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Büchner, Georg: Danton's Tod. Frankfurt (Main), 1835.

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so mußte ich fast immer einige Seiten überschlagen.
Aber die Bibel las ich nach Belieben, da war Alles
heilig; aber es war etwas darin, was ich nicht be-
griff, ich mochte auch Niemand fragen, ich brütete
über mir selbst. Da kam der Frühling, es ging
überall etwas um mich vor, woran ich keinen Theil
hatte. Ich gerieth in eine eigene Atmosphäre, sie
erstickte mich fast. Ich betrachtete meine Glieder,
es war mir manchmal, als wäre ich doppelt und
verschmölze dann wieder in Eins. Ein junger Mensch
kam zu der Zeit in's Haus; er war hübsch und
sprach oft tolles Zeug, ich wußte nicht recht, was
er wollte, aber ich mußte lachen. Meine Mutter
hieß ihn öfters kommen, das war uns beiden recht.
Endlich sahen wir nicht ein, warum wir nicht eben
so gut auf -- sonst eine Art uns miteinander un-
terhalten, als bloß auf zwei Stühlen neben einan-
der sitzen dürften. Ich sah nicht ab, warum man
mir das Geringere gewähren und das Größere ent-
ziehen wollte. Aber ich wurde wie ein Meer, was
Alles verschlang und sich tiefer und tiefer wühlte.
Es war für mich nur Ein Gegensatz da, alle Män-
ner verschmolzen in Einen Leib. Meine Natur war
einmal so, wer kann da drüber hinaus? Endlich
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ſo mußte ich faſt immer einige Seiten überſchlagen.
Aber die Bibel las ich nach Belieben, da war Alles
heilig; aber es war etwas darin, was ich nicht be-
griff, ich mochte auch Niemand fragen, ich brütete
über mir ſelbſt. Da kam der Frühling, es ging
überall etwas um mich vor, woran ich keinen Theil
hatte. Ich gerieth in eine eigene Atmoſphäre, ſie
erſtickte mich faſt. Ich betrachtete meine Glieder,
es war mir manchmal, als wäre ich doppelt und
verſchmölze dann wieder in Eins. Ein junger Menſch
kam zu der Zeit in’s Haus; er war hübſch und
ſprach oft tolles Zeug, ich wußte nicht recht, was
er wollte, aber ich mußte lachen. Meine Mutter
hieß ihn öfters kommen, das war uns beiden recht.
Endlich ſahen wir nicht ein, warum wir nicht eben
ſo gut auf — ſonſt eine Art uns miteinander un-
terhalten, als bloß auf zwei Stühlen neben einan-
der ſitzen dürften. Ich ſah nicht ab, warum man
mir das Geringere gewähren und das Größere ent-
ziehen wollte. Aber ich wurde wie ein Meer, was
Alles verſchlang und ſich tiefer und tiefer wühlte.
Es war für mich nur Ein Gegenſatz da, alle Män-
ner verſchmolzen in Einen Leib. Meine Natur war
einmal ſo, wer kann da drüber hinaus? Endlich
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[33/0037] ſo mußte ich faſt immer einige Seiten überſchlagen. Aber die Bibel las ich nach Belieben, da war Alles heilig; aber es war etwas darin, was ich nicht be- griff, ich mochte auch Niemand fragen, ich brütete über mir ſelbſt. Da kam der Frühling, es ging überall etwas um mich vor, woran ich keinen Theil hatte. Ich gerieth in eine eigene Atmoſphäre, ſie erſtickte mich faſt. Ich betrachtete meine Glieder, es war mir manchmal, als wäre ich doppelt und verſchmölze dann wieder in Eins. Ein junger Menſch kam zu der Zeit in’s Haus; er war hübſch und ſprach oft tolles Zeug, ich wußte nicht recht, was er wollte, aber ich mußte lachen. Meine Mutter hieß ihn öfters kommen, das war uns beiden recht. Endlich ſahen wir nicht ein, warum wir nicht eben ſo gut auf — ſonſt eine Art uns miteinander un- terhalten, als bloß auf zwei Stühlen neben einan- der ſitzen dürften. Ich ſah nicht ab, warum man mir das Geringere gewähren und das Größere ent- ziehen wollte. Aber ich wurde wie ein Meer, was Alles verſchlang und ſich tiefer und tiefer wühlte. Es war für mich nur Ein Gegenſatz da, alle Män- ner verſchmolzen in Einen Leib. Meine Natur war einmal ſo, wer kann da drüber hinaus? Endlich 3

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Danton's Tod. Frankfurt (Main), 1835, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_danton_1835/37>, abgerufen am 26.04.2024.