heute ihren Lesern vorsetzen. Im ganzen beschränkten sie sich auf die Mitteilung von Thatsachen; eine Tendenz kam nur insofern zum Ausdruck, als man Unliebsames verschwieg. Nach wie vor gelangte der Inhalt auf dem Wege der Korrespondenz in die Provinzen, und, wie Tacitus berichtet, verstand man es dort, nicht bloß auf dasjenige zu achten, was der Staatsanzeiger enthielt, sondern auch auf das, was er verschwieg: man las zwischen den Zeilen.
Wir haben heute nicht die Zeit, näher auf diese Dinge einzugehen; ich berühre sie überhaupt nur, um der weit- verbreiteten Annahme entgegenzutreten, als ob wir in den Acta diurna der Römer schon eine Art offizieller Zeitung vor uns hätten. Wie lange die ganze Einrichtung bestanden hat, wissen wir nicht. Wahrscheinlich ist sie nach der Ueber- siedelung des Hofes nach Konstantinopel allmählich ein- gegangen.
Die germanischen Völker, welche nach den Römern die Leitung der Geschicke Europas übernahmen, waren weder nach ihrer Kulturstufe, noch nach ihrer politischen Organisation imstande und hatten auch nicht das Bedürfnis, eine ähnliche Organisation des Nachrichtendienstes aufrecht zu erhalten. Im ganzen Mittelalter bewegte sich das Leben der Menschen politisch und sozial in engen geschlossenen Kreisen; die Pflege der Bildung zog sich zurück in die Klöster; sie berührte Jahrhunderte lang nur die Spitzen der Gesellschaft. Ein wirtschaftliches Interesse, das über die engen Mauern der Stadt oder der Herrschaft, der man
heute ihren Leſern vorſetzen. Im ganzen beſchränkten ſie ſich auf die Mitteilung von Thatſachen; eine Tendenz kam nur inſofern zum Ausdruck, als man Unliebſames verſchwieg. Nach wie vor gelangte der Inhalt auf dem Wege der Korreſpondenz in die Provinzen, und, wie Tacitus berichtet, verſtand man es dort, nicht bloß auf dasjenige zu achten, was der Staatsanzeiger enthielt, ſondern auch auf das, was er verſchwieg: man las zwiſchen den Zeilen.
Wir haben heute nicht die Zeit, näher auf dieſe Dinge einzugehen; ich berühre ſie überhaupt nur, um der weit- verbreiteten Annahme entgegenzutreten, als ob wir in den Acta diurna der Römer ſchon eine Art offizieller Zeitung vor uns hätten. Wie lange die ganze Einrichtung beſtanden hat, wiſſen wir nicht. Wahrſcheinlich iſt ſie nach der Ueber- ſiedelung des Hofes nach Konſtantinopel allmählich ein- gegangen.
Die germaniſchen Völker, welche nach den Römern die Leitung der Geſchicke Europas übernahmen, waren weder nach ihrer Kulturſtufe, noch nach ihrer politiſchen Organiſation imſtande und hatten auch nicht das Bedürfnis, eine ähnliche Organiſation des Nachrichtendienſtes aufrecht zu erhalten. Im ganzen Mittelalter bewegte ſich das Leben der Menſchen politiſch und ſozial in engen geſchloſſenen Kreiſen; die Pflege der Bildung zog ſich zurück in die Klöſter; ſie berührte Jahrhunderte lang nur die Spitzen der Geſellſchaft. Ein wirtſchaftliches Intereſſe, das über die engen Mauern der Stadt oder der Herrſchaft, der man
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heute ihren Leſern vorſetzen. Im ganzen beſchränkten ſie
ſich auf die Mitteilung von Thatſachen; eine Tendenz kam
nur inſofern zum Ausdruck, als man Unliebſames verſchwieg.
Nach wie vor gelangte der Inhalt auf dem Wege der
Korreſpondenz in die Provinzen, und, wie Tacitus berichtet,
verſtand man es dort, nicht bloß auf dasjenige zu achten,
was der Staatsanzeiger enthielt, ſondern auch auf das,
was er verſchwieg: man las zwiſchen den Zeilen.
Wir haben heute nicht die Zeit, näher auf dieſe Dinge
einzugehen; ich berühre ſie überhaupt nur, um der weit-
verbreiteten Annahme entgegenzutreten, als ob wir in den
Acta diurna der Römer ſchon eine Art offizieller Zeitung
vor uns hätten. Wie lange die ganze Einrichtung beſtanden
hat, wiſſen wir nicht. Wahrſcheinlich iſt ſie nach der Ueber-
ſiedelung des Hofes nach Konſtantinopel allmählich ein-
gegangen.
Die germaniſchen Völker, welche nach den Römern
die Leitung der Geſchicke Europas übernahmen, waren
weder nach ihrer Kulturſtufe, noch nach ihrer politiſchen
Organiſation imſtande und hatten auch nicht das Bedürfnis,
eine ähnliche Organiſation des Nachrichtendienſtes aufrecht
zu erhalten. Im ganzen Mittelalter bewegte ſich das Leben
der Menſchen politiſch und ſozial in engen geſchloſſenen
Kreiſen; die Pflege der Bildung zog ſich zurück in die
Klöſter; ſie berührte Jahrhunderte lang nur die Spitzen
der Geſellſchaft. Ein wirtſchaftliches Intereſſe, das über
die engen Mauern der Stadt oder der Herrſchaft, der man
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/200>, abgerufen am 24.11.2024.
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