unwillkürlich Unbekannte, mit denen wir zusammentreffen, im Stillen nach Berufstypen klassifizieren.
Mit dieser persönlichen Differenzierung aber überträgt sich die wirtschaftliche Gliederung auch auf die Gesellschaft. Gleiche Lebensaufgabe und Lebensanschauung, gleiche wirt- schaftliche Stellung und soziale Gewohnheit führen zu einer neuen sozialen Gruppenbildung. Sie erzeugen die Berufs- stände, und die Interessengemeinschaft, welche sie bis in ihre feinsten Verzweigungen hinein beherrscht, ist stark genug, um die überkommenen Unterschiede der Geburts- stände zu überdecken oder sie bis zur Bedeutungslosigkeit herabzudrücken. Wir haben es selbst erlebt, wie diese neuen sozialen Massenzusammenhänge über die Grenzen der politi- schen Nationalität hinausgreifen und wie die auf der Be- rufsgliederung beruhenden sozialen Interessen und Gemein- schaftsgefühle die auf die Gleichheit des Blutes zurück- gehenden nationalen überwuchern.
Unter diesen Umständen durfte die schon durch die neuere Biologie nahe gelegte Frage erhoben werden, ob und wie weit die durch die Arbeitsteilung hervorgebrachten persön- lichen Verschiedenheiten sich unter den Menschen vererben. Es handelt sich dabei nicht bloß um beruflich verwertbare natürliche Anlagen, bei denen die Möglichkeit der Vererbung -- aber auch nicht mehr -- ohne Weiteres zuzugeben ist. Es handelt sich um die ganze körperliche und geistige Dis- position für einen Beruf, um die durch Anpassung an eine begrenzte Arbeitsaufgabe erworbene Geschicklichkeit, um das
unwillkürlich Unbekannte, mit denen wir zuſammentreffen, im Stillen nach Berufstypen klaſſifizieren.
Mit dieſer perſönlichen Differenzierung aber überträgt ſich die wirtſchaftliche Gliederung auch auf die Geſellſchaft. Gleiche Lebensaufgabe und Lebensanſchauung, gleiche wirt- ſchaftliche Stellung und ſoziale Gewohnheit führen zu einer neuen ſozialen Gruppenbildung. Sie erzeugen die Berufs- ſtände, und die Intereſſengemeinſchaft, welche ſie bis in ihre feinſten Verzweigungen hinein beherrſcht, iſt ſtark genug, um die überkommenen Unterſchiede der Geburts- ſtände zu überdecken oder ſie bis zur Bedeutungsloſigkeit herabzudrücken. Wir haben es ſelbſt erlebt, wie dieſe neuen ſozialen Maſſenzuſammenhänge über die Grenzen der politi- ſchen Nationalität hinausgreifen und wie die auf der Be- rufsgliederung beruhenden ſozialen Intereſſen und Gemein- ſchaftsgefühle die auf die Gleichheit des Blutes zurück- gehenden nationalen überwuchern.
Unter dieſen Umſtänden durfte die ſchon durch die neuere Biologie nahe gelegte Frage erhoben werden, ob und wie weit die durch die Arbeitsteilung hervorgebrachten perſön- lichen Verſchiedenheiten ſich unter den Menſchen vererben. Es handelt ſich dabei nicht bloß um beruflich verwertbare natürliche Anlagen, bei denen die Möglichkeit der Vererbung — aber auch nicht mehr — ohne Weiteres zuzugeben iſt. Es handelt ſich um die ganze körperliche und geiſtige Dis- poſition für einen Beruf, um die durch Anpaſſung an eine begrenzte Arbeitsaufgabe erworbene Geſchicklichkeit, um das
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unwillkürlich Unbekannte, mit denen wir zuſammentreffen,
im Stillen nach Berufstypen klaſſifizieren.
Mit dieſer perſönlichen Differenzierung aber überträgt
ſich die wirtſchaftliche Gliederung auch auf die Geſellſchaft.
Gleiche Lebensaufgabe und Lebensanſchauung, gleiche wirt-
ſchaftliche Stellung und ſoziale Gewohnheit führen zu einer
neuen ſozialen Gruppenbildung. Sie erzeugen die Berufs-
ſtände, und die Intereſſengemeinſchaft, welche ſie bis in
ihre feinſten Verzweigungen hinein beherrſcht, iſt ſtark
genug, um die überkommenen Unterſchiede der Geburts-
ſtände zu überdecken oder ſie bis zur Bedeutungsloſigkeit
herabzudrücken. Wir haben es ſelbſt erlebt, wie dieſe neuen
ſozialen Maſſenzuſammenhänge über die Grenzen der politi-
ſchen Nationalität hinausgreifen und wie die auf der Be-
rufsgliederung beruhenden ſozialen Intereſſen und Gemein-
ſchaftsgefühle die auf die Gleichheit des Blutes zurück-
gehenden nationalen überwuchern.
Unter dieſen Umſtänden durfte die ſchon durch die neuere
Biologie nahe gelegte Frage erhoben werden, ob und wie
weit die durch die Arbeitsteilung hervorgebrachten perſön-
lichen Verſchiedenheiten ſich unter den Menſchen vererben.
Es handelt ſich dabei nicht bloß um beruflich verwertbare
natürliche Anlagen, bei denen die Möglichkeit der Vererbung
— aber auch nicht mehr — ohne Weiteres zuzugeben iſt.
Es handelt ſich um die ganze körperliche und geiſtige Dis-
poſition für einen Beruf, um die durch Anpaſſung an eine
begrenzte Arbeitsaufgabe erworbene Geſchicklichkeit, um das
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/170>, abgerufen am 22.11.2024.
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