Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

aus niederen, Schritt haltend mit den Entwicklungsstufen
der Erde, der Umstand namentlich, daß die Entstehung
organischer Wesen nicht ein momentaner, sondern ein
durch alle geologischen Perioden hindurch fortdauernder
Prozeß war, daß jede geologische Periode durch ihre be-
sonderen Geschöpfe charakterisirt wird, von denen nur
einzelne aus einem Zeitabschnitt in den andern hinein-
ragen -- beruhen auf unumstößlichen Thatsachen und sind
gänzlich und durchaus unvereinbar mit dem Gedanken
an eine persönliche und mit Machtvollkommenheit aus-
gerüstete Schöpferkraft, welche sich unmöglich zu einer
derartigen langsamen, allmähligen und mühsamen Schöpf-
ungsarbeit bequemen und sich in dieser Arbeit abhängig
von den natürlichen Entwicklungsphasen der Erde machen
konnte. Jm Gegensatze dazu mußte die Arbeit der Natur
bei ihren halb zufälligen, halb nothwendigen Erzeugnissen
eine unendlich langsame, allmählige, stufenweise, nicht
vorherbedachte sein. So erblicken wir denn in dieser
Arbeit nirgends einen ganz unvermittelten, auf persönliche
Willkühr deutenden Sprung; Form reiht sich an Form,
Uebergang an Uebergang. Unvermerkt geht die Pflanze
in das Thier, das Thier in den Menschen über. Trotz
aller Bemühungen ist man doch bis auf den heutigen
Tag nicht im Stande gewesen, eine feste Grenze zwischen
Thier- und Pflanzenreich, zwei anscheinend so streng ge-
trennten Abtheilungen organischer Wesen, aufzufinden,

aus niederen, Schritt haltend mit den Entwicklungsſtufen
der Erde, der Umſtand namentlich, daß die Entſtehung
organiſcher Weſen nicht ein momentaner, ſondern ein
durch alle geologiſchen Perioden hindurch fortdauernder
Prozeß war, daß jede geologiſche Periode durch ihre be-
ſonderen Geſchöpfe charakteriſirt wird, von denen nur
einzelne aus einem Zeitabſchnitt in den andern hinein-
ragen — beruhen auf unumſtößlichen Thatſachen und ſind
gänzlich und durchaus unvereinbar mit dem Gedanken
an eine perſönliche und mit Machtvollkommenheit aus-
gerüſtete Schöpferkraft, welche ſich unmöglich zu einer
derartigen langſamen, allmähligen und mühſamen Schöpf-
ungsarbeit bequemen und ſich in dieſer Arbeit abhängig
von den natürlichen Entwicklungsphaſen der Erde machen
konnte. Jm Gegenſatze dazu mußte die Arbeit der Natur
bei ihren halb zufälligen, halb nothwendigen Erzeugniſſen
eine unendlich langſame, allmählige, ſtufenweiſe, nicht
vorherbedachte ſein. So erblicken wir denn in dieſer
Arbeit nirgends einen ganz unvermittelten, auf perſönliche
Willkühr deutenden Sprung; Form reiht ſich an Form,
Uebergang an Uebergang. Unvermerkt geht die Pflanze
in das Thier, das Thier in den Menſchen über. Trotz
aller Bemühungen iſt man doch bis auf den heutigen
Tag nicht im Stande geweſen, eine feſte Grenze zwiſchen
Thier- und Pflanzenreich, zwei anſcheinend ſo ſtreng ge-
trennten Abtheilungen organiſcher Weſen, aufzufinden,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0110" n="90"/>
aus niederen, Schritt haltend mit den Entwicklungs&#x017F;tufen<lb/>
der Erde, der Um&#x017F;tand namentlich, daß die Ent&#x017F;tehung<lb/>
organi&#x017F;cher We&#x017F;en nicht ein momentaner, &#x017F;ondern ein<lb/>
durch alle geologi&#x017F;chen Perioden hindurch fortdauernder<lb/>
Prozeß war, daß jede geologi&#x017F;che Periode durch ihre be-<lb/>
&#x017F;onderen Ge&#x017F;chöpfe charakteri&#x017F;irt wird, von denen nur<lb/>
einzelne aus einem Zeitab&#x017F;chnitt in den andern hinein-<lb/>
ragen &#x2014; beruhen auf unum&#x017F;tößlichen That&#x017F;achen und &#x017F;ind<lb/>
gänzlich und durchaus unvereinbar mit dem Gedanken<lb/>
an eine per&#x017F;önliche und mit Machtvollkommenheit aus-<lb/>
gerü&#x017F;tete Schöpferkraft, welche &#x017F;ich unmöglich zu einer<lb/>
derartigen lang&#x017F;amen, allmähligen und müh&#x017F;amen Schöpf-<lb/>
ungsarbeit bequemen und &#x017F;ich in die&#x017F;er Arbeit abhängig<lb/>
von den natürlichen Entwicklungspha&#x017F;en der Erde machen<lb/>
konnte. Jm Gegen&#x017F;atze dazu mußte die Arbeit der Natur<lb/>
bei ihren halb zufälligen, halb nothwendigen Erzeugni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
eine unendlich lang&#x017F;ame, allmählige, &#x017F;tufenwei&#x017F;e, nicht<lb/>
vorherbedachte &#x017F;ein. So erblicken wir denn in die&#x017F;er<lb/>
Arbeit nirgends einen ganz unvermittelten, auf per&#x017F;önliche<lb/>
Willkühr deutenden Sprung; Form reiht &#x017F;ich an Form,<lb/>
Uebergang an Uebergang. Unvermerkt geht die Pflanze<lb/>
in das Thier, das Thier in den Men&#x017F;chen über. Trotz<lb/>
aller Bemühungen i&#x017F;t man doch bis auf den heutigen<lb/>
Tag nicht im Stande gewe&#x017F;en, eine fe&#x017F;te Grenze zwi&#x017F;chen<lb/>
Thier- und Pflanzenreich, zwei an&#x017F;cheinend &#x017F;o &#x017F;treng ge-<lb/>
trennten Abtheilungen organi&#x017F;cher We&#x017F;en, aufzufinden,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0110] aus niederen, Schritt haltend mit den Entwicklungsſtufen der Erde, der Umſtand namentlich, daß die Entſtehung organiſcher Weſen nicht ein momentaner, ſondern ein durch alle geologiſchen Perioden hindurch fortdauernder Prozeß war, daß jede geologiſche Periode durch ihre be- ſonderen Geſchöpfe charakteriſirt wird, von denen nur einzelne aus einem Zeitabſchnitt in den andern hinein- ragen — beruhen auf unumſtößlichen Thatſachen und ſind gänzlich und durchaus unvereinbar mit dem Gedanken an eine perſönliche und mit Machtvollkommenheit aus- gerüſtete Schöpferkraft, welche ſich unmöglich zu einer derartigen langſamen, allmähligen und mühſamen Schöpf- ungsarbeit bequemen und ſich in dieſer Arbeit abhängig von den natürlichen Entwicklungsphaſen der Erde machen konnte. Jm Gegenſatze dazu mußte die Arbeit der Natur bei ihren halb zufälligen, halb nothwendigen Erzeugniſſen eine unendlich langſame, allmählige, ſtufenweiſe, nicht vorherbedachte ſein. So erblicken wir denn in dieſer Arbeit nirgends einen ganz unvermittelten, auf perſönliche Willkühr deutenden Sprung; Form reiht ſich an Form, Uebergang an Uebergang. Unvermerkt geht die Pflanze in das Thier, das Thier in den Menſchen über. Trotz aller Bemühungen iſt man doch bis auf den heutigen Tag nicht im Stande geweſen, eine feſte Grenze zwiſchen Thier- und Pflanzenreich, zwei anſcheinend ſo ſtreng ge- trennten Abtheilungen organiſcher Weſen, aufzufinden,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/110
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/110>, abgerufen am 22.11.2024.