Der Mensch ist frei, wie der Vogel im Käfig; er kann sich innerhalb gewisser Grenzen bewegen. Lavater. Ein freier Wille, eine Willensthat, die un- abhängig wäre von der Summe der Einflüsse, die in jedem einzelnen Augenblicke den Men- schen bestimmen und auch dem Mächtigsten seine Schranken setzen, besteht nicht. Moleschott.
Und die Moral? -- So hören wir bereits im Geiste ein endloses Heer fanatischer Moralisten, nachdem sie den Versuch gemacht haben, unserm Gedankengange bis hierher zu folgen, aus tausend Kehlen rufen, und sehen sie bereit, mit Zähnen und Fäusten und allem theologischem Kriegsgeräth ihres wohlgefüllten Arsenals auf unsere, wie sie denken, aus höheren Gründen un- haltbare Position einzudringen. Und die Moral!? Wenn es keine höheren Mächte, keine im Himmel richtenden
Büchner, Kraft und Stoff. 16
Der freie Wille.
Der Menſch iſt frei, wie der Vogel im Käfig; er kann ſich innerhalb gewiſſer Grenzen bewegen. Lavater. Ein freier Wille, eine Willensthat, die un- abhängig wäre von der Summe der Einflüſſe, die in jedem einzelnen Augenblicke den Men- ſchen beſtimmen und auch dem Mächtigſten ſeine Schranken ſetzen, beſteht nicht. Moleſchott.
Und die Moral? — So hören wir bereits im Geiſte ein endloſes Heer fanatiſcher Moraliſten, nachdem ſie den Verſuch gemacht haben, unſerm Gedankengange bis hierher zu folgen, aus tauſend Kehlen rufen, und ſehen ſie bereit, mit Zähnen und Fäuſten und allem theologiſchem Kriegsgeräth ihres wohlgefüllten Arſenals auf unſere, wie ſie denken, aus höheren Gründen un- haltbare Poſition einzudringen. Und die Moral!? Wenn es keine höheren Mächte, keine im Himmel richtenden
Büchner, Kraft und Stoff. 16
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Der freie Wille.
Der Menſch iſt frei, wie der Vogel im
Käfig; er kann ſich innerhalb gewiſſer Grenzen
bewegen.
Lavater.
Ein freier Wille, eine Willensthat, die un-
abhängig wäre von der Summe der Einflüſſe,
die in jedem einzelnen Augenblicke den Men-
ſchen beſtimmen und auch dem Mächtigſten
ſeine Schranken ſetzen, beſteht nicht.
Moleſchott.
Und die Moral? — So hören wir bereits im
Geiſte ein endloſes Heer fanatiſcher Moraliſten, nachdem
ſie den Verſuch gemacht haben, unſerm Gedankengange
bis hierher zu folgen, aus tauſend Kehlen rufen, und
ſehen ſie bereit, mit Zähnen und Fäuſten und allem
theologiſchem Kriegsgeräth ihres wohlgefüllten Arſenals
auf unſere, wie ſie denken, aus höheren Gründen un-
haltbare Poſition einzudringen. Und die Moral!? Wenn
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/261>, abgerufen am 08.07.2024.
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