere Vor&#x017F;tellungen, als der alte, der Liegende denkt<lb/>
anders, als der Aufrecht&#x017F;tehende, der Hungernde anders,<lb/>
als der Ge&#x017F;ättigte, der Behagliche anders, als der Ver-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[253/0273] Hals, durch das Unruhige, ſtets fieberhaft Aufgeregte ſeines Charakters. Die geringe Entwicklung des Drüſen- ſyſtems, welche den Amerikanerinnen jenen bekannten zarten und ätheriſchen Ausdruck der Figur verleiht, das ſtarke lange, trockene Haar mag im Zuſammenhang mit der großen Trockenheit der Luft ſtehen. Zur Zeit des Nordoſtwinds will man bemerkt haben, daß ſich das Aufgeregtſein der Leute in Amerika um ein Beträcht- liches ſteigert. — So würde das Großartige und Rapide in der amerikaniſchen Staatsentwicklung, welches wir anſtaunen und wegen deſſen wir die amerikaniſche Nation bewundern, vielleicht zum größten Theil Folge klima- tiſcher Verhältniſſe ſein! Wir können dabei nicht unter- laſſen, auf den mächtigen Einfluß aufmerkſam zu machen, welchen klimatiſche und Witterungsverhältniſſe auf unſere individuelle geiſtige Stimmung ausüben; und wer hätte dieſe Bemerkung noch nicht an ſich ſelbſt gemacht? Unſere Entſchlüſſe ſchwanken mit dem Barometer, und eine Menge Dinge, die wir aus freier Wahl gethan zu haben glauben, waren vielleicht nur Ausdrücke ſolcher zufälligen Verhältniſſe. Ebenſo üben perſönliche körperliche Zuſtände einen unwiderſtehlichen Einfluß auf unſere geiſtigen Stim- mungen und Entſchließungen. Der junge Menſch hat andere Vorſtellungen, als der alte, der Liegende denkt anders, als der Aufrechtſtehende, der Hungernde anders, als der Geſättigte, der Behagliche anders, als der Ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/273
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/273>, abgerufen am 03.05.2024.