Wagschale zu werfen, wie sie keiner der damals in Frage kommenden Mächte zu Gebote stand.
Nehmen wir das XIV. und XV. Jahrhundert, die Zeit des Höhepunktes der städtischen Entwicklung, die Zeit zugleich, für welche die neuere Forschung genügend Auf- schlüsse bietet, als maßgebend für unsere Betrachtung an, so stoßen wir gleich auf sehr bescheidene Bevölke- rungsziffern. Selbst so weit berühmte Städte wie Nürnberg und Straßburg gehen nicht über 20000 Ein- wohner hinaus, Zürich, Basel und Frankfurt haben schwer- lich 10000 in dieser Zeit erheblich überschritten, Mainz hatte etwa 6000, Dresden und Leiden 5000 und Meißen 2000. Alle waren also nach heutigen Begriffen Kleinstädte, und es mutet uns jetzt sonderbar an, wie man nur so lange an Bevölkerungsziffern von 60-, 80- ja 120000 hat glauben können, an Volksmassen, zu deren Ernährung die damalige extensive Landwirtschaft gar nicht imstande gewesen sein würde.
Und auf jener geringen Höhe der Population ver- mochten sich die meisten dieser Städte nicht einmal dauernd zu behaupten. Alle paar Jahre dezimierte eine Pest, eine Hungersnot, eine Fehde, eine Belagerung die Bevölkerung, manchmal starb in wenigen Sommermonaten ein Zehntel, ein Sechstel, ein Viertel der Menschen hinweg. Von 1326 bis 1400 zählte man 32 Pestjahre, von 1400 bis 1500 etwa 40. Jenes fortwährende Anwachsen der Städte, welches seit Jahrzehnten den Gegenstand unseres Staunens
Wagſchale zu werfen, wie ſie keiner der damals in Frage kommenden Mächte zu Gebote ſtand.
Nehmen wir das XIV. und XV. Jahrhundert, die Zeit des Höhepunktes der ſtädtiſchen Entwicklung, die Zeit zugleich, für welche die neuere Forſchung genügend Auf- ſchlüſſe bietet, als maßgebend für unſere Betrachtung an, ſo ſtoßen wir gleich auf ſehr beſcheidene Bevölke- rungsziffern. Selbſt ſo weit berühmte Städte wie Nürnberg und Straßburg gehen nicht über 20000 Ein- wohner hinaus, Zürich, Baſel und Frankfurt haben ſchwer- lich 10000 in dieſer Zeit erheblich überſchritten, Mainz hatte etwa 6000, Dresden und Leiden 5000 und Meißen 2000. Alle waren alſo nach heutigen Begriffen Kleinſtädte, und es mutet uns jetzt ſonderbar an, wie man nur ſo lange an Bevölkerungsziffern von 60-, 80- ja 120000 hat glauben können, an Volksmaſſen, zu deren Ernährung die damalige extenſive Landwirtſchaft gar nicht imſtande geweſen ſein würde.
Und auf jener geringen Höhe der Population ver- mochten ſich die meiſten dieſer Städte nicht einmal dauernd zu behaupten. Alle paar Jahre dezimierte eine Peſt, eine Hungersnot, eine Fehde, eine Belagerung die Bevölkerung, manchmal ſtarb in wenigen Sommermonaten ein Zehntel, ein Sechstel, ein Viertel der Menſchen hinweg. Von 1326 bis 1400 zählte man 32 Peſtjahre, von 1400 bis 1500 etwa 40. Jenes fortwährende Anwachſen der Städte, welches ſeit Jahrzehnten den Gegenſtand unſeres Staunens
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0237"n="215"/>
Wagſchale zu werfen, wie ſie keiner der damals in Frage<lb/>
kommenden Mächte zu Gebote ſtand.</p><lb/><p>Nehmen wir das <hirendition="#aq">XIV.</hi> und <hirendition="#aq">XV.</hi> Jahrhundert, die<lb/>
Zeit des Höhepunktes der ſtädtiſchen Entwicklung, die Zeit<lb/>
zugleich, für welche die neuere Forſchung genügend Auf-<lb/>ſchlüſſe bietet, als maßgebend für unſere Betrachtung an,<lb/>ſo ſtoßen wir gleich auf ſehr <hirendition="#g">beſcheidene Bevölke-<lb/>
rungsziffern</hi>. Selbſt ſo weit berühmte Städte wie<lb/>
Nürnberg und Straßburg gehen nicht über 20000 Ein-<lb/>
wohner hinaus, Zürich, Baſel und Frankfurt haben ſchwer-<lb/>
lich 10000 in dieſer Zeit erheblich überſchritten, Mainz<lb/>
hatte etwa 6000, Dresden und Leiden 5000 und Meißen<lb/>
2000. Alle waren alſo nach heutigen Begriffen Kleinſtädte,<lb/>
und es mutet uns jetzt ſonderbar an, wie man nur ſo lange<lb/>
an Bevölkerungsziffern von 60-, 80- ja 120000 hat glauben<lb/>
können, an Volksmaſſen, zu deren Ernährung die damalige<lb/>
extenſive Landwirtſchaft gar nicht imſtande geweſen ſein<lb/>
würde.</p><lb/><p>Und auf jener geringen Höhe der Population ver-<lb/>
mochten ſich die meiſten dieſer Städte nicht einmal dauernd<lb/>
zu behaupten. Alle paar Jahre dezimierte eine Peſt, eine<lb/>
Hungersnot, eine Fehde, eine Belagerung die Bevölkerung,<lb/>
manchmal ſtarb in wenigen Sommermonaten ein Zehntel,<lb/>
ein Sechstel, ein Viertel der Menſchen hinweg. Von 1326<lb/>
bis 1400 zählte man 32 Peſtjahre, von 1400 bis 1500<lb/>
etwa 40. Jenes fortwährende Anwachſen der Städte,<lb/>
welches ſeit Jahrzehnten den Gegenſtand unſeres Staunens<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[215/0237]
Wagſchale zu werfen, wie ſie keiner der damals in Frage
kommenden Mächte zu Gebote ſtand.
Nehmen wir das XIV. und XV. Jahrhundert, die
Zeit des Höhepunktes der ſtädtiſchen Entwicklung, die Zeit
zugleich, für welche die neuere Forſchung genügend Auf-
ſchlüſſe bietet, als maßgebend für unſere Betrachtung an,
ſo ſtoßen wir gleich auf ſehr beſcheidene Bevölke-
rungsziffern. Selbſt ſo weit berühmte Städte wie
Nürnberg und Straßburg gehen nicht über 20000 Ein-
wohner hinaus, Zürich, Baſel und Frankfurt haben ſchwer-
lich 10000 in dieſer Zeit erheblich überſchritten, Mainz
hatte etwa 6000, Dresden und Leiden 5000 und Meißen
2000. Alle waren alſo nach heutigen Begriffen Kleinſtädte,
und es mutet uns jetzt ſonderbar an, wie man nur ſo lange
an Bevölkerungsziffern von 60-, 80- ja 120000 hat glauben
können, an Volksmaſſen, zu deren Ernährung die damalige
extenſive Landwirtſchaft gar nicht imſtande geweſen ſein
würde.
Und auf jener geringen Höhe der Population ver-
mochten ſich die meiſten dieſer Städte nicht einmal dauernd
zu behaupten. Alle paar Jahre dezimierte eine Peſt, eine
Hungersnot, eine Fehde, eine Belagerung die Bevölkerung,
manchmal ſtarb in wenigen Sommermonaten ein Zehntel,
ein Sechstel, ein Viertel der Menſchen hinweg. Von 1326
bis 1400 zählte man 32 Peſtjahre, von 1400 bis 1500
etwa 40. Jenes fortwährende Anwachſen der Städte,
welches ſeit Jahrzehnten den Gegenſtand unſeres Staunens
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/237>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.