Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

durch Husten aus der Luftröhre entfernt wird. Sollte
es möglich sein, daß solche philosophische Anschauungs-
weisen, welche der Natur ein Mißtrauen zutrauen,
allgemeiner geltend würden, so müßte jede wahre Natur-
forschung ein Ende haben und sich in einen unthätigen
Glauben auflösen. Daß aber derselbe und als Autori-
tät angesehene
Schriftsteller zwei einander so wider-
sprechende philosophische Glaubenssätze in einem Athem
aussprechen kann, beweist für die philosophische Haltungs-
losigkeit und Querköpfigkeit unserer Zeit.*) Wenn die
Natur nach Lotze Grund hatte, dem Erfindungsgeist der
Seele zu mißtrauen, so hätte sie noch weiter unendliche
Gelegenheit gehabt, vorsorgliche Einrichtungen für ge-
wisse Eventualitäten zu treffen, sie hätte bewirken kön-
nen, daß die Kugeln aus dem Körper wieder heraus-
springen, und daß die Schwerter treffen, ohne zu schnei-
den. Ein fremder Körper in der Luftröhre wird viel-
leicht
durch Husten wieder entfernt, aber ein fremder

*) Karl Vogt nennt in seiner neuesten Schrift "Köhlerglaube
und Wissenschaft" Herrn Lotze einen "spekulirenden Struwwel-
peter" -- eine Bezeichnung, welche in der That nicht treffen-
der hätte gewählt werden können. Wir nehmen indessen an
dieser Stelle Gelegenheit, zu bemerken, daß uns die Vogt'sche
Schrift erst während des Druckes unserer eigenen zukam.
Der Leser wird darnach die vorhandenen Anklänge an einige
Stellen derselben nur als zufällige betrachten dürfen.

durch Huſten aus der Luftröhre entfernt wird. Sollte
es möglich ſein, daß ſolche philoſophiſche Anſchauungs-
weiſen, welche der Natur ein Mißtrauen zutrauen,
allgemeiner geltend würden, ſo müßte jede wahre Natur-
forſchung ein Ende haben und ſich in einen unthätigen
Glauben auflöſen. Daß aber derſelbe und als Autori-
tät angeſehene
Schriftſteller zwei einander ſo wider-
ſprechende philoſophiſche Glaubensſätze in einem Athem
ausſprechen kann, beweiſt für die philoſophiſche Haltungs-
loſigkeit und Querköpfigkeit unſerer Zeit.*) Wenn die
Natur nach Lotze Grund hatte, dem Erfindungsgeiſt der
Seele zu mißtrauen, ſo hätte ſie noch weiter unendliche
Gelegenheit gehabt, vorſorgliche Einrichtungen für ge-
wiſſe Eventualitäten zu treffen, ſie hätte bewirken kön-
nen, daß die Kugeln aus dem Körper wieder heraus-
ſpringen, und daß die Schwerter treffen, ohne zu ſchnei-
den. Ein fremder Körper in der Luftröhre wird viel-
leicht
durch Huſten wieder entfernt, aber ein fremder

*) Karl Vogt nennt in ſeiner neueſten Schrift „Köhlerglaube
und Wiſſenſchaft‟ Herrn Lotze einen „ſpekulirenden Struwwel-
peter‟ — eine Bezeichnung, welche in der That nicht treffen-
der hätte gewählt werden können. Wir nehmen indeſſen an
dieſer Stelle Gelegenheit, zu bemerken, daß uns die Vogt’ſche
Schrift erſt während des Druckes unſerer eigenen zukam.
Der Leſer wird darnach die vorhandenen Anklänge an einige
Stellen derſelben nur als zufällige betrachten dürfen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0125" n="105"/>
durch Hu&#x017F;ten aus der Luftröhre entfernt wird. Sollte<lb/>
es möglich &#x017F;ein, daß &#x017F;olche philo&#x017F;ophi&#x017F;che An&#x017F;chauungs-<lb/>
wei&#x017F;en, welche der Natur ein <hi rendition="#g">Mißtrauen</hi> zutrauen,<lb/>
allgemeiner geltend würden, &#x017F;o müßte jede wahre Natur-<lb/>
for&#x017F;chung ein Ende haben und &#x017F;ich in einen unthätigen<lb/>
Glauben auflö&#x017F;en. Daß aber der&#x017F;elbe <hi rendition="#g">und als Autori-<lb/>
tät ange&#x017F;ehene</hi> Schrift&#x017F;teller zwei einander &#x017F;o wider-<lb/>
&#x017F;prechende philo&#x017F;ophi&#x017F;che Glaubens&#x017F;ätze in <hi rendition="#g">einem</hi> Athem<lb/>
aus&#x017F;prechen kann, bewei&#x017F;t für die philo&#x017F;ophi&#x017F;che Haltungs-<lb/>
lo&#x017F;igkeit und Querköpfigkeit un&#x017F;erer Zeit.<note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Karl Vogt</hi> nennt in &#x017F;einer neue&#x017F;ten Schrift &#x201E;Köhlerglaube<lb/>
und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft&#x201F; Herrn <hi rendition="#g">Lotze</hi> einen &#x201E;&#x017F;pekulirenden Struwwel-<lb/>
peter&#x201F; &#x2014; eine Bezeichnung, welche in der That nicht treffen-<lb/>
der hätte gewählt werden können. Wir nehmen inde&#x017F;&#x017F;en an<lb/>
die&#x017F;er Stelle Gelegenheit, zu bemerken, daß uns die Vogt&#x2019;&#x017F;che<lb/>
Schrift er&#x017F;t während des Druckes un&#x017F;erer eigenen zukam.<lb/>
Der Le&#x017F;er wird darnach die vorhandenen Anklänge an einige<lb/>
Stellen der&#x017F;elben nur als <hi rendition="#g">zufällige</hi> betrachten dürfen.</note> Wenn die<lb/>
Natur nach Lotze Grund hatte, dem Erfindungsgei&#x017F;t der<lb/>
Seele zu mißtrauen, &#x017F;o hätte &#x017F;ie noch weiter unendliche<lb/>
Gelegenheit gehabt, vor&#x017F;orgliche Einrichtungen für ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e Eventualitäten zu treffen, &#x017F;ie hätte bewirken kön-<lb/>
nen, daß die Kugeln aus dem Körper wieder heraus-<lb/>
&#x017F;pringen, und daß die Schwerter treffen, ohne zu &#x017F;chnei-<lb/>
den. Ein fremder Körper in der Luftröhre wird <hi rendition="#g">viel-<lb/>
leicht</hi> durch Hu&#x017F;ten wieder entfernt, aber ein fremder<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0125] durch Huſten aus der Luftröhre entfernt wird. Sollte es möglich ſein, daß ſolche philoſophiſche Anſchauungs- weiſen, welche der Natur ein Mißtrauen zutrauen, allgemeiner geltend würden, ſo müßte jede wahre Natur- forſchung ein Ende haben und ſich in einen unthätigen Glauben auflöſen. Daß aber derſelbe und als Autori- tät angeſehene Schriftſteller zwei einander ſo wider- ſprechende philoſophiſche Glaubensſätze in einem Athem ausſprechen kann, beweiſt für die philoſophiſche Haltungs- loſigkeit und Querköpfigkeit unſerer Zeit. *) Wenn die Natur nach Lotze Grund hatte, dem Erfindungsgeiſt der Seele zu mißtrauen, ſo hätte ſie noch weiter unendliche Gelegenheit gehabt, vorſorgliche Einrichtungen für ge- wiſſe Eventualitäten zu treffen, ſie hätte bewirken kön- nen, daß die Kugeln aus dem Körper wieder heraus- ſpringen, und daß die Schwerter treffen, ohne zu ſchnei- den. Ein fremder Körper in der Luftröhre wird viel- leicht durch Huſten wieder entfernt, aber ein fremder *) Karl Vogt nennt in ſeiner neueſten Schrift „Köhlerglaube und Wiſſenſchaft‟ Herrn Lotze einen „ſpekulirenden Struwwel- peter‟ — eine Bezeichnung, welche in der That nicht treffen- der hätte gewählt werden können. Wir nehmen indeſſen an dieſer Stelle Gelegenheit, zu bemerken, daß uns die Vogt’ſche Schrift erſt während des Druckes unſerer eigenen zukam. Der Leſer wird darnach die vorhandenen Anklänge an einige Stellen derſelben nur als zufällige betrachten dürfen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/125
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/125>, abgerufen am 22.11.2024.