Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

scheint in dem Dasein eines normalen Handwerkerstandes
verwirklicht: allmähliches soziales Aufsteigen, Selbständigkeit,
ein Einkommen nach Verdienst. Und diejenigen Betriebs-
formen der Stoffumwandlung, welche von diesem Urbilde
abweichen, Hausindustrie und Fabrik, erscheinen dann leicht
als das Nichtnormale; die soziale Personengliederung, die
Einkommensverteilung, welche sie bedingen, scheinen der Idee
der wirtschaftlichen Gerechtigkeit nicht zu entsprechen.

Auch die neueren Nationalökonomen entfernen sich
selten weit von dieser populären Anschauungsweise. Wo
sie die drei bei ihnen anerkannten Betriebssysteme: Hand-
werk, Hausindustrie, Fabrik einander gegenüberstellen, ent-
nehmen sie fast unwillkürlich den Grundeinrichtungen des
Handwerks die Normen zur Beurteilung der übrigen. Die
Hausindustrie war bis vor kurzem vielen von ihnen eine
bloße Ausartung des Handwerks oder eine Uebergangs-
bildung, die Fabrik ein notwendiges Uebel des Maschinen-
zeitalters. Unter dieser Befangenheit des Urteils litt selbst
die wissenschaftliche Erkenntnis der modernen Betriebs-
weisen, welche doch der Beobachtung unmittelbar sich darbieten.

Eine historisch aufbauende Betrachtung, wie sie hier
vorgelegt werden soll, muß sich zu allererst von der Auf-
fassung losmachen, daß irgend ein Betriebssystem eines
Wirtschaftszweiges etwas für alle Zeiten und Völker Nor-
males bedeuten könne. Auch das Handwerk ist ihr nur
eine in den Fluß der Geschichte gestellte Erscheinung, deren
Entstehen, Bestehen und Gedeihen an bestimmte volkswirt-

6 *

ſcheint in dem Daſein eines normalen Handwerkerſtandes
verwirklicht: allmähliches ſoziales Aufſteigen, Selbſtändigkeit,
ein Einkommen nach Verdienſt. Und diejenigen Betriebs-
formen der Stoffumwandlung, welche von dieſem Urbilde
abweichen, Hausinduſtrie und Fabrik, erſcheinen dann leicht
als das Nichtnormale; die ſoziale Perſonengliederung, die
Einkommensverteilung, welche ſie bedingen, ſcheinen der Idee
der wirtſchaftlichen Gerechtigkeit nicht zu entſprechen.

Auch die neueren Nationalökonomen entfernen ſich
ſelten weit von dieſer populären Anſchauungsweiſe. Wo
ſie die drei bei ihnen anerkannten Betriebsſyſteme: Hand-
werk, Hausinduſtrie, Fabrik einander gegenüberſtellen, ent-
nehmen ſie faſt unwillkürlich den Grundeinrichtungen des
Handwerks die Normen zur Beurteilung der übrigen. Die
Hausinduſtrie war bis vor kurzem vielen von ihnen eine
bloße Ausartung des Handwerks oder eine Uebergangs-
bildung, die Fabrik ein notwendiges Uebel des Maſchinen-
zeitalters. Unter dieſer Befangenheit des Urteils litt ſelbſt
die wiſſenſchaftliche Erkenntnis der modernen Betriebs-
weiſen, welche doch der Beobachtung unmittelbar ſich darbieten.

Eine hiſtoriſch aufbauende Betrachtung, wie ſie hier
vorgelegt werden ſoll, muß ſich zu allererſt von der Auf-
faſſung losmachen, daß irgend ein Betriebsſyſtem eines
Wirtſchaftszweiges etwas für alle Zeiten und Völker Nor-
males bedeuten könne. Auch das Handwerk iſt ihr nur
eine in den Fluß der Geſchichte geſtellte Erſcheinung, deren
Entſtehen, Beſtehen und Gedeihen an beſtimmte volkswirt-

6 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0105" n="83"/>
&#x017F;cheint in dem Da&#x017F;ein eines normalen Handwerker&#x017F;tandes<lb/>
verwirklicht: allmähliches &#x017F;oziales Auf&#x017F;teigen, Selb&#x017F;tändigkeit,<lb/>
ein Einkommen nach Verdien&#x017F;t. Und diejenigen Betriebs-<lb/>
formen der Stoffumwandlung, welche von die&#x017F;em Urbilde<lb/>
abweichen, Hausindu&#x017F;trie und Fabrik, er&#x017F;cheinen dann leicht<lb/>
als das Nichtnormale; die &#x017F;oziale Per&#x017F;onengliederung, die<lb/>
Einkommensverteilung, welche &#x017F;ie bedingen, &#x017F;cheinen der Idee<lb/>
der wirt&#x017F;chaftlichen Gerechtigkeit nicht zu ent&#x017F;prechen.</p><lb/>
          <p>Auch die neueren Nationalökonomen entfernen &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elten weit von die&#x017F;er populären An&#x017F;chauungswei&#x017F;e. Wo<lb/>
&#x017F;ie die drei bei ihnen anerkannten Betriebs&#x017F;y&#x017F;teme: Hand-<lb/>
werk, Hausindu&#x017F;trie, Fabrik einander gegenüber&#x017F;tellen, ent-<lb/>
nehmen &#x017F;ie fa&#x017F;t unwillkürlich den Grundeinrichtungen des<lb/>
Handwerks die Normen zur Beurteilung der übrigen. Die<lb/>
Hausindu&#x017F;trie war bis vor kurzem vielen von ihnen eine<lb/>
bloße Ausartung des Handwerks oder eine Uebergangs-<lb/>
bildung, die Fabrik ein notwendiges Uebel des Ma&#x017F;chinen-<lb/>
zeitalters. Unter die&#x017F;er Befangenheit des Urteils litt &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
die wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Erkenntnis der modernen Betriebs-<lb/>
wei&#x017F;en, welche doch der Beobachtung unmittelbar &#x017F;ich darbieten.</p><lb/>
          <p>Eine hi&#x017F;tori&#x017F;ch aufbauende Betrachtung, wie &#x017F;ie hier<lb/>
vorgelegt werden &#x017F;oll, muß &#x017F;ich zu allerer&#x017F;t von der Auf-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung losmachen, daß irgend ein Betriebs&#x017F;y&#x017F;tem eines<lb/>
Wirt&#x017F;chaftszweiges etwas für alle Zeiten und Völker Nor-<lb/>
males bedeuten könne. Auch das Handwerk i&#x017F;t ihr nur<lb/>
eine in den Fluß der Ge&#x017F;chichte ge&#x017F;tellte Er&#x017F;cheinung, deren<lb/>
Ent&#x017F;tehen, Be&#x017F;tehen und Gedeihen an be&#x017F;timmte volkswirt-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">6 *</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0105] ſcheint in dem Daſein eines normalen Handwerkerſtandes verwirklicht: allmähliches ſoziales Aufſteigen, Selbſtändigkeit, ein Einkommen nach Verdienſt. Und diejenigen Betriebs- formen der Stoffumwandlung, welche von dieſem Urbilde abweichen, Hausinduſtrie und Fabrik, erſcheinen dann leicht als das Nichtnormale; die ſoziale Perſonengliederung, die Einkommensverteilung, welche ſie bedingen, ſcheinen der Idee der wirtſchaftlichen Gerechtigkeit nicht zu entſprechen. Auch die neueren Nationalökonomen entfernen ſich ſelten weit von dieſer populären Anſchauungsweiſe. Wo ſie die drei bei ihnen anerkannten Betriebsſyſteme: Hand- werk, Hausinduſtrie, Fabrik einander gegenüberſtellen, ent- nehmen ſie faſt unwillkürlich den Grundeinrichtungen des Handwerks die Normen zur Beurteilung der übrigen. Die Hausinduſtrie war bis vor kurzem vielen von ihnen eine bloße Ausartung des Handwerks oder eine Uebergangs- bildung, die Fabrik ein notwendiges Uebel des Maſchinen- zeitalters. Unter dieſer Befangenheit des Urteils litt ſelbſt die wiſſenſchaftliche Erkenntnis der modernen Betriebs- weiſen, welche doch der Beobachtung unmittelbar ſich darbieten. Eine hiſtoriſch aufbauende Betrachtung, wie ſie hier vorgelegt werden ſoll, muß ſich zu allererſt von der Auf- faſſung losmachen, daß irgend ein Betriebsſyſtem eines Wirtſchaftszweiges etwas für alle Zeiten und Völker Nor- males bedeuten könne. Auch das Handwerk iſt ihr nur eine in den Fluß der Geſchichte geſtellte Erſcheinung, deren Entſtehen, Beſtehen und Gedeihen an beſtimmte volkswirt- 6 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/105
Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/105>, abgerufen am 02.05.2024.