sicht auf eine ewige Belohnung suchen, hat man gewiß mit dem vollkommensten Fug und Recht geantwortet, daß die Beweggründe, welche sie für die Ausübung der Tu- gend aufstellen, derart gemeiner und eigennütziger Natur seien, daß damit jeder wirklichen Moral vor den Kopf gestoßen würde. Um eines äußeren, wenn auch erst später zu erwartenden Vortheils willen das Gute zu thun -- kann nicht Verdienst, sondern nur schlaue Be- rechnung sein. Es drückt sich diese Denkweise recht offen in den naiven Worten Luther's aus: "Jch wollte nicht einen Augenblick im Himmel für aller Welt Gut und Freude geben, ob es gleich Tausend und aber Tau- send Jahre währte" -- und es charakterisirt sich darin deutlich der Standpunkt Derjenigen, welche aus persön- lichem Jnteresse sittlichen Geboten folgen und Gutes an ihren Mitmenschen thun, damit es im Himmel an ihnen selbst tausendfältig wieder vergolten werde. Sie han- deln wie ein Jude, der auf Zinsen wuchert. Nicht bloß Heuchelei und niedrige Berechnung, sondern auch ein un- erträglicher Hochmuth drückt sich in dieser Denkweise aus. Sowohl auf Erden, als auch jenseits die Ersten und Bevorzugten zu sein, auf den vordersten Stühlen zu sitzen -- das war von je und ist heute noch das Streben und der Glaube dieser Art von Moralisten. "Die Frommen", sagt Börne, "sehen den Himmel für einen Hof an und blicken mit Verachtung auf alle diejenigen
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ſicht auf eine ewige Belohnung ſuchen, hat man gewiß mit dem vollkommenſten Fug und Recht geantwortet, daß die Beweggründe, welche ſie für die Ausübung der Tu- gend aufſtellen, derart gemeiner und eigennütziger Natur ſeien, daß damit jeder wirklichen Moral vor den Kopf geſtoßen würde. Um eines äußeren, wenn auch erſt ſpäter zu erwartenden Vortheils willen das Gute zu thun — kann nicht Verdienſt, ſondern nur ſchlaue Be- rechnung ſein. Es drückt ſich dieſe Denkweiſe recht offen in den naiven Worten Luther’s aus: „Jch wollte nicht einen Augenblick im Himmel für aller Welt Gut und Freude geben, ob es gleich Tauſend und aber Tau- ſend Jahre währte‟ — und es charakteriſirt ſich darin deutlich der Standpunkt Derjenigen, welche aus perſön- lichem Jntereſſe ſittlichen Geboten folgen und Gutes an ihren Mitmenſchen thun, damit es im Himmel an ihnen ſelbſt tauſendfältig wieder vergolten werde. Sie han- deln wie ein Jude, der auf Zinſen wuchert. Nicht bloß Heuchelei und niedrige Berechnung, ſondern auch ein un- erträglicher Hochmuth drückt ſich in dieſer Denkweiſe aus. Sowohl auf Erden, als auch jenſeits die Erſten und Bevorzugten zu ſein, auf den vorderſten Stühlen zu ſitzen — das war von je und iſt heute noch das Streben und der Glaube dieſer Art von Moraliſten. „Die Frommen‟, ſagt Börne, „ſehen den Himmel für einen Hof an und blicken mit Verachtung auf alle diejenigen
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ſicht auf eine ewige Belohnung ſuchen, hat man gewiß
mit dem vollkommenſten Fug und Recht geantwortet, daß
die Beweggründe, welche ſie für die Ausübung der Tu-
gend aufſtellen, derart gemeiner und eigennütziger Natur
ſeien, daß damit jeder wirklichen Moral vor den Kopf
geſtoßen würde. Um eines äußeren, wenn auch erſt
ſpäter zu erwartenden Vortheils willen das Gute zu
thun — kann nicht Verdienſt, ſondern nur ſchlaue Be-
rechnung ſein. Es drückt ſich dieſe Denkweiſe recht offen
in den naiven Worten Luther’s aus: „Jch wollte
nicht einen Augenblick im Himmel für aller Welt Gut
und Freude geben, ob es gleich Tauſend und aber Tau-
ſend Jahre währte‟ — und es charakteriſirt ſich darin
deutlich der Standpunkt Derjenigen, welche aus perſön-
lichem Jntereſſe ſittlichen Geboten folgen und Gutes an
ihren Mitmenſchen thun, damit es im Himmel an ihnen
ſelbſt tauſendfältig wieder vergolten werde. Sie han-
deln wie ein Jude, der auf Zinſen wuchert. Nicht bloß
Heuchelei und niedrige Berechnung, ſondern auch ein un-
erträglicher Hochmuth drückt ſich in dieſer Denkweiſe
aus. Sowohl auf Erden, als auch jenſeits die Erſten
und Bevorzugten zu ſein, auf den vorderſten Stühlen zu
ſitzen — das war von je und iſt heute noch das Streben
und der Glaube dieſer Art von Moraliſten. „Die
Frommen‟, ſagt Börne, „ſehen den Himmel für einen
Hof an und blicken mit Verachtung auf alle diejenigen
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/263>, abgerufen am 25.11.2024.
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