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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 139. Diebstahl, Raub und Unterschlagung.
Die Busse des kleinen Diebstahls dürfte sich als Ablösung der Strafe
zu Haut und Haar auffassen lassen. Den Betrag von 45 Solidi finden
wir in mehreren Handschriften der Lex als Busse der Nase und des
Daumens angegeben. Auch die Summe von 35 Schillingen kommt
gelegentlich als Gliederbusse vor 62. Gliederstrafen zeigt uns das
Recht der karolingischen Zeit 63 und nachmals das altfranzösische und
das deutsche Recht 64 bei Ahndung des Diebstahls. Es hat daher die
meiste Wahrscheinlichkeit für sich, dass die Verfasser der Lex Salica
bei Feststellung der Diebstahlsbussen zunächst bestimmte Redemptions-
taxen zu Grunde legten und dann innerhalb der damit gewonnenen
Grenzen für gewisse Fälle mit Rücksicht auf den Wert des Diebstahls-
objektes und die Gefährlichkeit des Diebstahls weitere zum Teil will-
kürliche Abstufungen durchführten.

Eine Sonderstellung nimmt unter den deutschen Volksrechten
das sächsische Recht ein, indem es jeden grossen Diebstahl, mochte
er nun handhaft sein oder nicht, als todeswürdige Missethat behandelt.
In gleicher Weise straft das burgundische Recht den grossen Diebstahl
als crimen capitale.

Gewisse Diebstähle sind strafrechtlich ausgezeichnet. So nach
fränkischem Rechte der an einer Viehherde, sonesti 65, begangene
Diebstahl 66, nach sächsischem Rechte der Pferdediebstahl 67, nach

62 Für das Ohr in Septem Causae II 6, für den Pfeilfinger in Lex Sal. 29, 5.
63 Siehe oben Anm. 43. Die Lex Chamav. 20 verhängt bei Einbruchdiebstahl
die Lösung von Hand, Fuss oder Auge um den vierten Teil des Wergeldes.
64 Bouteiller II 39 (d'estre suspect de larcin), ed. 1611 S. 866 ff. Bei dem
ersten Diebstahl tritt Verlust des Ohres nebst Verbannung ein. Etablissements de
Saint Louis I 32: Verlust des Ohres bei dem ersten, des Fusses bei dem zweiten,
Tod bei dem dritten Diebstahl. Verlust der Augen oder des Fusses oder der Hand
droht der oben S. 641, Anm. 28 erwähnte Landfriede an. Über das jüngere deutsche
Recht siehe Cropp S. 334 ff. Abschneiden der Hand oder des Fusses, des Ohrs,
der Nase finden wir als Diebstahlsstrafe auch bei den Nordgermanen und bei den
Angelsachsen. v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 164. 167. Schmid, Ges.
der Ags. S. 557.
65 Sonesti zu ags. sunor, Herde. Vgl. sonorpair in Ed. Roth. 351.
66 Lex Sal. 2, 14 (25 Schweine); 3, 6 (12 Rinder); 38, 3. 4 (Hengst mit 12
oder 7 Stuten). Die Busse beträgt 621/2 Solidi. Wurden aus einer Herde von mehr
als 25 Schweinen deren 25 (also nicht die ganze Herde) gestohlen, so sind nur 35 Solidi
verwirkt. Stiehlt jemand aus einer Herde, die mehr als 50 Schweine zählt, deren
50, so büsst er nur 621/2 Solidi, weil dies nicht Herdendiebstahl ist. Auffallend
bleibt, dass die Lex Sal. nicht auch den Diebstahl einer ganzen Herde von
50 Schweinen erörtert. Ebenso fehlt hinter 3, 7 der Diebstahl der ganzen Herde von
25 Rindern. Vermutlich wurde durch Diebstahl grösserer Herden das Leben ver-
wirkt und haben die Verfasser der Lex Anstand genommen, die Todesstrafe zu er-
67 Er ist nach Lex Sax. 29 schlechtweg todeswürdig.

§ 139. Diebstahl, Raub und Unterschlagung.
Die Buſse des kleinen Diebstahls dürfte sich als Ablösung der Strafe
zu Haut und Haar auffassen lassen. Den Betrag von 45 Solidi finden
wir in mehreren Handschriften der Lex als Buſse der Nase und des
Daumens angegeben. Auch die Summe von 35 Schillingen kommt
gelegentlich als Gliederbuſse vor 62. Gliederstrafen zeigt uns das
Recht der karolingischen Zeit 63 und nachmals das altfranzösische und
das deutsche Recht 64 bei Ahndung des Diebstahls. Es hat daher die
meiste Wahrscheinlichkeit für sich, daſs die Verfasser der Lex Salica
bei Feststellung der Diebstahlsbuſsen zunächst bestimmte Redemptions-
taxen zu Grunde legten und dann innerhalb der damit gewonnenen
Grenzen für gewisse Fälle mit Rücksicht auf den Wert des Diebstahls-
objektes und die Gefährlichkeit des Diebstahls weitere zum Teil will-
kürliche Abstufungen durchführten.

Eine Sonderstellung nimmt unter den deutschen Volksrechten
das sächsische Recht ein, indem es jeden groſsen Diebstahl, mochte
er nun handhaft sein oder nicht, als todeswürdige Missethat behandelt.
In gleicher Weise straft das burgundische Recht den groſsen Diebstahl
als crimen capitale.

Gewisse Diebstähle sind strafrechtlich ausgezeichnet. So nach
fränkischem Rechte der an einer Viehherde, sonesti 65, begangene
Diebstahl 66, nach sächsischem Rechte der Pferdediebstahl 67, nach

62 Für das Ohr in Septem Causae II 6, für den Pfeilfinger in Lex Sal. 29, 5.
63 Siehe oben Anm. 43. Die Lex Chamav. 20 verhängt bei Einbruchdiebstahl
die Lösung von Hand, Fuſs oder Auge um den vierten Teil des Wergeldes.
64 Bouteiller II 39 (d’estre suspect de larcin), ed. 1611 S. 866 ff. Bei dem
ersten Diebstahl tritt Verlust des Ohres nebst Verbannung ein. Etablissements de
Saint Louis I 32: Verlust des Ohres bei dem ersten, des Fuſses bei dem zweiten,
Tod bei dem dritten Diebstahl. Verlust der Augen oder des Fuſses oder der Hand
droht der oben S. 641, Anm. 28 erwähnte Landfriede an. Über das jüngere deutsche
Recht siehe Cropp S. 334 ff. Abschneiden der Hand oder des Fuſses, des Ohrs,
der Nase finden wir als Diebstahlsstrafe auch bei den Nordgermanen und bei den
Angelsachsen. v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 164. 167. Schmid, Ges.
der Ags. S. 557.
65 Sonesti zu ags. sunor, Herde. Vgl. sonorpair in Ed. Roth. 351.
66 Lex Sal. 2, 14 (25 Schweine); 3, 6 (12 Rinder); 38, 3. 4 (Hengst mit 12
oder 7 Stuten). Die Buſse beträgt 62½ Solidi. Wurden aus einer Herde von mehr
als 25 Schweinen deren 25 (also nicht die ganze Herde) gestohlen, so sind nur 35 Solidi
verwirkt. Stiehlt jemand aus einer Herde, die mehr als 50 Schweine zählt, deren
50, so büſst er nur 62½ Solidi, weil dies nicht Herdendiebstahl ist. Auffallend
bleibt, daſs die Lex Sal. nicht auch den Diebstahl einer ganzen Herde von
50 Schweinen erörtert. Ebenso fehlt hinter 3, 7 der Diebstahl der ganzen Herde von
25 Rindern. Vermutlich wurde durch Diebstahl gröſserer Herden das Leben ver-
wirkt und haben die Verfasser der Lex Anstand genommen, die Todesstrafe zu er-
67 Er ist nach Lex Sax. 29 schlechtweg todeswürdig.
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[645/0663] § 139. Diebstahl, Raub und Unterschlagung. Die Buſse des kleinen Diebstahls dürfte sich als Ablösung der Strafe zu Haut und Haar auffassen lassen. Den Betrag von 45 Solidi finden wir in mehreren Handschriften der Lex als Buſse der Nase und des Daumens angegeben. Auch die Summe von 35 Schillingen kommt gelegentlich als Gliederbuſse vor 62. Gliederstrafen zeigt uns das Recht der karolingischen Zeit 63 und nachmals das altfranzösische und das deutsche Recht 64 bei Ahndung des Diebstahls. Es hat daher die meiste Wahrscheinlichkeit für sich, daſs die Verfasser der Lex Salica bei Feststellung der Diebstahlsbuſsen zunächst bestimmte Redemptions- taxen zu Grunde legten und dann innerhalb der damit gewonnenen Grenzen für gewisse Fälle mit Rücksicht auf den Wert des Diebstahls- objektes und die Gefährlichkeit des Diebstahls weitere zum Teil will- kürliche Abstufungen durchführten. Eine Sonderstellung nimmt unter den deutschen Volksrechten das sächsische Recht ein, indem es jeden groſsen Diebstahl, mochte er nun handhaft sein oder nicht, als todeswürdige Missethat behandelt. In gleicher Weise straft das burgundische Recht den groſsen Diebstahl als crimen capitale. Gewisse Diebstähle sind strafrechtlich ausgezeichnet. So nach fränkischem Rechte der an einer Viehherde, sonesti 65, begangene Diebstahl 66, nach sächsischem Rechte der Pferdediebstahl 67, nach 62 Für das Ohr in Septem Causae II 6, für den Pfeilfinger in Lex Sal. 29, 5. 63 Siehe oben Anm. 43. Die Lex Chamav. 20 verhängt bei Einbruchdiebstahl die Lösung von Hand, Fuſs oder Auge um den vierten Teil des Wergeldes. 64 Bouteiller II 39 (d’estre suspect de larcin), ed. 1611 S. 866 ff. Bei dem ersten Diebstahl tritt Verlust des Ohres nebst Verbannung ein. Etablissements de Saint Louis I 32: Verlust des Ohres bei dem ersten, des Fuſses bei dem zweiten, Tod bei dem dritten Diebstahl. Verlust der Augen oder des Fuſses oder der Hand droht der oben S. 641, Anm. 28 erwähnte Landfriede an. Über das jüngere deutsche Recht siehe Cropp S. 334 ff. Abschneiden der Hand oder des Fuſses, des Ohrs, der Nase finden wir als Diebstahlsstrafe auch bei den Nordgermanen und bei den Angelsachsen. v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 164. 167. Schmid, Ges. der Ags. S. 557. 65 Sonesti zu ags. sunor, Herde. Vgl. sonorpair in Ed. Roth. 351. 66 Lex Sal. 2, 14 (25 Schweine); 3, 6 (12 Rinder); 38, 3. 4 (Hengst mit 12 oder 7 Stuten). Die Buſse beträgt 62½ Solidi. Wurden aus einer Herde von mehr als 25 Schweinen deren 25 (also nicht die ganze Herde) gestohlen, so sind nur 35 Solidi verwirkt. Stiehlt jemand aus einer Herde, die mehr als 50 Schweine zählt, deren 50, so büſst er nur 62½ Solidi, weil dies nicht Herdendiebstahl ist. Auffallend bleibt, daſs die Lex Sal. nicht auch den Diebstahl einer ganzen Herde von 50 Schweinen erörtert. Ebenso fehlt hinter 3, 7 der Diebstahl der ganzen Herde von 25 Rindern. Vermutlich wurde durch Diebstahl gröſserer Herden das Leben ver- wirkt und haben die Verfasser der Lex Anstand genommen, die Todesstrafe zu er- 67 Er ist nach Lex Sax. 29 schlechtweg todeswürdig.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 645. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/663>, abgerufen am 17.05.2024.