Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 69. Die Amtshoheit.
entbehrte er gewisse Vorrechte der königlichen Beamten, insbesondere
das höhere Wergeld, durch das diese geschützt waren. Im Laufe der
fränkischen Zeit wurde das Volksbeamtentum, wie die Darstellung der
Ämterverfassung ergeben wird, zuerst in seinen oberen, dann in einem
grossen Teile des Reiches auch in seinen unteren Schichten von dem
königlichen Beamtentum aufgesogen 1.

Die königlichen Beamten befanden sich ursprünglich in strengster
Unterordnung unter den König. Königliche Eigenleute bildeten einen
wesentlichen Bestandteil selbst des höheren Beamtentums. Dieses
ergänzte sich hauptsächlich aus den freien und unfreien Kreisen des
königlichen Gefolges. Gleich dem Gefolgsmann war der königliche
Beamte dem Könige zu besonderer Treue und besonderem Gehorsam
verpflichtet. Ungehorsam gegen königliche Befehle wurde als Bruch der
Diensttreue und als Auflehnung mit Tod oder Verstümmlung und Ein-
ziehung des Vermögens bestraft. Doch konnte die Strafe wenigstens
in bestimmten Fällen durch Zahlung des Wergeldes abgekauft werden.
Wie schon die Lex Salica wegen verweigerter oder unrechtmässiger
Pfändung dem Grafen Verwirkung oder Lösung des Lebens an-
drohte 2, so pflegten die Merowinger Befehle, auf deren prompte Aus-
führung sie Gewicht legten, den Beamten in der Weise einzuschärfen,
dass sie ihnen für den Fall der Übertretung Friedlosigkeit oder Todes-
strafe in Aussicht stellten 3. Es war nicht besondere Grausamkeit,
sondern nur eine Milderung jener Strenge, wenn Chilperich seinen
Befehlen die Klausel hinzufügte, dass der sie missachtende Beamte mit
Blendung bestraft werden solle 4. Noch der Karolinger Lothar I. be-
drohte die Beamten Istriens für den Fall hartnäckigen Ungehorsams

1 Die Privatbeamten werden unten in § 95 im Anschluss an Grundherrlich-
keit und Immunität besprochen werden.
2 Lex Sal. 50, 4; 51, 2; 78, 7.
3 Pactus Childeberti I. et Chloth. I. c. 18, Cap. I 7: si quis ex iudicibus
hunc decretum violare praesumpserit, vitae periculum se subiacere cognoscat.
Chloth. II. ed. c. 24, I 23: quicumque vero haec deliberationem .. temerare prae-
sumpserit .., capitali sententia iudicetur. König Guntchram sagt bei Gregor von
Tours VIII 30 zu seinen duces: certe si vos regalia iussa contempnetis et ea quae
praecipio implere differtis, iam debet securis capiti vestro submergi .. Si quis
legem mandatumque nostrum respuit, iam pereat. Vgl. die Urkunde angeblich
Chilperichs I. bei Pertz Dipl. M. 8: possessionem legibus amittat et insuper exul
et profugus a potestate totius regni nostri fugiens recedat.
4 Greg. Tur. Hist. Franc. VI 46: et in praeceptionibus, quas ad iudices pro
suis utilitatibus dirigebat, haec addebat: si quis praecepta nostra contempserit,
oculorum avulsione multetur. In der Sache wie in der Form noch immer minder
barbarisch als das publice vivus concremetur in Cod. Just. III 26, 9. Die Ablösung
der Blendung kostete weniger als die der Todesstrafe.

§ 69. Die Amtshoheit.
entbehrte er gewisse Vorrechte der königlichen Beamten, insbesondere
das höhere Wergeld, durch das diese geschützt waren. Im Laufe der
fränkischen Zeit wurde das Volksbeamtentum, wie die Darstellung der
Ämterverfassung ergeben wird, zuerst in seinen oberen, dann in einem
groſsen Teile des Reiches auch in seinen unteren Schichten von dem
königlichen Beamtentum aufgesogen 1.

Die königlichen Beamten befanden sich ursprünglich in strengster
Unterordnung unter den König. Königliche Eigenleute bildeten einen
wesentlichen Bestandteil selbst des höheren Beamtentums. Dieses
ergänzte sich hauptsächlich aus den freien und unfreien Kreisen des
königlichen Gefolges. Gleich dem Gefolgsmann war der königliche
Beamte dem Könige zu besonderer Treue und besonderem Gehorsam
verpflichtet. Ungehorsam gegen königliche Befehle wurde als Bruch der
Diensttreue und als Auflehnung mit Tod oder Verstümmlung und Ein-
ziehung des Vermögens bestraft. Doch konnte die Strafe wenigstens
in bestimmten Fällen durch Zahlung des Wergeldes abgekauft werden.
Wie schon die Lex Salica wegen verweigerter oder unrechtmäſsiger
Pfändung dem Grafen Verwirkung oder Lösung des Lebens an-
drohte 2, so pflegten die Merowinger Befehle, auf deren prompte Aus-
führung sie Gewicht legten, den Beamten in der Weise einzuschärfen,
daſs sie ihnen für den Fall der Übertretung Friedlosigkeit oder Todes-
strafe in Aussicht stellten 3. Es war nicht besondere Grausamkeit,
sondern nur eine Milderung jener Strenge, wenn Chilperich seinen
Befehlen die Klausel hinzufügte, daſs der sie miſsachtende Beamte mit
Blendung bestraft werden solle 4. Noch der Karolinger Lothar I. be-
drohte die Beamten Istriens für den Fall hartnäckigen Ungehorsams

1 Die Privatbeamten werden unten in § 95 im Anschluſs an Grundherrlich-
keit und Immunität besprochen werden.
2 Lex Sal. 50, 4; 51, 2; 78, 7.
3 Pactus Childeberti I. et Chloth. I. c. 18, Cap. I 7: si quis ex iudicibus
hunc decretum violare praesumpserit, vitae periculum se subiacere cognoscat.
Chloth. II. ed. c. 24, I 23: quicumque vero haec deliberationem .. temerare prae-
sumpserit .., capitali sententia iudicetur. König Guntchram sagt bei Gregor von
Tours VIII 30 zu seinen duces: certe si vos regalia iussa contempnetis et ea quae
praecipio implere differtis, iam debet securis capiti vestro submergi .. Si quis
legem mandatumque nostrum respuit, iam pereat. Vgl. die Urkunde angeblich
Chilperichs I. bei Pertz Dipl. M. 8: possessionem legibus amittat et insuper exul
et profugus a potestate totius regni nostri fugiens recedat.
4 Greg. Tur. Hist. Franc. VI 46: et in praeceptionibus, quas ad iudices pro
suis utilitatibus dirigebat, haec addebat: si quis praecepta nostra contempserit,
oculorum avulsione multetur. In der Sache wie in der Form noch immer minder
barbarisch als das publice vivus concremetur in Cod. Just. III 26, 9. Die Ablösung
der Blendung kostete weniger als die der Todesstrafe.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0096" n="78"/><fw place="top" type="header">§ 69. Die Amtshoheit.</fw><lb/>
entbehrte er gewisse Vorrechte der königlichen Beamten, insbesondere<lb/>
das höhere Wergeld, durch das diese geschützt waren. Im Laufe der<lb/>
fränkischen Zeit wurde das Volksbeamtentum, wie die Darstellung der<lb/>
Ämterverfassung ergeben wird, zuerst in seinen oberen, dann in einem<lb/>
gro&#x017F;sen Teile des Reiches auch in seinen unteren Schichten von dem<lb/>
königlichen Beamtentum aufgesogen <note place="foot" n="1">Die Privatbeamten werden unten in § 95 im Anschlu&#x017F;s an Grundherrlich-<lb/>
keit und Immunität besprochen werden.</note>.</p><lb/>
            <p>Die königlichen Beamten befanden sich ursprünglich in strengster<lb/>
Unterordnung unter den König. Königliche Eigenleute bildeten einen<lb/>
wesentlichen Bestandteil selbst des höheren Beamtentums. Dieses<lb/>
ergänzte sich hauptsächlich aus den freien und unfreien Kreisen des<lb/>
königlichen Gefolges. Gleich dem Gefolgsmann war der königliche<lb/>
Beamte dem Könige zu besonderer Treue und besonderem Gehorsam<lb/>
verpflichtet. Ungehorsam gegen königliche Befehle wurde als Bruch der<lb/>
Diensttreue und als Auflehnung mit Tod oder Verstümmlung und Ein-<lb/>
ziehung des Vermögens bestraft. Doch konnte die Strafe wenigstens<lb/>
in bestimmten Fällen durch Zahlung des Wergeldes abgekauft werden.<lb/>
Wie schon die Lex Salica wegen verweigerter oder unrechtmä&#x017F;siger<lb/>
Pfändung dem Grafen Verwirkung oder Lösung des Lebens an-<lb/>
drohte <note place="foot" n="2">Lex Sal. 50, 4; 51, 2; 78, 7.</note>, so pflegten die Merowinger Befehle, auf deren prompte Aus-<lb/>
führung sie Gewicht legten, den Beamten in der Weise einzuschärfen,<lb/>
da&#x017F;s sie ihnen für den Fall der Übertretung Friedlosigkeit oder Todes-<lb/>
strafe in Aussicht stellten <note place="foot" n="3">Pactus Childeberti I. et Chloth. I. c. 18, Cap. I 7: si quis ex iudicibus<lb/>
hunc decretum violare praesumpserit, vitae periculum se subiacere cognoscat.<lb/>
Chloth. II. ed. c. 24, I 23: quicumque vero haec deliberationem .. temerare prae-<lb/>
sumpserit .., capitali sententia iudicetur. König Guntchram sagt bei Gregor von<lb/>
Tours VIII 30 zu seinen duces: certe si vos regalia iussa contempnetis et ea quae<lb/>
praecipio implere differtis, iam debet securis capiti vestro submergi .. Si quis<lb/>
legem mandatumque nostrum respuit, iam pereat. Vgl. die Urkunde angeblich<lb/>
Chilperichs I. bei Pertz Dipl. M. 8: possessionem legibus amittat et insuper exul<lb/>
et profugus a potestate totius regni nostri fugiens recedat.</note>. Es war nicht besondere Grausamkeit,<lb/>
sondern nur eine Milderung jener Strenge, wenn Chilperich seinen<lb/>
Befehlen die Klausel hinzufügte, da&#x017F;s der sie mi&#x017F;sachtende Beamte mit<lb/>
Blendung bestraft werden solle <note place="foot" n="4">Greg. Tur. Hist. Franc. VI 46: et in praeceptionibus, quas ad iudices pro<lb/>
suis utilitatibus dirigebat, haec addebat: si quis praecepta nostra contempserit,<lb/>
oculorum avulsione multetur. In der Sache wie in der Form noch immer minder<lb/>
barbarisch als das publice vivus concremetur in Cod. Just. III 26, 9. Die Ablösung<lb/>
der Blendung kostete weniger als die der Todesstrafe.</note>. Noch der Karolinger Lothar I. be-<lb/>
drohte die Beamten Istriens für den Fall hartnäckigen Ungehorsams<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0096] § 69. Die Amtshoheit. entbehrte er gewisse Vorrechte der königlichen Beamten, insbesondere das höhere Wergeld, durch das diese geschützt waren. Im Laufe der fränkischen Zeit wurde das Volksbeamtentum, wie die Darstellung der Ämterverfassung ergeben wird, zuerst in seinen oberen, dann in einem groſsen Teile des Reiches auch in seinen unteren Schichten von dem königlichen Beamtentum aufgesogen 1. Die königlichen Beamten befanden sich ursprünglich in strengster Unterordnung unter den König. Königliche Eigenleute bildeten einen wesentlichen Bestandteil selbst des höheren Beamtentums. Dieses ergänzte sich hauptsächlich aus den freien und unfreien Kreisen des königlichen Gefolges. Gleich dem Gefolgsmann war der königliche Beamte dem Könige zu besonderer Treue und besonderem Gehorsam verpflichtet. Ungehorsam gegen königliche Befehle wurde als Bruch der Diensttreue und als Auflehnung mit Tod oder Verstümmlung und Ein- ziehung des Vermögens bestraft. Doch konnte die Strafe wenigstens in bestimmten Fällen durch Zahlung des Wergeldes abgekauft werden. Wie schon die Lex Salica wegen verweigerter oder unrechtmäſsiger Pfändung dem Grafen Verwirkung oder Lösung des Lebens an- drohte 2, so pflegten die Merowinger Befehle, auf deren prompte Aus- führung sie Gewicht legten, den Beamten in der Weise einzuschärfen, daſs sie ihnen für den Fall der Übertretung Friedlosigkeit oder Todes- strafe in Aussicht stellten 3. Es war nicht besondere Grausamkeit, sondern nur eine Milderung jener Strenge, wenn Chilperich seinen Befehlen die Klausel hinzufügte, daſs der sie miſsachtende Beamte mit Blendung bestraft werden solle 4. Noch der Karolinger Lothar I. be- drohte die Beamten Istriens für den Fall hartnäckigen Ungehorsams 1 Die Privatbeamten werden unten in § 95 im Anschluſs an Grundherrlich- keit und Immunität besprochen werden. 2 Lex Sal. 50, 4; 51, 2; 78, 7. 3 Pactus Childeberti I. et Chloth. I. c. 18, Cap. I 7: si quis ex iudicibus hunc decretum violare praesumpserit, vitae periculum se subiacere cognoscat. Chloth. II. ed. c. 24, I 23: quicumque vero haec deliberationem .. temerare prae- sumpserit .., capitali sententia iudicetur. König Guntchram sagt bei Gregor von Tours VIII 30 zu seinen duces: certe si vos regalia iussa contempnetis et ea quae praecipio implere differtis, iam debet securis capiti vestro submergi .. Si quis legem mandatumque nostrum respuit, iam pereat. Vgl. die Urkunde angeblich Chilperichs I. bei Pertz Dipl. M. 8: possessionem legibus amittat et insuper exul et profugus a potestate totius regni nostri fugiens recedat. 4 Greg. Tur. Hist. Franc. VI 46: et in praeceptionibus, quas ad iudices pro suis utilitatibus dirigebat, haec addebat: si quis praecepta nostra contempserit, oculorum avulsione multetur. In der Sache wie in der Form noch immer minder barbarisch als das publice vivus concremetur in Cod. Just. III 26, 9. Die Ablösung der Blendung kostete weniger als die der Todesstrafe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/96
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/96>, abgerufen am 23.11.2024.