Sitte, an solider Wirtschaftlichkeit, an bürgerlichem Ge- meinsinn, vor allem und immer aber an sozialer Eigenart die Folge sein.
Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, daß diese wechselseitigen Anpassungskämpfe in ihrer Gestaltung und ihrem Verlaufe sehr verschieden ausfallen werden, je nach- dem sie unter einander ähnlichen oder von einander ver- schiedenen Elementen sich vollziehen.
Gerade aus diesem Grunde reicht der von der Städte- statistik zur Kennzeichnung dieser Verhältnisse benutzte Un- terschied zwischen ortsgebürtiger und ortsanwesender Be- völkerung für feinere sozialstatistische Untersuchungen nicht aus.
Denn wenn man z. B. von der Stadt München er- mittelt hat, daß die Zahl der Ortsgebürtigen 37,5 Prozent beträgt und von Hamburg, daß dieselbe 50,9 Prozent ausmacht 1), so ist mit der bloßen Thatsache, daß dort 13,4 Prozent Fremdbürtige mehr in der Bevölkerung ent- halten sind, noch nicht bewiesen, daß die Münchener Be- völkerung um so viel ungleichartiger ist als die Hamburger und daß dort der Prozeß der gegenseitigen sozialen An- passung mit heftigeren Reibungen und Kämpfen verbunden sein muß als hier. Und ebenso ist damit, daß zwei Städte (z. B. Altona und Dresden) das gleiche Verhältnis der Fremdbürtigen zu den Ortsgebürtigen aufweisen, noch nicht gesagt, daß in beiden dieser Prozeß den gleichen Verlauf nehmen wird. Es ist recht wohl denkbar, daß die Fremden
1) Statistisches Jahrbuch deutscher Städte I (1890), S. 23.
Sitte, an ſolider Wirtſchaftlichkeit, an bürgerlichem Ge- meinſinn, vor allem und immer aber an ſozialer Eigenart die Folge ſein.
Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, daß dieſe wechſelſeitigen Anpaſſungskämpfe in ihrer Geſtaltung und ihrem Verlaufe ſehr verſchieden ausfallen werden, je nach- dem ſie unter einander ähnlichen oder von einander ver- ſchiedenen Elementen ſich vollziehen.
Gerade aus dieſem Grunde reicht der von der Städte- ſtatiſtik zur Kennzeichnung dieſer Verhältniſſe benutzte Un- terſchied zwiſchen ortsgebürtiger und ortsanweſender Be- völkerung für feinere ſozialſtatiſtiſche Unterſuchungen nicht aus.
Denn wenn man z. B. von der Stadt München er- mittelt hat, daß die Zahl der Ortsgebürtigen 37,5 Prozent beträgt und von Hamburg, daß dieſelbe 50,9 Prozent ausmacht 1), ſo iſt mit der bloßen Thatſache, daß dort 13,4 Prozent Fremdbürtige mehr in der Bevölkerung ent- halten ſind, noch nicht bewieſen, daß die Münchener Be- völkerung um ſo viel ungleichartiger iſt als die Hamburger und daß dort der Prozeß der gegenſeitigen ſozialen An- paſſung mit heftigeren Reibungen und Kämpfen verbunden ſein muß als hier. Und ebenſo iſt damit, daß zwei Städte (z. B. Altona und Dresden) das gleiche Verhältnis der Fremdbürtigen zu den Ortsgebürtigen aufweiſen, noch nicht geſagt, daß in beiden dieſer Prozeß den gleichen Verlauf nehmen wird. Es iſt recht wohl denkbar, daß die Fremden
1) Statiſtiſches Jahrbuch deutſcher Städte I (1890), S. 23.
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Sitte, an ſolider Wirtſchaftlichkeit, an bürgerlichem Ge-
meinſinn, vor allem und immer aber an ſozialer Eigenart
die Folge ſein.
Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, daß dieſe
wechſelſeitigen Anpaſſungskämpfe in ihrer Geſtaltung und
ihrem Verlaufe ſehr verſchieden ausfallen werden, je nach-
dem ſie unter einander ähnlichen oder von einander ver-
ſchiedenen Elementen ſich vollziehen.
Gerade aus dieſem Grunde reicht der von der Städte-
ſtatiſtik zur Kennzeichnung dieſer Verhältniſſe benutzte Un-
terſchied zwiſchen ortsgebürtiger und ortsanweſender Be-
völkerung für feinere ſozialſtatiſtiſche Unterſuchungen nicht aus.
Denn wenn man z. B. von der Stadt München er-
mittelt hat, daß die Zahl der Ortsgebürtigen 37,5 Prozent
beträgt und von Hamburg, daß dieſelbe 50,9 Prozent
ausmacht 1), ſo iſt mit der bloßen Thatſache, daß dort
13,4 Prozent Fremdbürtige mehr in der Bevölkerung ent-
halten ſind, noch nicht bewieſen, daß die Münchener Be-
völkerung um ſo viel ungleichartiger iſt als die Hamburger
und daß dort der Prozeß der gegenſeitigen ſozialen An-
paſſung mit heftigeren Reibungen und Kämpfen verbunden
ſein muß als hier. Und ebenſo iſt damit, daß zwei Städte
(z. B. Altona und Dresden) das gleiche Verhältnis der
Fremdbürtigen zu den Ortsgebürtigen aufweiſen, noch nicht
geſagt, daß in beiden dieſer Prozeß den gleichen Verlauf
nehmen wird. Es iſt recht wohl denkbar, daß die Fremden
1) Statiſtiſches Jahrbuch deutſcher Städte I (1890), S. 23.
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/303>, abgerufen am 16.02.2025.
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