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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 66. Königsschutz.
oder sub sua defensione et immunitatis tuitione gestellt habe, dass der
Kirchenvorstand die Güter der Kirche quieto ordine oder sub tuitionis
atque immunitatis suae defensione quieto ordine besitzen solle. Solchen
Schutz des Besitztums, der keinerlei persönliche Abhängigkeit in sich
schloss, liessen sich auch die Bischöfe für ihre Kirchen und für ihren
Privatbesitz gefallen36. Er wird von nun ab bei Verleihungen und
Bestätigungen der Immunität regelmässig ausgesprochen und, weil
durch allgemeinen Rechtssatz mit der Immunität verbunden, als selbst-
verständliche Konsequenz früher verliehener Immunität angesehen37.

Ausserdem werden für Kirchen seit Ludwig I. Mundbriefe, in
welchen der Schutz des Besitzstandes Ausfluss des die Person und
ihre Rechtssphäre befriedenden Mundiums ist, nur noch sehr selten
ausgestellt38. Die unter Ludwig I. verfasste Sammlung der formulae
imperiales enthält kein einziges Beispiel eines Mundbriefes für eine
Kirche, eine Thatsache, welche auf die starke Abneigung der kirch-
lichen Kreise gegen die Gewährung derartiger Schutzbriefe helles
Licht wirft. Unrichtig ist es dagegen, dass der besondere Königsschutz,
den die Mundbriefe gewährt hatten, in die Immunität aufgegangen
oder constant mit ihr vereinigt worden sei39. Vielmehr ist an Stelle
des dem Episkopat unwillkommenen persönlichen Schutzverhältnisses
ein davon unabhängiger Schutz des Besitzstandes, ein dinglicher Schutz
getreten, welcher mit der Immunität als solcher verbunden war40.
Gelegentlich wird solcher Schutz des Besitzstandes selbständig ohne

36 Bistumsgut konnte sogar unter dem Schutz eines Grafen stehen. Flo-
doard, Hist. Rem. III 26, MG SS XIII 540, Waitz, VG IV 239, Anm. 6.
37 Ludwig I. sagt in den Bestätigungen älterer Immunitätsbriefe von den Ur-
kunden seiner Vorgänger, dass sie defensio gewährten. Th. Sickel, Beiträge III
58 (232) ff.
38 Th. Sickel, Beiträge III 83 (257), 90 (264). Mühlbacher, Urkunden
Karls III. S. 443: Die Mundbriefe werden seit Ludwig dem Frommen immer sel-
tener und beschränken sich vornehmlich auf Italien.
39 Waitz, VG IV 290 ff.
40 Gegen Th. Sickel, der unter der defensio der Immunitätsbriefe den all-
gemeinen Kirchenfrieden verstehen zu können glaubt, siehe Waitz, VG IV 291,
Anm. 1. Andererseits ist aber im Gegensatz zu Waitz der Schutz, den der eigent-
liche Mundbrief gewährt, von der defensio des Immunitätsbriefes zu unterscheiden.
Der Mundbrief sagt, dass der Abt una cum monasterio u. s. w. in Schutz genom-
men werde. Das seit Ludwig I. übliche Immunitätsformular bezieht die defensio
nicht auf die Person, sondern auf die Güter der Kirche, indem es bestimmt, dass
das monasterium, seine Güter und Hintersassen (res, homines) die defensio ge-
niessen, der Abt die Kirchengüter sub immunitatis tuitione besitzen solle. Vgl. die
oben S. 52, Anm. 21 ff. angeführten Mundbriefformeln mit form. imper. 4. 11. 12. 28.

§ 66. Königsschutz.
oder sub sua defensione et immunitatis tuitione gestellt habe, daſs der
Kirchenvorstand die Güter der Kirche quieto ordine oder sub tuitionis
atque immunitatis suae defensione quieto ordine besitzen solle. Solchen
Schutz des Besitztums, der keinerlei persönliche Abhängigkeit in sich
schloſs, lieſsen sich auch die Bischöfe für ihre Kirchen und für ihren
Privatbesitz gefallen36. Er wird von nun ab bei Verleihungen und
Bestätigungen der Immunität regelmäſsig ausgesprochen und, weil
durch allgemeinen Rechtssatz mit der Immunität verbunden, als selbst-
verständliche Konsequenz früher verliehener Immunität angesehen37.

Auſserdem werden für Kirchen seit Ludwig I. Mundbriefe, in
welchen der Schutz des Besitzstandes Ausfluſs des die Person und
ihre Rechtssphäre befriedenden Mundiums ist, nur noch sehr selten
ausgestellt38. Die unter Ludwig I. verfaſste Sammlung der formulae
imperiales enthält kein einziges Beispiel eines Mundbriefes für eine
Kirche, eine Thatsache, welche auf die starke Abneigung der kirch-
lichen Kreise gegen die Gewährung derartiger Schutzbriefe helles
Licht wirft. Unrichtig ist es dagegen, daſs der besondere Königsschutz,
den die Mundbriefe gewährt hatten, in die Immunität aufgegangen
oder constant mit ihr vereinigt worden sei39. Vielmehr ist an Stelle
des dem Episkopat unwillkommenen persönlichen Schutzverhältnisses
ein davon unabhängiger Schutz des Besitzstandes, ein dinglicher Schutz
getreten, welcher mit der Immunität als solcher verbunden war40.
Gelegentlich wird solcher Schutz des Besitzstandes selbständig ohne

36 Bistumsgut konnte sogar unter dem Schutz eines Grafen stehen. Flo-
doard, Hist. Rem. III 26, MG SS XIII 540, Waitz, VG IV 239, Anm. 6.
37 Ludwig I. sagt in den Bestätigungen älterer Immunitätsbriefe von den Ur-
kunden seiner Vorgänger, daſs sie defensio gewährten. Th. Sickel, Beiträge III
58 (232) ff.
38 Th. Sickel, Beiträge III 83 (257), 90 (264). Mühlbacher, Urkunden
Karls III. S. 443: Die Mundbriefe werden seit Ludwig dem Frommen immer sel-
tener und beschränken sich vornehmlich auf Italien.
39 Waitz, VG IV 290 ff.
40 Gegen Th. Sickel, der unter der defensio der Immunitätsbriefe den all-
gemeinen Kirchenfrieden verstehen zu können glaubt, siehe Waitz, VG IV 291,
Anm. 1. Andererseits ist aber im Gegensatz zu Waitz der Schutz, den der eigent-
liche Mundbrief gewährt, von der defensio des Immunitätsbriefes zu unterscheiden.
Der Mundbrief sagt, daſs der Abt una cum monasterio u. s. w. in Schutz genom-
men werde. Das seit Ludwig I. übliche Immunitätsformular bezieht die defensio
nicht auf die Person, sondern auf die Güter der Kirche, indem es bestimmt, daſs
das monasterium, seine Güter und Hintersassen (res, homines) die defensio ge-
nieſsen, der Abt die Kirchengüter sub immunitatis tuitione besitzen solle. Vgl. die
oben S. 52, Anm. 21 ff. angeführten Mundbriefformeln mit form. imper. 4. 11. 12. 28.
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[55/0073] § 66. Königsschutz. oder sub sua defensione et immunitatis tuitione gestellt habe, daſs der Kirchenvorstand die Güter der Kirche quieto ordine oder sub tuitionis atque immunitatis suae defensione quieto ordine besitzen solle. Solchen Schutz des Besitztums, der keinerlei persönliche Abhängigkeit in sich schloſs, lieſsen sich auch die Bischöfe für ihre Kirchen und für ihren Privatbesitz gefallen 36. Er wird von nun ab bei Verleihungen und Bestätigungen der Immunität regelmäſsig ausgesprochen und, weil durch allgemeinen Rechtssatz mit der Immunität verbunden, als selbst- verständliche Konsequenz früher verliehener Immunität angesehen 37. Auſserdem werden für Kirchen seit Ludwig I. Mundbriefe, in welchen der Schutz des Besitzstandes Ausfluſs des die Person und ihre Rechtssphäre befriedenden Mundiums ist, nur noch sehr selten ausgestellt 38. Die unter Ludwig I. verfaſste Sammlung der formulae imperiales enthält kein einziges Beispiel eines Mundbriefes für eine Kirche, eine Thatsache, welche auf die starke Abneigung der kirch- lichen Kreise gegen die Gewährung derartiger Schutzbriefe helles Licht wirft. Unrichtig ist es dagegen, daſs der besondere Königsschutz, den die Mundbriefe gewährt hatten, in die Immunität aufgegangen oder constant mit ihr vereinigt worden sei 39. Vielmehr ist an Stelle des dem Episkopat unwillkommenen persönlichen Schutzverhältnisses ein davon unabhängiger Schutz des Besitzstandes, ein dinglicher Schutz getreten, welcher mit der Immunität als solcher verbunden war 40. Gelegentlich wird solcher Schutz des Besitzstandes selbständig ohne 36 Bistumsgut konnte sogar unter dem Schutz eines Grafen stehen. Flo- doard, Hist. Rem. III 26, MG SS XIII 540, Waitz, VG IV 239, Anm. 6. 37 Ludwig I. sagt in den Bestätigungen älterer Immunitätsbriefe von den Ur- kunden seiner Vorgänger, daſs sie defensio gewährten. Th. Sickel, Beiträge III 58 (232) ff. 38 Th. Sickel, Beiträge III 83 (257), 90 (264). Mühlbacher, Urkunden Karls III. S. 443: Die Mundbriefe werden seit Ludwig dem Frommen immer sel- tener und beschränken sich vornehmlich auf Italien. 39 Waitz, VG IV 290 ff. 40 Gegen Th. Sickel, der unter der defensio der Immunitätsbriefe den all- gemeinen Kirchenfrieden verstehen zu können glaubt, siehe Waitz, VG IV 291, Anm. 1. Andererseits ist aber im Gegensatz zu Waitz der Schutz, den der eigent- liche Mundbrief gewährt, von der defensio des Immunitätsbriefes zu unterscheiden. Der Mundbrief sagt, daſs der Abt una cum monasterio u. s. w. in Schutz genom- men werde. Das seit Ludwig I. übliche Immunitätsformular bezieht die defensio nicht auf die Person, sondern auf die Güter der Kirche, indem es bestimmt, daſs das monasterium, seine Güter und Hintersassen (res, homines) die defensio ge- nieſsen, der Abt die Kirchengüter sub immunitatis tuitione besitzen solle. Vgl. die oben S. 52, Anm. 21 ff. angeführten Mundbriefformeln mit form. imper. 4. 11. 12. 28.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/73>, abgerufen am 27.11.2024.