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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 146. Landes- und Hochverrat.
in fränkischen Quellen crimen maiestatis heisst und als Hochverrat
bezeichnet werden darf 21.

Auf die Behandlung der schweren Infidelität oder des Hochverrats
hat der römische Begriff des Majestätsverbrechens eingewirkt. Ab-
gesehen von der Aufnahme des römischen Wortes erfuhr der rechtliche
Thatbestand des Hochverrates unter dem fremdrechtlichen Einflusse
eine merkliche Erweiterung.

Hochverrat ist der gegen den König begangene Verrat. In der
Erbmonarchie erstreckt sich der Begriff des Hochverrats nicht nur auf
den König, sondern auch auf das Königshaus. Zu solchem Verrat
gehört in erster Linie Angriff und Anschlag gegen das Leben des
Königs, beziehungsweise seiner Angehörigen. Der Schuldige verwirkt
allenthalben sein Leben und sein Vermögen 22. Dass dabei der Ver-
such, sogar der entfernteste Versuch gleich dem vollendeten Verbrechen
bestraft wird, auch nach jenen Rechten, in denen er sonst noch eine
streng typische Behandlung erfährt, beruht auf dem Vorbilde des
römischen Rechtes 23. Der Hochverräter hat keinen Anspruch auf
Ledigung der Todesstrafe. Doch rechnen die Lex Alamannorum und
die Lex Baiuwariorum bei dem Anschlage gegen das Leben des Herzogs
mit der Möglichkeit, dass dem Schuldigen gestattet werde, sein Leben
zu erkaufen. Das angelsächsische Recht kennt sogar ein Wergeld des
Königs. Es zerfällt in zwei Teile, in die eigentliche Were, die
an die Verwandten bezahlt wird und für den König nicht höher an-
gesetzt ist, als für andere Mitglieder der königlichen Familie, und
in die Königsbusse, cynebot, die in gleicher Höhe mit der Were dem
Volke (to tham landleod) gebührt 24. Ein Wergeld im Betrage von
900 Solidi spricht die Lex Baiuwariorum dem Herzog zu. Auch das

21 Reus maiestatis nennt den Heerflüchtigen das Cap. Ticin. v. J. 801, c. 3,
I 205. Nach Greg. Tur. Hist. Franc. V 27 wurden zwei Bischöfe abgesetzt als rei
maiestatis et patriae proditores. 'Wahrscheinlich waren sie mit den Westgoten
oder Langobarden im Einverständnis'. Roth, BW S. 131, Anm. 79.
22 Roth. 1: si quis contra animam regis cogitaverit aut consiliaverit ...
Lex Wisig. II 1, 7: quicunque ... in necem vel abiectionem nostram sive sub-
sequentium regum intendere vel intendisse proditus videtur esse vel fuerit ... Lex
Alam. 23; vgl. 11. Lex Baiuw. II 1, 2; III 2. Lex Sax. 24. Alfred 4.
Aethelstan II 4. Edgar III 7. Aethelred V 30, VI 37. Knut II 26. 57. Über
die fränkische Praxis Roth, BW S. 128.
23 Man vergleiche das Wort cogitare in Roth. 1 mit der Anwendung desselben
Wortes in der bekannten Lex quisquis des Cod. Theod. IX 14, 3.
24 Schmid, Ges. d. Ags. Anhang VII 2, 1 und Anhang VII 3, 2. 3. 4.

§ 146. Landes- und Hochverrat.
in fränkischen Quellen crimen maiestatis heiſst und als Hochverrat
bezeichnet werden darf 21.

Auf die Behandlung der schweren Infidelität oder des Hochverrats
hat der römische Begriff des Majestätsverbrechens eingewirkt. Ab-
gesehen von der Aufnahme des römischen Wortes erfuhr der rechtliche
Thatbestand des Hochverrates unter dem fremdrechtlichen Einflusse
eine merkliche Erweiterung.

Hochverrat ist der gegen den König begangene Verrat. In der
Erbmonarchie erstreckt sich der Begriff des Hochverrats nicht nur auf
den König, sondern auch auf das Königshaus. Zu solchem Verrat
gehört in erster Linie Angriff und Anschlag gegen das Leben des
Königs, beziehungsweise seiner Angehörigen. Der Schuldige verwirkt
allenthalben sein Leben und sein Vermögen 22. Daſs dabei der Ver-
such, sogar der entfernteste Versuch gleich dem vollendeten Verbrechen
bestraft wird, auch nach jenen Rechten, in denen er sonst noch eine
streng typische Behandlung erfährt, beruht auf dem Vorbilde des
römischen Rechtes 23. Der Hochverräter hat keinen Anspruch auf
Ledigung der Todesstrafe. Doch rechnen die Lex Alamannorum und
die Lex Baiuwariorum bei dem Anschlage gegen das Leben des Herzogs
mit der Möglichkeit, daſs dem Schuldigen gestattet werde, sein Leben
zu erkaufen. Das angelsächsische Recht kennt sogar ein Wergeld des
Königs. Es zerfällt in zwei Teile, in die eigentliche Were, die
an die Verwandten bezahlt wird und für den König nicht höher an-
gesetzt ist, als für andere Mitglieder der königlichen Familie, und
in die Königsbuſse, cynebót, die in gleicher Höhe mit der Were dem
Volke (tó þám landléod) gebührt 24. Ein Wergeld im Betrage von
900 Solidi spricht die Lex Baiuwariorum dem Herzog zu. Auch das

21 Reus maiestatis nennt den Heerflüchtigen das Cap. Ticin. v. J. 801, c. 3,
I 205. Nach Greg. Tur. Hist. Franc. V 27 wurden zwei Bischöfe abgesetzt als rei
maiestatis et patriae proditores. ‘Wahrscheinlich waren sie mit den Westgoten
oder Langobarden im Einverständnis’. Roth, BW S. 131, Anm. 79.
22 Roth. 1: si quis contra animam regis cogitaverit aut consiliaverit …
Lex Wisig. II 1, 7: quicunque … in necem vel abiectionem nostram sive sub-
sequentium regum intendere vel intendisse proditus videtur esse vel fuerit … Lex
Alam. 23; vgl. 11. Lex Baiuw. II 1, 2; III 2. Lex Sax. 24. Alfred 4.
Aethelstan II 4. Edgar III 7. Aethelred V 30, VI 37. Knut II 26. 57. Über
die fränkische Praxis Roth, BW S. 128.
23 Man vergleiche das Wort cogitare in Roth. 1 mit der Anwendung desselben
Wortes in der bekannten Lex quisquis des Cod. Theod. IX 14, 3.
24 Schmid, Ges. d. Ags. Anhang VII 2, 1 und Anhang VII 3, 2. 3. 4.
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[688/0706] § 146. Landes- und Hochverrat. in fränkischen Quellen crimen maiestatis heiſst und als Hochverrat bezeichnet werden darf 21. Auf die Behandlung der schweren Infidelität oder des Hochverrats hat der römische Begriff des Majestätsverbrechens eingewirkt. Ab- gesehen von der Aufnahme des römischen Wortes erfuhr der rechtliche Thatbestand des Hochverrates unter dem fremdrechtlichen Einflusse eine merkliche Erweiterung. Hochverrat ist der gegen den König begangene Verrat. In der Erbmonarchie erstreckt sich der Begriff des Hochverrats nicht nur auf den König, sondern auch auf das Königshaus. Zu solchem Verrat gehört in erster Linie Angriff und Anschlag gegen das Leben des Königs, beziehungsweise seiner Angehörigen. Der Schuldige verwirkt allenthalben sein Leben und sein Vermögen 22. Daſs dabei der Ver- such, sogar der entfernteste Versuch gleich dem vollendeten Verbrechen bestraft wird, auch nach jenen Rechten, in denen er sonst noch eine streng typische Behandlung erfährt, beruht auf dem Vorbilde des römischen Rechtes 23. Der Hochverräter hat keinen Anspruch auf Ledigung der Todesstrafe. Doch rechnen die Lex Alamannorum und die Lex Baiuwariorum bei dem Anschlage gegen das Leben des Herzogs mit der Möglichkeit, daſs dem Schuldigen gestattet werde, sein Leben zu erkaufen. Das angelsächsische Recht kennt sogar ein Wergeld des Königs. Es zerfällt in zwei Teile, in die eigentliche Were, die an die Verwandten bezahlt wird und für den König nicht höher an- gesetzt ist, als für andere Mitglieder der königlichen Familie, und in die Königsbuſse, cynebót, die in gleicher Höhe mit der Were dem Volke (tó þám landléod) gebührt 24. Ein Wergeld im Betrage von 900 Solidi spricht die Lex Baiuwariorum dem Herzog zu. Auch das 21 Reus maiestatis nennt den Heerflüchtigen das Cap. Ticin. v. J. 801, c. 3, I 205. Nach Greg. Tur. Hist. Franc. V 27 wurden zwei Bischöfe abgesetzt als rei maiestatis et patriae proditores. ‘Wahrscheinlich waren sie mit den Westgoten oder Langobarden im Einverständnis’. Roth, BW S. 131, Anm. 79. 22 Roth. 1: si quis contra animam regis cogitaverit aut consiliaverit … Lex Wisig. II 1, 7: quicunque … in necem vel abiectionem nostram sive sub- sequentium regum intendere vel intendisse proditus videtur esse vel fuerit … Lex Alam. 23; vgl. 11. Lex Baiuw. II 1, 2; III 2. Lex Sax. 24. Alfred 4. Aethelstan II 4. Edgar III 7. Aethelred V 30, VI 37. Knut II 26. 57. Über die fränkische Praxis Roth, BW S. 128. 23 Man vergleiche das Wort cogitare in Roth. 1 mit der Anwendung desselben Wortes in der bekannten Lex quisquis des Cod. Theod. IX 14, 3. 24 Schmid, Ges. d. Ags. Anhang VII 2, 1 und Anhang VII 3, 2. 3. 4.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 688. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/706>, abgerufen am 22.11.2024.