Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

der Schöpfung zu sehen, und die Erde und Alles, was
auf ihr lebt, so zu betrachten, als sei es von einem
gütigen Schöpfer zu seinem Nutzen und Wohnsitz erschaffen
worden. Ein Blick auf die Geschichte der Erde und auf
die geographische Verbreitung des Menschengeschlechts
könnte ihn Bescheidenheit lehren. Wie lange bestand die
Erde ohne ihn! und wie gering ist seine eigene Aus-
breitung über dieselbe selbst jetzt noch, nachdem viele
Jahrtausende hindurch sein Geschlecht nur ein winziges
Häuflein bildete. Und wer behaupten wollte, die Erde
könnte nicht wohnlicher für den Menschen eingerichtet
sein, würde sich gewiß einer Lächerlichkeit schuldig machen.
Mit welchen unendlichen Schwierigkeiten muß der Mensch
kämpfen, bis er ein Fleckchen Erde zu seinem Wohnsitz
tauglich macht, und wie große Strecken Landes sind
durch Boden oder Klima seiner Ansiedelung geradezu
verschlossen! Kein Wesen kann dazu bestimmt sein, für
den Nutzen des Menschen zu leben; Alles, was lebt,
hat das gleiche Recht der Existenz, und es ist nur das
Recht des Stärkeren, welches dem Menschen erlaubt,
sich andere Wesen dienstbar zu machen oder zu tödten.
Es gibt keine Zwecke, welche die Natur zu Gunsten
eines Bevorzugten zu erreichen bemüht wäre; die Natur
ist sich selbst Zweck, sich selbst erzeugend, sich selbst
erfüllend!



der Schöpfung zu ſehen, und die Erde und Alles, was
auf ihr lebt, ſo zu betrachten, als ſei es von einem
gütigen Schöpfer zu ſeinem Nutzen und Wohnſitz erſchaffen
worden. Ein Blick auf die Geſchichte der Erde und auf
die geographiſche Verbreitung des Menſchengeſchlechts
könnte ihn Beſcheidenheit lehren. Wie lange beſtand die
Erde ohne ihn! und wie gering iſt ſeine eigene Aus-
breitung über dieſelbe ſelbſt jetzt noch, nachdem viele
Jahrtauſende hindurch ſein Geſchlecht nur ein winziges
Häuflein bildete. Und wer behaupten wollte, die Erde
könnte nicht wohnlicher für den Menſchen eingerichtet
ſein, würde ſich gewiß einer Lächerlichkeit ſchuldig machen.
Mit welchen unendlichen Schwierigkeiten muß der Menſch
kämpfen, bis er ein Fleckchen Erde zu ſeinem Wohnſitz
tauglich macht, und wie große Strecken Landes ſind
durch Boden oder Klima ſeiner Anſiedelung geradezu
verſchloſſen! Kein Weſen kann dazu beſtimmt ſein, für
den Nutzen des Menſchen zu leben; Alles, was lebt,
hat das gleiche Recht der Exiſtenz, und es iſt nur das
Recht des Stärkeren, welches dem Menſchen erlaubt,
ſich andere Weſen dienſtbar zu machen oder zu tödten.
Es gibt keine Zwecke, welche die Natur zu Gunſten
eines Bevorzugten zu erreichen bemüht wäre; die Natur
iſt ſich ſelbſt Zweck, ſich ſelbſt erzeugend, ſich ſelbſt
erfüllend!



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0130" n="110"/>
der Schöpfung zu &#x017F;ehen, und die Erde und Alles, was<lb/>
auf ihr lebt, &#x017F;o zu betrachten, als &#x017F;ei es von einem<lb/>
gütigen Schöpfer zu &#x017F;einem Nutzen und Wohn&#x017F;itz er&#x017F;chaffen<lb/>
worden. Ein Blick auf die Ge&#x017F;chichte der Erde und auf<lb/>
die geographi&#x017F;che Verbreitung des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts<lb/>
könnte ihn Be&#x017F;cheidenheit lehren. Wie lange be&#x017F;tand die<lb/>
Erde ohne ihn! und wie gering i&#x017F;t &#x017F;eine eigene Aus-<lb/>
breitung über die&#x017F;elbe &#x017F;elb&#x017F;t jetzt noch, nachdem viele<lb/>
Jahrtau&#x017F;ende hindurch &#x017F;ein Ge&#x017F;chlecht nur ein winziges<lb/>
Häuflein bildete. Und wer behaupten wollte, die Erde<lb/>
könnte nicht wohnlicher für den Men&#x017F;chen eingerichtet<lb/>
&#x017F;ein, würde &#x017F;ich gewiß einer Lächerlichkeit &#x017F;chuldig machen.<lb/>
Mit welchen unendlichen Schwierigkeiten muß der Men&#x017F;ch<lb/>
kämpfen, bis er ein Fleckchen Erde zu &#x017F;einem Wohn&#x017F;itz<lb/>
tauglich macht, und wie große Strecken Landes &#x017F;ind<lb/>
durch Boden oder Klima &#x017F;einer An&#x017F;iedelung geradezu<lb/>
ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en! Kein We&#x017F;en kann dazu be&#x017F;timmt &#x017F;ein, für<lb/>
den Nutzen des Men&#x017F;chen zu leben; Alles, was lebt,<lb/>
hat das gleiche Recht der Exi&#x017F;tenz, und es i&#x017F;t nur das<lb/>
Recht des Stärkeren, welches dem Men&#x017F;chen erlaubt,<lb/>
&#x017F;ich andere We&#x017F;en dien&#x017F;tbar zu machen oder zu tödten.<lb/>
Es gibt keine Zwecke, welche die Natur zu Gun&#x017F;ten<lb/>
eines Bevorzugten zu erreichen bemüht wäre; die Natur<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t Zweck, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t erzeugend, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
erfüllend!</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0130] der Schöpfung zu ſehen, und die Erde und Alles, was auf ihr lebt, ſo zu betrachten, als ſei es von einem gütigen Schöpfer zu ſeinem Nutzen und Wohnſitz erſchaffen worden. Ein Blick auf die Geſchichte der Erde und auf die geographiſche Verbreitung des Menſchengeſchlechts könnte ihn Beſcheidenheit lehren. Wie lange beſtand die Erde ohne ihn! und wie gering iſt ſeine eigene Aus- breitung über dieſelbe ſelbſt jetzt noch, nachdem viele Jahrtauſende hindurch ſein Geſchlecht nur ein winziges Häuflein bildete. Und wer behaupten wollte, die Erde könnte nicht wohnlicher für den Menſchen eingerichtet ſein, würde ſich gewiß einer Lächerlichkeit ſchuldig machen. Mit welchen unendlichen Schwierigkeiten muß der Menſch kämpfen, bis er ein Fleckchen Erde zu ſeinem Wohnſitz tauglich macht, und wie große Strecken Landes ſind durch Boden oder Klima ſeiner Anſiedelung geradezu verſchloſſen! Kein Weſen kann dazu beſtimmt ſein, für den Nutzen des Menſchen zu leben; Alles, was lebt, hat das gleiche Recht der Exiſtenz, und es iſt nur das Recht des Stärkeren, welches dem Menſchen erlaubt, ſich andere Weſen dienſtbar zu machen oder zu tödten. Es gibt keine Zwecke, welche die Natur zu Gunſten eines Bevorzugten zu erreichen bemüht wäre; die Natur iſt ſich ſelbſt Zweck, ſich ſelbſt erzeugend, ſich ſelbſt erfüllend!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/130
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/130>, abgerufen am 22.11.2024.