Büchner, Georg: Danton's Tod. Frankfurt (Main), 1835.
das Andere belügt. (Tritt an's Fenster.) Die Nacht schnarcht über der Erde und wälzt sich im wüsten Traum. Gedanken, Wünsche, kaum geahnt, wirr und gestaltlos, die scheu sich vor des Tages Licht verkrochen, empfangen jetzt Form und Gewand, und stehlen sich in das stille Haus des Traumes. Sie öffnen die Thüren, sie sehen aus den Fenstern, sie werden halbwegs Fleisch, die Glieder strecken sich im Schlaf, die Lippen murmeln. -- Und ist nicht unser Wachen ein hellerer Traum, sind wir nicht Nachtwandler, ist nicht unser Handeln, wie das im Traum, -- nur deutlicher, bestimmter, durch- geführter? Wer will uns darum schelten? In einer Stunde verrichtet der Geist mehr Thaten des Gedankens, als der träge Organismus unseres Lei- bes in Jahren nachzuthun vermag. Die Sünde ist im Gedanken. Ob der Gedanke That wird, ob ihn der Körper nachspielt, das ist Zufall. (St. Just tritt ein.) Robespierre. He, wer da im Finstern? He, Licht, Licht! St. Just. Kennst du meine Stimme? 4
das Andere belügt. (Tritt an’s Fenſter.) Die Nacht ſchnarcht über der Erde und wälzt ſich im wüſten Traum. Gedanken, Wünſche, kaum geahnt, wirr und geſtaltlos, die ſcheu ſich vor des Tages Licht verkrochen, empfangen jetzt Form und Gewand, und ſtehlen ſich in das ſtille Haus des Traumes. Sie öffnen die Thüren, ſie ſehen aus den Fenſtern, ſie werden halbwegs Fleiſch, die Glieder ſtrecken ſich im Schlaf, die Lippen murmeln. — Und iſt nicht unſer Wachen ein hellerer Traum, ſind wir nicht Nachtwandler, iſt nicht unſer Handeln, wie das im Traum, — nur deutlicher, beſtimmter, durch- geführter? Wer will uns darum ſchelten? In einer Stunde verrichtet der Geiſt mehr Thaten des Gedankens, als der träge Organismus unſeres Lei- bes in Jahren nachzuthun vermag. Die Sünde iſt im Gedanken. Ob der Gedanke That wird, ob ihn der Körper nachſpielt, das iſt Zufall. (St. Juſt tritt ein.) Robespierre. He, wer da im Finſtern? He, Licht, Licht! St. Juſt. Kennſt du meine Stimme? 4
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das Andere belügt. (Tritt an’s Fenſter.) Die Nacht
ſchnarcht über der Erde und wälzt ſich im wüſten
Traum. Gedanken, Wünſche, kaum geahnt, wirr
und geſtaltlos, die ſcheu ſich vor des Tages Licht
verkrochen, empfangen jetzt Form und Gewand,
und ſtehlen ſich in das ſtille Haus des Traumes.
Sie öffnen die Thüren, ſie ſehen aus den Fenſtern,
ſie werden halbwegs Fleiſch, die Glieder ſtrecken
ſich im Schlaf, die Lippen murmeln. — Und iſt
nicht unſer Wachen ein hellerer Traum, ſind wir
nicht Nachtwandler, iſt nicht unſer Handeln, wie
das im Traum, — nur deutlicher, beſtimmter, durch-
geführter? Wer will uns darum ſchelten? In
einer Stunde verrichtet der Geiſt mehr Thaten des
Gedankens, als der träge Organismus unſeres Lei-
bes in Jahren nachzuthun vermag. Die Sünde iſt
im Gedanken. Ob der Gedanke That wird, ob ihn
der Körper nachſpielt, das iſt Zufall.
(St. Juſt tritt ein.)
Robespierre.
He, wer da im Finſtern? He, Licht, Licht!
St. Juſt.
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