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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 138. Mord, Todschlag und Körperverletzung.
sich sonach der Thatbestand des Mordes in der Regel aus zwei Hand-
lungen zusammen; denn genau genommen war es der Tote, der ge-
mordet wurde. Myrda daudan man, den toten Mann morden lautet
ein bezeichnender nordischer Ausdruck3, und deutlich lassen die frän-
kischen Quellen das occidere dem mittere in mordrem, in mordridam
vorausgehen4. Nichtsdestoweniger wurden Tötung und Verbergung
des Leichnams strafrechtlich als einheitliches Delikt des Mordes be-
handelt, indem das Recht aus dem Verbergen auf die Absicht der
heimlichen Tötung zurückschloss5. Auch gab es Fälle des Mordes, in
welchen die Handlung äusserlich betrachtet nur eine war; so, wenn
jemand einen Menschen dadurch tötete, dass er ihn in einen Brunnen
stürzte oder ins Wasser warf6.

Über die streng typische Ausgestaltung des Mordes hat sich unter
den deutschen Volksrechten das langobardische Recht bereits hinaus-
gehoben, indem es schlechtweg die meuchlings verübte, die heimliche
Tötung, das homicidium absconse perpetratum, als Mord behandelte7.
Ebenso ist das westfränkische Recht allmählich zum abstrakten Begriffe
der interfectio furtiva durchgedrungen8, der nachmals auch in den
anglo-normannischen9 und in den deutschen Rechtsquellen10 begegnet.

Mord konnte nicht nur an Freien, sondern auch an Unfreien be-
gangen werden. Westgotisches, bairisches Recht und ostnordische
Rechte kennen auch eine durch Heimlichkeit ausgezeichnete Tötung
fremden Viehes11.


3 Wilda, Strafrecht S. 708. 975, Anm. 1.
4 Septem Causae VIII 1 ff.
5 Die Auffassung Jarckes, Handbuch des deutschen Strafrechts III 213, dass
die Vereitelung des Beweises durch das Gottesurteil des Scheingehens dem Morde
charakteristisch gewesen sei, scheitert schon daran, dass das Bahrrecht, wenn es in
fränkischer Zeit bereits als echtes Gottesurteil vorgekommen sein sollte, sicherlich
noch nicht in gerichtlicher Anwendung war.
6 Cap. I 257. Siehe oben S. 560.
7 Roth. 14. 369. 370. Weil der Mord heimliche Tötung ist, kann ein Mord
von mehr als zwei Menschen zugleich nicht begangen werden. Die Beteiligung
eines Dritten würde das Merkmal der Heimlichkeit ausschliessen.
8 Thevenin Nr. 145, S. 211, v. J. 1013--1033: pro interfectione furtiva cuius-
dam sui servi, quem ipse et uxor sua latenter interfecerunt. Anders liegt die
Sache in der Lex Baiuw. XIX 2. 3. Diese spricht zwar von einem furtivo modo
occidere, verlangt aber, dass das abscondere hinzukomme.
9 Nach Glanvilla XIV 3, § 2 ist murdrum das homicidium, quod nullo vidente,
nullo sciente clam perpetratur.
10 Allfeld S. 64.
11 Lex Wisig. VII 2, 23. Übereinstimmend Lex Baiuw. IX 9. Wilda,
Strafrecht S. 570, Anm. 4.

§ 138. Mord, Todschlag und Körperverletzung.
sich sonach der Thatbestand des Mordes in der Regel aus zwei Hand-
lungen zusammen; denn genau genommen war es der Tote, der ge-
mordet wurde. Myrđa dauđan man, den toten Mann morden lautet
ein bezeichnender nordischer Ausdruck3, und deutlich lassen die frän-
kischen Quellen das occidere dem mittere in mordrem, in mordridam
vorausgehen4. Nichtsdestoweniger wurden Tötung und Verbergung
des Leichnams strafrechtlich als einheitliches Delikt des Mordes be-
handelt, indem das Recht aus dem Verbergen auf die Absicht der
heimlichen Tötung zurückschloſs5. Auch gab es Fälle des Mordes, in
welchen die Handlung äuſserlich betrachtet nur eine war; so, wenn
jemand einen Menschen dadurch tötete, daſs er ihn in einen Brunnen
stürzte oder ins Wasser warf6.

Über die streng typische Ausgestaltung des Mordes hat sich unter
den deutschen Volksrechten das langobardische Recht bereits hinaus-
gehoben, indem es schlechtweg die meuchlings verübte, die heimliche
Tötung, das homicidium absconse perpetratum, als Mord behandelte7.
Ebenso ist das westfränkische Recht allmählich zum abstrakten Begriffe
der interfectio furtiva durchgedrungen8, der nachmals auch in den
anglo-normannischen9 und in den deutschen Rechtsquellen10 begegnet.

Mord konnte nicht nur an Freien, sondern auch an Unfreien be-
gangen werden. Westgotisches, bairisches Recht und ostnordische
Rechte kennen auch eine durch Heimlichkeit ausgezeichnete Tötung
fremden Viehes11.


3 Wilda, Strafrecht S. 708. 975, Anm. 1.
4 Septem Causae VIII 1 ff.
5 Die Auffassung Jarckes, Handbuch des deutschen Strafrechts III 213, daſs
die Vereitelung des Beweises durch das Gottesurteil des Scheingehens dem Morde
charakteristisch gewesen sei, scheitert schon daran, daſs das Bahrrecht, wenn es in
fränkischer Zeit bereits als echtes Gottesurteil vorgekommen sein sollte, sicherlich
noch nicht in gerichtlicher Anwendung war.
6 Cap. I 257. Siehe oben S. 560.
7 Roth. 14. 369. 370. Weil der Mord heimliche Tötung ist, kann ein Mord
von mehr als zwei Menschen zugleich nicht begangen werden. Die Beteiligung
eines Dritten würde das Merkmal der Heimlichkeit ausschlieſsen.
8 Thévenin Nr. 145, S. 211, v. J. 1013—1033: pro interfectione furtiva cuius-
dam sui servi, quem ipse et uxor sua latenter interfecerunt. Anders liegt die
Sache in der Lex Baiuw. XIX 2. 3. Diese spricht zwar von einem furtivo modo
occidere, verlangt aber, daſs das abscondere hinzukomme.
9 Nach Glanvilla XIV 3, § 2 ist murdrum das homicidium, quod nullo vidente,
nullo sciente clam perpetratur.
10 Allfeld S. 64.
11 Lex Wisig. VII 2, 23. Übereinstimmend Lex Baiuw. IX 9. Wilda,
Strafrecht S. 570, Anm. 4.
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[628/0646] § 138. Mord, Todschlag und Körperverletzung. sich sonach der Thatbestand des Mordes in der Regel aus zwei Hand- lungen zusammen; denn genau genommen war es der Tote, der ge- mordet wurde. Myrđa dauđan man, den toten Mann morden lautet ein bezeichnender nordischer Ausdruck 3, und deutlich lassen die frän- kischen Quellen das occidere dem mittere in mordrem, in mordridam vorausgehen 4. Nichtsdestoweniger wurden Tötung und Verbergung des Leichnams strafrechtlich als einheitliches Delikt des Mordes be- handelt, indem das Recht aus dem Verbergen auf die Absicht der heimlichen Tötung zurückschloſs 5. Auch gab es Fälle des Mordes, in welchen die Handlung äuſserlich betrachtet nur eine war; so, wenn jemand einen Menschen dadurch tötete, daſs er ihn in einen Brunnen stürzte oder ins Wasser warf 6. Über die streng typische Ausgestaltung des Mordes hat sich unter den deutschen Volksrechten das langobardische Recht bereits hinaus- gehoben, indem es schlechtweg die meuchlings verübte, die heimliche Tötung, das homicidium absconse perpetratum, als Mord behandelte 7. Ebenso ist das westfränkische Recht allmählich zum abstrakten Begriffe der interfectio furtiva durchgedrungen 8, der nachmals auch in den anglo-normannischen 9 und in den deutschen Rechtsquellen 10 begegnet. Mord konnte nicht nur an Freien, sondern auch an Unfreien be- gangen werden. Westgotisches, bairisches Recht und ostnordische Rechte kennen auch eine durch Heimlichkeit ausgezeichnete Tötung fremden Viehes 11. 3 Wilda, Strafrecht S. 708. 975, Anm. 1. 4 Septem Causae VIII 1 ff. 5 Die Auffassung Jarckes, Handbuch des deutschen Strafrechts III 213, daſs die Vereitelung des Beweises durch das Gottesurteil des Scheingehens dem Morde charakteristisch gewesen sei, scheitert schon daran, daſs das Bahrrecht, wenn es in fränkischer Zeit bereits als echtes Gottesurteil vorgekommen sein sollte, sicherlich noch nicht in gerichtlicher Anwendung war. 6 Cap. I 257. Siehe oben S. 560. 7 Roth. 14. 369. 370. Weil der Mord heimliche Tötung ist, kann ein Mord von mehr als zwei Menschen zugleich nicht begangen werden. Die Beteiligung eines Dritten würde das Merkmal der Heimlichkeit ausschlieſsen. 8 Thévenin Nr. 145, S. 211, v. J. 1013—1033: pro interfectione furtiva cuius- dam sui servi, quem ipse et uxor sua latenter interfecerunt. Anders liegt die Sache in der Lex Baiuw. XIX 2. 3. Diese spricht zwar von einem furtivo modo occidere, verlangt aber, daſs das abscondere hinzukomme. 9 Nach Glanvilla XIV 3, § 2 ist murdrum das homicidium, quod nullo vidente, nullo sciente clam perpetratur. 10 Allfeld S. 64. 11 Lex Wisig. VII 2, 23. Übereinstimmend Lex Baiuw. IX 9. Wilda, Strafrecht S. 570, Anm. 4.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/646>, abgerufen am 22.11.2024.