Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Danton's Tod. Frankfurt (Main), 1835.

Bild:
<< vorherige Seite
Ach scheiden, ach scheiden, ach scheiden,
Wer hat sich das Scheiden erdacht?

Wie kommt mir grade das in den Kopf? Das ist
nicht gut, daß es den Weg so von selbst findet. -- Wie
er hinaus ist, war mir's, als könnte er nicht mehr
umkehren, und müsse immer weiter weg von mir,
immer weiter. -- Wie das Zimmer so leer ist; die
Fenster stehen offen, als hätte ein Todter darin ge-
legen. Ich halt' es da oben nicht aus.

(Sie geht.)

Freies Feld.
Danton.
Ich mag nicht weiter. Ich mag in dieser Stille
mit dem Geplauder meiner Tritte und dem Keuchen
meines Athems nicht Lärmen machen. (Er setzt sich
nieder, nach einer Pause.)
Man hat mir von einer
Krankheit erzählt, die einem das Gedächtniß verlie-
ren mache. Der Tod soll etwas davon haben.
Dann kommt mir manchmal die Hoffnung, daß
er vielleicht noch kräftiger wirke und einem Alles
verlieren mache. -- Wenn das wäre! -- Dann lief'
ich wie ein Christ, um einen Feind, d. h. mein
Gedächtniß, zu retten. -- Der Ort soll sicher sein,
Ach ſcheiden, ach ſcheiden, ach ſcheiden,
Wer hat ſich das Scheiden erdacht?

Wie kommt mir grade das in den Kopf? Das iſt
nicht gut, daß es den Weg ſo von ſelbſt findet. — Wie
er hinaus iſt, war mir’s, als könnte er nicht mehr
umkehren, und müſſe immer weiter weg von mir,
immer weiter. — Wie das Zimmer ſo leer iſt; die
Fenſter ſtehen offen, als hätte ein Todter darin ge-
legen. Ich halt’ es da oben nicht aus.

(Sie geht.)

Freies Feld.
Danton.
Ich mag nicht weiter. Ich mag in dieſer Stille
mit dem Geplauder meiner Tritte und dem Keuchen
meines Athems nicht Lärmen machen. (Er ſetzt ſich
nieder, nach einer Pauſe.)
Man hat mir von einer
Krankheit erzählt, die einem das Gedächtniß verlie-
ren mache. Der Tod ſoll etwas davon haben.
Dann kommt mir manchmal die Hoffnung, daß
er vielleicht noch kräftiger wirke und einem Alles
verlieren mache. — Wenn das wäre! — Dann lief’
ich wie ein Chriſt, um einen Feind, d. h. mein
Gedächtniß, zu retten. — Der Ort ſoll ſicher ſein,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0076" n="72"/>
          <lg type="poem">
            <l>Ach &#x017F;cheiden, ach &#x017F;cheiden, ach &#x017F;cheiden,</l><lb/>
            <l>Wer hat &#x017F;ich das Scheiden erdacht?</l>
          </lg><lb/>
          <p>Wie kommt mir grade das in den Kopf? Das i&#x017F;t<lb/>
nicht gut, daß es den Weg &#x017F;o von &#x017F;elb&#x017F;t findet. &#x2014; Wie<lb/>
er hinaus i&#x017F;t, war mir&#x2019;s, als könnte er nicht mehr<lb/>
umkehren, und mü&#x017F;&#x017F;e immer weiter weg von mir,<lb/>
immer weiter. &#x2014; Wie das Zimmer &#x017F;o leer i&#x017F;t; die<lb/>
Fen&#x017F;ter &#x017F;tehen offen, als hätte ein Todter darin ge-<lb/>
legen. Ich halt&#x2019; es da oben nicht aus.</p>
          <stage>(Sie geht.)</stage>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Freies Feld.</hi> </hi> </head><lb/>
          <sp who="#DAN">
            <speaker> <hi rendition="#g">Danton.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Ich mag nicht weiter. Ich mag in die&#x017F;er Stille<lb/>
mit dem Geplauder meiner Tritte und dem Keuchen<lb/>
meines Athems nicht Lärmen machen. <stage>(Er &#x017F;etzt &#x017F;ich<lb/>
nieder, nach einer Pau&#x017F;e.)</stage> Man hat mir von einer<lb/>
Krankheit erzählt, die einem das Gedächtniß verlie-<lb/>
ren mache. Der Tod &#x017F;oll etwas davon haben.<lb/>
Dann kommt mir manchmal die Hoffnung, daß<lb/>
er vielleicht noch kräftiger wirke und einem <hi rendition="#g">Alles</hi><lb/>
verlieren mache. &#x2014; Wenn das wäre! &#x2014; Dann lief&#x2019;<lb/>
ich wie ein Chri&#x017F;t, um einen Feind, d. h. mein<lb/>
Gedächtniß, zu retten. &#x2014; Der Ort &#x017F;oll &#x017F;icher &#x017F;ein,<lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0076] Ach ſcheiden, ach ſcheiden, ach ſcheiden, Wer hat ſich das Scheiden erdacht? Wie kommt mir grade das in den Kopf? Das iſt nicht gut, daß es den Weg ſo von ſelbſt findet. — Wie er hinaus iſt, war mir’s, als könnte er nicht mehr umkehren, und müſſe immer weiter weg von mir, immer weiter. — Wie das Zimmer ſo leer iſt; die Fenſter ſtehen offen, als hätte ein Todter darin ge- legen. Ich halt’ es da oben nicht aus. (Sie geht.) Freies Feld. Danton. Ich mag nicht weiter. Ich mag in dieſer Stille mit dem Geplauder meiner Tritte und dem Keuchen meines Athems nicht Lärmen machen. (Er ſetzt ſich nieder, nach einer Pauſe.) Man hat mir von einer Krankheit erzählt, die einem das Gedächtniß verlie- ren mache. Der Tod ſoll etwas davon haben. Dann kommt mir manchmal die Hoffnung, daß er vielleicht noch kräftiger wirke und einem Alles verlieren mache. — Wenn das wäre! — Dann lief’ ich wie ein Chriſt, um einen Feind, d. h. mein Gedächtniß, zu retten. — Der Ort ſoll ſicher ſein,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_danton_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_danton_1835/76
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Danton's Tod. Frankfurt (Main), 1835, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_danton_1835/76>, abgerufen am 03.12.2024.