Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Gewissen sein, wie er handelt, vorausgesetzt, daß er
die Conflicte mit der menschlichen Gesellschaft und ihren
Gesetzen vermeidet. Man könnte demnach mit demselben
Rechte, mit dem man vorgibt, das Gute um seiner
selbst willen auszuüben, behaupten, man wolle das
Schlechte um seiner selbst willen thun, und es ließe sich
kaum etwas logisch Triftiges dagegen einwenden. -- Jn
der That nun sind alle diese theoretischen Streitigkeiten,
Vorgeben, Maximen u. s. w. nach unserer Ansicht zum
größten Theil nutz- und inhaltloses, unpraktisches Gerede,
da die Handlungen der Menschen sich nicht nach ihnen
bestimmen und niemals nach ihnen bestimmt haben. Der
Einfluß, den s. g. moralische Betrachtungen auf das
menschliche Thun sowohl im Leben der Völker als der
Einzelnen zu allen Zeiten gehabt haben und noch haben,
ist nachweisbar ein sehr geringer und im Verhältniß zu
anderweitigen Motiven verschwindend kleiner. Weder
thun wir das Gute, noch thun wir das Schlechte um
seiner selbst willen, sondern wir thun es um unserer
selbst willen, wir thun, was unserer Natur in jedem
einzelnen Falle entspricht und wozu die äußeren Umstände
am entscheidendsten hindrängen. "Gut ist," sagt Feuer-
bach,
"was dem Menschen gemäß ist, entspricht; schlecht,
verwerflich, was ihm widerspricht." -- "Die Handlungen
der Menschen," läßt Auerbach seinen Baumann
sagen, "sind unabhängig von dem, was sie über Gott

Gewiſſen ſein, wie er handelt, vorausgeſetzt, daß er
die Conflicte mit der menſchlichen Geſellſchaft und ihren
Geſetzen vermeidet. Man könnte demnach mit demſelben
Rechte, mit dem man vorgibt, das Gute um ſeiner
ſelbſt willen auszuüben, behaupten, man wolle das
Schlechte um ſeiner ſelbſt willen thun, und es ließe ſich
kaum etwas logiſch Triftiges dagegen einwenden. — Jn
der That nun ſind alle dieſe theoretiſchen Streitigkeiten,
Vorgeben, Maximen u. ſ. w. nach unſerer Anſicht zum
größten Theil nutz- und inhaltloſes, unpraktiſches Gerede,
da die Handlungen der Menſchen ſich nicht nach ihnen
beſtimmen und niemals nach ihnen beſtimmt haben. Der
Einfluß, den ſ. g. moraliſche Betrachtungen auf das
menſchliche Thun ſowohl im Leben der Völker als der
Einzelnen zu allen Zeiten gehabt haben und noch haben,
iſt nachweisbar ein ſehr geringer und im Verhältniß zu
anderweitigen Motiven verſchwindend kleiner. Weder
thun wir das Gute, noch thun wir das Schlechte um
ſeiner ſelbſt willen, ſondern wir thun es um unſerer
ſelbſt willen, wir thun, was unſerer Natur in jedem
einzelnen Falle entſpricht und wozu die äußeren Umſtände
am entſcheidendſten hindrängen. „Gut iſt,‟ ſagt Feuer-
bach,
„was dem Menſchen gemäß iſt, entſpricht; ſchlecht,
verwerflich, was ihm widerſpricht.‟ — „Die Handlungen
der Menſchen,‟ läßt Auerbach ſeinen Baumann
ſagen, „ſind unabhängig von dem, was ſie über Gott

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0268" n="248"/>
Gewi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ein, <hi rendition="#g">wie</hi> er handelt, vorausge&#x017F;etzt, daß er<lb/>
die Conflicte mit der men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft und ihren<lb/>
Ge&#x017F;etzen vermeidet. Man könnte demnach mit dem&#x017F;elben<lb/>
Rechte, mit dem man vorgibt, das Gute um &#x017F;einer<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t willen auszuüben, behaupten, man wolle das<lb/>
Schlechte um &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t willen thun, und es ließe &#x017F;ich<lb/>
kaum etwas logi&#x017F;ch Triftiges dagegen einwenden. &#x2014; Jn<lb/>
der That nun &#x017F;ind alle die&#x017F;e theoreti&#x017F;chen Streitigkeiten,<lb/>
Vorgeben, Maximen u. &#x017F;. w. nach un&#x017F;erer An&#x017F;icht zum<lb/>
größten Theil nutz- und inhaltlo&#x017F;es, unprakti&#x017F;ches Gerede,<lb/>
da die Handlungen der Men&#x017F;chen &#x017F;ich nicht nach ihnen<lb/>
be&#x017F;timmen und niemals nach ihnen be&#x017F;timmt haben. Der<lb/>
Einfluß, den &#x017F;. g. morali&#x017F;che Betrachtungen auf das<lb/>
men&#x017F;chliche Thun &#x017F;owohl im Leben der Völker als der<lb/>
Einzelnen zu allen Zeiten gehabt haben und noch haben,<lb/>
i&#x017F;t nachweisbar ein &#x017F;ehr geringer und im Verhältniß zu<lb/>
anderweitigen Motiven ver&#x017F;chwindend kleiner. Weder<lb/>
thun wir das Gute, noch thun wir das Schlechte um<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;einer</hi> &#x017F;elb&#x017F;t willen, &#x017F;ondern wir thun es um <hi rendition="#g">un&#x017F;erer</hi><lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t willen, wir thun, was un&#x017F;erer Natur in jedem<lb/>
einzelnen Falle ent&#x017F;pricht und wozu die äußeren Um&#x017F;tände<lb/>
am ent&#x017F;cheidend&#x017F;ten hindrängen. &#x201E;Gut i&#x017F;t,&#x201F; &#x017F;agt <hi rendition="#g">Feuer-<lb/>
bach,</hi> &#x201E;was dem Men&#x017F;chen gemäß i&#x017F;t, ent&#x017F;pricht; &#x017F;chlecht,<lb/>
verwerflich, was ihm wider&#x017F;pricht.&#x201F; &#x2014; &#x201E;Die Handlungen<lb/>
der Men&#x017F;chen,&#x201F; läßt <hi rendition="#g">Auerbach</hi> &#x017F;einen <hi rendition="#g">Baumann</hi><lb/>
&#x017F;agen, &#x201E;&#x017F;ind unabhängig von dem, was &#x017F;ie über Gott<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0268] Gewiſſen ſein, wie er handelt, vorausgeſetzt, daß er die Conflicte mit der menſchlichen Geſellſchaft und ihren Geſetzen vermeidet. Man könnte demnach mit demſelben Rechte, mit dem man vorgibt, das Gute um ſeiner ſelbſt willen auszuüben, behaupten, man wolle das Schlechte um ſeiner ſelbſt willen thun, und es ließe ſich kaum etwas logiſch Triftiges dagegen einwenden. — Jn der That nun ſind alle dieſe theoretiſchen Streitigkeiten, Vorgeben, Maximen u. ſ. w. nach unſerer Anſicht zum größten Theil nutz- und inhaltloſes, unpraktiſches Gerede, da die Handlungen der Menſchen ſich nicht nach ihnen beſtimmen und niemals nach ihnen beſtimmt haben. Der Einfluß, den ſ. g. moraliſche Betrachtungen auf das menſchliche Thun ſowohl im Leben der Völker als der Einzelnen zu allen Zeiten gehabt haben und noch haben, iſt nachweisbar ein ſehr geringer und im Verhältniß zu anderweitigen Motiven verſchwindend kleiner. Weder thun wir das Gute, noch thun wir das Schlechte um ſeiner ſelbſt willen, ſondern wir thun es um unſerer ſelbſt willen, wir thun, was unſerer Natur in jedem einzelnen Falle entſpricht und wozu die äußeren Umſtände am entſcheidendſten hindrängen. „Gut iſt,‟ ſagt Feuer- bach, „was dem Menſchen gemäß iſt, entſpricht; ſchlecht, verwerflich, was ihm widerſpricht.‟ — „Die Handlungen der Menſchen,‟ läßt Auerbach ſeinen Baumann ſagen, „ſind unabhängig von dem, was ſie über Gott

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/268
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/268>, abgerufen am 03.05.2024.