telten verhielte. Es braucht nicht ausgeführt zu werden, daß für eine derartige Untersuchung alle Voraussetzungen fehlen.
Wohl aber darf behauptet werden, daß die neue Theorie der auf der Beobachtung vieler Generationen beruhenden Auffassung der modernen Kulturvölker widerspricht.
Wie oft ist es beklagt worden, daß so manches Talent unter der Ungunst der äußeren Verhältnisse verkümmere! Und wenn diesem Satze der andere entgegengestellt worden ist, daß jedes wahre Talent sich Bahn breche, so mag eine solche Formel wohl dem Selbstgefühle glücklicher Streber schmeicheln, in der Wirklichkeit findet sie nur zu oft keine Bestätigung.
Unsere ganze sozialrechtliche Entwicklung seit der fran- zösischen Revolution steht unter der Voraussetzung, daß der Zugang zu jedem freien Berufe und zu allen Staatsämtern, in denen wir doch immer den Höhepunkt der Berufsgliede- rung erblicken, jedermann offen stehen müsse. Dieser Grund- satz der "freien Berufswahl", dessen Anerkennung nach schweren Kämpfen errungen wurde, wäre ein großer Irrtum, jede Bemühung zu seiner Verwirklichung verlorene Arbeit, wenn seiner Durchführung außer der Ungleichheit der Ver- mögensverteilung auch noch die Vererblichkeit beruflicher Anpassung im Wege stünde.
Auch manche unserer ältesten akademischen Einrichtungen würden im Lichte dieser Theorie als Verirrungen erscheinen müssen. Ihnen, meine Herren Kommilitonen, die Sie sich
telten verhielte. Es braucht nicht ausgeführt zu werden, daß für eine derartige Unterſuchung alle Vorausſetzungen fehlen.
Wohl aber darf behauptet werden, daß die neue Theorie der auf der Beobachtung vieler Generationen beruhenden Auffaſſung der modernen Kulturvölker widerſpricht.
Wie oft iſt es beklagt worden, daß ſo manches Talent unter der Ungunſt der äußeren Verhältniſſe verkümmere! Und wenn dieſem Satze der andere entgegengeſtellt worden iſt, daß jedes wahre Talent ſich Bahn breche, ſo mag eine ſolche Formel wohl dem Selbſtgefühle glücklicher Streber ſchmeicheln, in der Wirklichkeit findet ſie nur zu oft keine Beſtätigung.
Unſere ganze ſozialrechtliche Entwicklung ſeit der fran- zöſiſchen Revolution ſteht unter der Vorausſetzung, daß der Zugang zu jedem freien Berufe und zu allen Staatsämtern, in denen wir doch immer den Höhepunkt der Berufsgliede- rung erblicken, jedermann offen ſtehen müſſe. Dieſer Grund- ſatz der „freien Berufswahl“, deſſen Anerkennung nach ſchweren Kämpfen errungen wurde, wäre ein großer Irrtum, jede Bemühung zu ſeiner Verwirklichung verlorene Arbeit, wenn ſeiner Durchführung außer der Ungleichheit der Ver- mögensverteilung auch noch die Vererblichkeit beruflicher Anpaſſung im Wege ſtünde.
Auch manche unſerer älteſten akademiſchen Einrichtungen würden im Lichte dieſer Theorie als Verirrungen erſcheinen müſſen. Ihnen, meine Herren Kommilitonen, die Sie ſich
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telten verhielte. Es braucht nicht ausgeführt zu werden,
daß für eine derartige Unterſuchung alle Vorausſetzungen
fehlen.
Wohl aber darf behauptet werden, daß die neue Theorie
der auf der Beobachtung vieler Generationen beruhenden
Auffaſſung der modernen Kulturvölker widerſpricht.
Wie oft iſt es beklagt worden, daß ſo manches Talent
unter der Ungunſt der äußeren Verhältniſſe verkümmere!
Und wenn dieſem Satze der andere entgegengeſtellt worden
iſt, daß jedes wahre Talent ſich Bahn breche, ſo mag eine
ſolche Formel wohl dem Selbſtgefühle glücklicher Streber
ſchmeicheln, in der Wirklichkeit findet ſie nur zu oft keine
Beſtätigung.
Unſere ganze ſozialrechtliche Entwicklung ſeit der fran-
zöſiſchen Revolution ſteht unter der Vorausſetzung, daß der
Zugang zu jedem freien Berufe und zu allen Staatsämtern,
in denen wir doch immer den Höhepunkt der Berufsgliede-
rung erblicken, jedermann offen ſtehen müſſe. Dieſer Grund-
ſatz der „freien Berufswahl“, deſſen Anerkennung nach
ſchweren Kämpfen errungen wurde, wäre ein großer Irrtum,
jede Bemühung zu ſeiner Verwirklichung verlorene Arbeit,
wenn ſeiner Durchführung außer der Ungleichheit der Ver-
mögensverteilung auch noch die Vererblichkeit beruflicher
Anpaſſung im Wege ſtünde.
Auch manche unſerer älteſten akademiſchen Einrichtungen
würden im Lichte dieſer Theorie als Verirrungen erſcheinen
müſſen. Ihnen, meine Herren Kommilitonen, die Sie ſich
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/186>, abgerufen am 08.07.2024.
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