Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 67. Königstreue und Huldigung.
diese von den Franken übernommen, so dürfte dagegen die Form
der fränkischen Huldigung eine Nachbildung des Diensteides gewesen
sein, den bei den Franken die Gefolgsleute und Beamten, später
die Vassallen zu schwören pflegten 28. Schon das Wort leudesamio
im merowingischen Unterthaneneid, welches sich nur mit hominium,
Mannschaft, übersetzen lässt, deutet auf Verhältnisse zurück, wie sie
bei engeren persönlichen Beziehungen zum König obwalteten 29. Von
den karolingischen Formeln sind die von 802 und 854 schlechtweg
mit einem Vassalleneide identisch 30. In der Formel von 789 fehlt
allerdings der Zusatz, der auf die Treue hinweist, welche der Mann
seinem Herrn schuldet. Doch darf kein entscheidendes Gewicht dar-
auf gelegt werden 31, da er mitunter auch in den jüngeren Lehnseiden
vermisst wird 32 und ebenso in den Eiden, die sich Karl der Kahle
858 und 872 zu Kiersy und Gondreville von den Grossen leisten liess,
und von welchen der erstere so wenig von einem wahren Unter-
thaneneide an sich hatte, dass er mit geringfügigen Änderungen ebenso-
gut bei Abschluss eines völkerrechtlichen Bündnisses hätte gebraucht
werden können 33. Der angelsächsische Unterthaneneid enthält einen
merklichen Anklang an die fränkischen Eide von 802 und 854 und
ist im übrigen ein Abklatsch des angelsächsischen Gefolgseides 34.


Schwur geleistet, dass der Schwörende den Princeps teuerer halten solle, als seine
eigenen Kinder. Mommsen, a. O. S. 768, Anm. 3.
28 So mit Recht Gierke, Genossenschaft I 111. Dippe a. O. S. 27 f.
29 Man vergleiche mit dem fidelitatem et leudesamio promittere bei Marculf
I 40 etwa den Eid, den nachmals die Vassallen des Grafen von Flandern leisten:
me fidelem fore comiti et sibi hominium integraliter contra omnes observaturum.
Waitz, VG VI 51, Anm. 2.
30 Von dem Vassalleneide, den Tassilo 757 dem König Pippin und dessen
Söhnen schwur, heisst es in den Annales Laur. maiores: fidelitatem promisit sicut
vassus recta mente et firma devotione per iusticiam, sicut vassus dominos suos
esse deberet. Nach Libri feudorum II 5 schwört der Vassall: quod ero fidelis sicut
debet esse vasallus domino, nach dem Vetus auctor de beneficiis I 8: sicut homo
est domino suo debitus.
31 Nach Flach, Origines de l'ancienne France S. 121, Anm. 1, hätte Karl
den Zusatz von 802 gemacht aus Eifersucht auf die Treue, welche sich die Senio-
ren von ihren Vassallen versprechen liessen. Zu solcher Eifersucht hätte er wohl
schon 789 Anlass gehabt.
32 Vgl. oben Anm. 29.
33 Von jüngeren Lehnseiden vgl. u. a. die bei Waitz VG VI 49, Anm. 6
angeführte Stelle: et sibi .. pius et fidelis adiutor existeret in omnibus ius suum
obtinere .. Siehe noch Homeyer, Ssp. II 2, S. 374.
34 Edmund III 1, Schmid S. 180: ut omnes iurent .. fidelitatem Edmundo
regi, sicut homo debet fidelis esse domino suo .. in amando, quod amabit,
nolendo, quod nolet. In dem Huldeid, Schmid, Anhang X, S. 405, welcher ver-

§ 67. Königstreue und Huldigung.
diese von den Franken übernommen, so dürfte dagegen die Form
der fränkischen Huldigung eine Nachbildung des Diensteides gewesen
sein, den bei den Franken die Gefolgsleute und Beamten, später
die Vassallen zu schwören pflegten 28. Schon das Wort leudesamio
im merowingischen Unterthaneneid, welches sich nur mit hominium,
Mannschaft, übersetzen läſst, deutet auf Verhältnisse zurück, wie sie
bei engeren persönlichen Beziehungen zum König obwalteten 29. Von
den karolingischen Formeln sind die von 802 und 854 schlechtweg
mit einem Vassalleneide identisch 30. In der Formel von 789 fehlt
allerdings der Zusatz, der auf die Treue hinweist, welche der Mann
seinem Herrn schuldet. Doch darf kein entscheidendes Gewicht dar-
auf gelegt werden 31, da er mitunter auch in den jüngeren Lehnseiden
vermiſst wird 32 und ebenso in den Eiden, die sich Karl der Kahle
858 und 872 zu Kiersy und Gondreville von den Groſsen leisten lieſs,
und von welchen der erstere so wenig von einem wahren Unter-
thaneneide an sich hatte, daſs er mit geringfügigen Änderungen ebenso-
gut bei Abschluſs eines völkerrechtlichen Bündnisses hätte gebraucht
werden können 33. Der angelsächsische Unterthaneneid enthält einen
merklichen Anklang an die fränkischen Eide von 802 und 854 und
ist im übrigen ein Abklatsch des angelsächsischen Gefolgseides 34.


Schwur geleistet, daſs der Schwörende den Princeps teuerer halten solle, als seine
eigenen Kinder. Mommsen, a. O. S. 768, Anm. 3.
28 So mit Recht Gierke, Genossenschaft I 111. Dippe a. O. S. 27 f.
29 Man vergleiche mit dem fidelitatem et leudesamio promittere bei Marculf
I 40 etwa den Eid, den nachmals die Vassallen des Grafen von Flandern leisten:
me fidelem fore comiti et sibi hominium integraliter contra omnes observaturum.
Waitz, VG VI 51, Anm. 2.
30 Von dem Vassalleneide, den Tassilo 757 dem König Pippin und dessen
Söhnen schwur, heiſst es in den Annales Laur. maiores: fidelitatem promisit sicut
vassus recta mente et firma devotione per iusticiam, sicut vassus dominos suos
esse deberet. Nach Libri feudorum II 5 schwört der Vassall: quod ero fidelis sicut
debet esse vasallus domino, nach dem Vetus auctor de beneficiis I 8: sicut homo
est domino suo debitus.
31 Nach Flach, Origines de l’ancienne France S. 121, Anm. 1, hätte Karl
den Zusatz von 802 gemacht aus Eifersucht auf die Treue, welche sich die Senio-
ren von ihren Vassallen versprechen lieſsen. Zu solcher Eifersucht hätte er wohl
schon 789 Anlaſs gehabt.
32 Vgl. oben Anm. 29.
33 Von jüngeren Lehnseiden vgl. u. a. die bei Waitz VG VI 49, Anm. 6
angeführte Stelle: et sibi .. pius et fidelis adiutor existeret in omnibus ius suum
obtinere .. Siehe noch Homeyer, Ssp. II 2, S. 374.
34 Edmund III 1, Schmid S. 180: ut omnes iurent .. fidelitatem Edmundo
regi, sicut homo debet fidelis esse domino suo .. in amando, quod amabit,
nolendo, quod nolet. In dem Huldeid, Schmid, Anhang X, S. 405, welcher ver-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0080" n="62"/><fw place="top" type="header">§ 67. Königstreue und Huldigung.</fw><lb/>
diese von den Franken übernommen, so dürfte dagegen die Form<lb/>
der fränkischen Huldigung eine Nachbildung des Diensteides gewesen<lb/>
sein, den bei den Franken die Gefolgsleute und Beamten, später<lb/>
die Vassallen zu schwören pflegten <note place="foot" n="28">So mit Recht <hi rendition="#g">Gierke</hi>, Genossenschaft I 111. <hi rendition="#g">Dippe</hi> a. O. S. 27 f.</note>. Schon das Wort leudesamio<lb/>
im merowingischen Unterthaneneid, welches sich nur mit hominium,<lb/>
Mannschaft, übersetzen lä&#x017F;st, deutet auf Verhältnisse zurück, wie sie<lb/>
bei engeren persönlichen Beziehungen zum König obwalteten <note place="foot" n="29">Man vergleiche mit dem fidelitatem et leudesamio promittere bei Marculf<lb/>
I 40 etwa den Eid, den nachmals die Vassallen des Grafen von Flandern leisten:<lb/>
me fidelem fore comiti et sibi hominium integraliter contra omnes observaturum.<lb/><hi rendition="#g">Waitz</hi>, VG VI 51, Anm. 2.</note>. Von<lb/>
den karolingischen Formeln sind die von 802 und 854 schlechtweg<lb/>
mit einem Vassalleneide identisch <note place="foot" n="30">Von dem Vassalleneide, den Tassilo 757 dem König Pippin und dessen<lb/>
Söhnen schwur, hei&#x017F;st es in den Annales Laur. maiores: fidelitatem promisit sicut<lb/>
vassus recta mente et firma devotione per iusticiam, sicut vassus dominos suos<lb/>
esse deberet. Nach Libri feudorum II 5 schwört der Vassall: quod ero fidelis sicut<lb/>
debet esse vasallus domino, nach dem Vetus auctor de beneficiis I 8: sicut homo<lb/>
est domino suo debitus.</note>. In der Formel von 789 fehlt<lb/>
allerdings der Zusatz, der auf die Treue hinweist, welche der Mann<lb/>
seinem Herrn schuldet. Doch darf kein entscheidendes Gewicht dar-<lb/>
auf gelegt werden <note place="foot" n="31">Nach <hi rendition="#g">Flach</hi>, Origines de l&#x2019;ancienne France S. 121, Anm. 1, hätte Karl<lb/>
den Zusatz von 802 gemacht aus Eifersucht auf die Treue, welche sich die Senio-<lb/>
ren von ihren Vassallen versprechen lie&#x017F;sen. Zu solcher Eifersucht hätte er wohl<lb/>
schon 789 Anla&#x017F;s gehabt.</note>, da er mitunter auch in den jüngeren Lehnseiden<lb/>
vermi&#x017F;st wird <note place="foot" n="32">Vgl. oben Anm. 29.</note> und ebenso in den Eiden, die sich Karl der Kahle<lb/>
858 und 872 zu Kiersy und Gondreville von den Gro&#x017F;sen leisten lie&#x017F;s,<lb/>
und von welchen der erstere so wenig von einem wahren Unter-<lb/>
thaneneide an sich hatte, da&#x017F;s er mit geringfügigen Änderungen ebenso-<lb/>
gut bei Abschlu&#x017F;s eines völkerrechtlichen Bündnisses hätte gebraucht<lb/>
werden können <note place="foot" n="33">Von jüngeren Lehnseiden vgl. u. a. die bei <hi rendition="#g">Waitz</hi> VG VI 49, Anm. 6<lb/>
angeführte Stelle: et sibi .. pius et fidelis adiutor existeret in omnibus ius suum<lb/>
obtinere .. Siehe noch <hi rendition="#g">Homeyer</hi>, Ssp. II 2, S. 374.</note>. Der angelsächsische Unterthaneneid enthält einen<lb/>
merklichen Anklang an die fränkischen Eide von 802 und 854 und<lb/>
ist im übrigen ein Abklatsch des angelsächsischen Gefolgseides <note xml:id="seg2pn_15_1" next="#seg2pn_15_2" place="foot" n="34">Edmund III 1, Schmid S. 180: ut omnes iurent .. fidelitatem Edmundo<lb/>
regi, <hi rendition="#g">sicut homo debet fidelis esse domino suo</hi> .. in amando, quod amabit,<lb/>
nolendo, quod nolet. In dem Huldeid, Schmid, Anhang X, S. 405, welcher ver-</note>.</p><lb/>
            <p>
              <note xml:id="seg2pn_14_2" prev="#seg2pn_14_1" place="foot" n="27">Schwur geleistet, da&#x017F;s der Schwörende den Princeps teuerer halten solle, als seine<lb/>
eigenen Kinder. <hi rendition="#g">Mommsen</hi>, a. O. S. 768, Anm. 3.</note>
            </p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0080] § 67. Königstreue und Huldigung. diese von den Franken übernommen, so dürfte dagegen die Form der fränkischen Huldigung eine Nachbildung des Diensteides gewesen sein, den bei den Franken die Gefolgsleute und Beamten, später die Vassallen zu schwören pflegten 28. Schon das Wort leudesamio im merowingischen Unterthaneneid, welches sich nur mit hominium, Mannschaft, übersetzen läſst, deutet auf Verhältnisse zurück, wie sie bei engeren persönlichen Beziehungen zum König obwalteten 29. Von den karolingischen Formeln sind die von 802 und 854 schlechtweg mit einem Vassalleneide identisch 30. In der Formel von 789 fehlt allerdings der Zusatz, der auf die Treue hinweist, welche der Mann seinem Herrn schuldet. Doch darf kein entscheidendes Gewicht dar- auf gelegt werden 31, da er mitunter auch in den jüngeren Lehnseiden vermiſst wird 32 und ebenso in den Eiden, die sich Karl der Kahle 858 und 872 zu Kiersy und Gondreville von den Groſsen leisten lieſs, und von welchen der erstere so wenig von einem wahren Unter- thaneneide an sich hatte, daſs er mit geringfügigen Änderungen ebenso- gut bei Abschluſs eines völkerrechtlichen Bündnisses hätte gebraucht werden können 33. Der angelsächsische Unterthaneneid enthält einen merklichen Anklang an die fränkischen Eide von 802 und 854 und ist im übrigen ein Abklatsch des angelsächsischen Gefolgseides 34. 27 28 So mit Recht Gierke, Genossenschaft I 111. Dippe a. O. S. 27 f. 29 Man vergleiche mit dem fidelitatem et leudesamio promittere bei Marculf I 40 etwa den Eid, den nachmals die Vassallen des Grafen von Flandern leisten: me fidelem fore comiti et sibi hominium integraliter contra omnes observaturum. Waitz, VG VI 51, Anm. 2. 30 Von dem Vassalleneide, den Tassilo 757 dem König Pippin und dessen Söhnen schwur, heiſst es in den Annales Laur. maiores: fidelitatem promisit sicut vassus recta mente et firma devotione per iusticiam, sicut vassus dominos suos esse deberet. Nach Libri feudorum II 5 schwört der Vassall: quod ero fidelis sicut debet esse vasallus domino, nach dem Vetus auctor de beneficiis I 8: sicut homo est domino suo debitus. 31 Nach Flach, Origines de l’ancienne France S. 121, Anm. 1, hätte Karl den Zusatz von 802 gemacht aus Eifersucht auf die Treue, welche sich die Senio- ren von ihren Vassallen versprechen lieſsen. Zu solcher Eifersucht hätte er wohl schon 789 Anlaſs gehabt. 32 Vgl. oben Anm. 29. 33 Von jüngeren Lehnseiden vgl. u. a. die bei Waitz VG VI 49, Anm. 6 angeführte Stelle: et sibi .. pius et fidelis adiutor existeret in omnibus ius suum obtinere .. Siehe noch Homeyer, Ssp. II 2, S. 374. 34 Edmund III 1, Schmid S. 180: ut omnes iurent .. fidelitatem Edmundo regi, sicut homo debet fidelis esse domino suo .. in amando, quod amabit, nolendo, quod nolet. In dem Huldeid, Schmid, Anhang X, S. 405, welcher ver- 27 Schwur geleistet, daſs der Schwörende den Princeps teuerer halten solle, als seine eigenen Kinder. Mommsen, a. O. S. 768, Anm. 3.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/80
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/80>, abgerufen am 24.11.2024.