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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 133. Die Lebensstrafen.
an11. Das ribuarische Volksrecht behandelt als Verwirkung des Lebens
die Infidelität, die Anfechtung der Königsurkunde und die Bestechlich-
keit des königlichen Beamten12. Die Todeswürdigkeit der Infidelität
war der Lex Salica gegenüber sicherlich keine Neuerung; vielmehr
setzt schon diese sie stillschweigend voraus, was sich daraus erschliessen
lässt, dass der Ungehorsam gegen das königliche Gebot, durch den
der Graf sein Leben verwirkt, rechtlich als Infidelität aufzufassen ist13,
ferner daraus, dass falsche Anklage vor dem König als Lebensgefährdung
gebüsst wird14. Die Lex Alamannorum verpönt bei Todesstrafe nur
den Mordanschlag gegen den Herzog, den Landesverrat und die Er-
regung eines scandalum in hoste15. Nach ausdrücklicher Vorschrift
der Lex Baiuwariorum soll mit dem Verluste des Lebens nur Hoch-
und Landesverrat geahndet werden16.

Das Zurücktreten der Todesstrafe in der Satzung des Rechtes
bedeutete nicht ihr Verschwinden aus dem Rechtsleben. In den
historischen Quellen, besonders in den Heiligenleben und in Zusätzen
zur Lex Salica spielt die Todesstrafe, namentlich der Galgen, eine er-
heblich grössere Rolle, als man nach den gleichzeitigen Satzungen an-
zunehmen geneigt wäre17. Aber auch die durch Satzung angedrohte
Todesstrafe gewinnt in den Novellen und in den jüngeren Texten der
Lex Salica breiteren Raum. Sie lassen insbesondere auch ersehen,
dass auf handhaften Diebstahl bei den Saliern ebenso wie bei den
Ribuariern von altersher peinliche Strafe stand18. Die karolingischen
Quellen bringen weitere Fälle der Lebensverwirkung, wie denn über-
haupt die Lebens- und Leibesstrafen eine fortschreitende Ausdehnung
erfahren, eine Entwicklung, deren Höhepunkt die zahlreichen Todes-
strafen der Capitulatio de partibus Saxoniae und der Lex Saxonum
bezeichnen.

Die Todesstrafe ist öffentliche oder Privatstrafe. Als Privatstrafe
erscheint sie, wenn sie die Sippe oder der Ehemann auf Grund ihrer

11 Lex Sal. 13, 7; 40, 5; 50, 4; 51, 2; 58, 6. Über 19, 1 Cod. 2 siehe oben
S. 471, Anm. 19.
12 Lex Rib. 60, 6; 69, 1; 88.
13 Siehe oben S. 78. Bei Abfassung der Lex hatte der König keinen An-
lass, Strafbestimmungen über Missethaten aufnehmen zu lassen, die wie die In-
fidelität seiner Jurisdiction vorbehalten waren.
14 Siehe unten § 144.
15 Lex Alam. 23. 24. 25.
16 Lex Baiuw. II 1, 2.
17 Lex Sal. 67: si quis hominem ... de furcas abaterit aut de ramum, ubi
incrocatur (vgl. franz. croc, der Haken, Diez, WB II c s. h. v.), aut reponere
praesumpserit. Lex Sal. 68. 107, 2. 3.
18 Siehe unten § 139.

§ 133. Die Lebensstrafen.
an11. Das ribuarische Volksrecht behandelt als Verwirkung des Lebens
die Infidelität, die Anfechtung der Königsurkunde und die Bestechlich-
keit des königlichen Beamten12. Die Todeswürdigkeit der Infidelität
war der Lex Salica gegenüber sicherlich keine Neuerung; vielmehr
setzt schon diese sie stillschweigend voraus, was sich daraus erschlieſsen
läſst, daſs der Ungehorsam gegen das königliche Gebot, durch den
der Graf sein Leben verwirkt, rechtlich als Infidelität aufzufassen ist13,
ferner daraus, daſs falsche Anklage vor dem König als Lebensgefährdung
gebüſst wird14. Die Lex Alamannorum verpönt bei Todesstrafe nur
den Mordanschlag gegen den Herzog, den Landesverrat und die Er-
regung eines scandalum in hoste15. Nach ausdrücklicher Vorschrift
der Lex Baiuwariorum soll mit dem Verluste des Lebens nur Hoch-
und Landesverrat geahndet werden16.

Das Zurücktreten der Todesstrafe in der Satzung des Rechtes
bedeutete nicht ihr Verschwinden aus dem Rechtsleben. In den
historischen Quellen, besonders in den Heiligenleben und in Zusätzen
zur Lex Salica spielt die Todesstrafe, namentlich der Galgen, eine er-
heblich gröſsere Rolle, als man nach den gleichzeitigen Satzungen an-
zunehmen geneigt wäre17. Aber auch die durch Satzung angedrohte
Todesstrafe gewinnt in den Novellen und in den jüngeren Texten der
Lex Salica breiteren Raum. Sie lassen insbesondere auch ersehen,
daſs auf handhaften Diebstahl bei den Saliern ebenso wie bei den
Ribuariern von altersher peinliche Strafe stand18. Die karolingischen
Quellen bringen weitere Fälle der Lebensverwirkung, wie denn über-
haupt die Lebens- und Leibesstrafen eine fortschreitende Ausdehnung
erfahren, eine Entwicklung, deren Höhepunkt die zahlreichen Todes-
strafen der Capitulatio de partibus Saxoniae und der Lex Saxonum
bezeichnen.

Die Todesstrafe ist öffentliche oder Privatstrafe. Als Privatstrafe
erscheint sie, wenn sie die Sippe oder der Ehemann auf Grund ihrer

11 Lex Sal. 13, 7; 40, 5; 50, 4; 51, 2; 58, 6. Über 19, 1 Cod. 2 siehe oben
S. 471, Anm. 19.
12 Lex Rib. 60, 6; 69, 1; 88.
13 Siehe oben S. 78. Bei Abfassung der Lex hatte der König keinen An-
laſs, Strafbestimmungen über Missethaten aufnehmen zu lassen, die wie die In-
fidelität seiner Jurisdiction vorbehalten waren.
14 Siehe unten § 144.
15 Lex Alam. 23. 24. 25.
16 Lex Baiuw. II 1, 2.
17 Lex Sal. 67: si quis hominem … de furcas abaterit aut de ramum, ubi
incrocatur (vgl. franz. croc, der Haken, Diez, WB II c s. h. v.), aut reponere
praesumpserit. Lex Sal. 68. 107, 2. 3.
18 Siehe unten § 139.
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[600/0618] § 133. Die Lebensstrafen. an 11. Das ribuarische Volksrecht behandelt als Verwirkung des Lebens die Infidelität, die Anfechtung der Königsurkunde und die Bestechlich- keit des königlichen Beamten 12. Die Todeswürdigkeit der Infidelität war der Lex Salica gegenüber sicherlich keine Neuerung; vielmehr setzt schon diese sie stillschweigend voraus, was sich daraus erschlieſsen läſst, daſs der Ungehorsam gegen das königliche Gebot, durch den der Graf sein Leben verwirkt, rechtlich als Infidelität aufzufassen ist 13, ferner daraus, daſs falsche Anklage vor dem König als Lebensgefährdung gebüſst wird 14. Die Lex Alamannorum verpönt bei Todesstrafe nur den Mordanschlag gegen den Herzog, den Landesverrat und die Er- regung eines scandalum in hoste 15. Nach ausdrücklicher Vorschrift der Lex Baiuwariorum soll mit dem Verluste des Lebens nur Hoch- und Landesverrat geahndet werden 16. Das Zurücktreten der Todesstrafe in der Satzung des Rechtes bedeutete nicht ihr Verschwinden aus dem Rechtsleben. In den historischen Quellen, besonders in den Heiligenleben und in Zusätzen zur Lex Salica spielt die Todesstrafe, namentlich der Galgen, eine er- heblich gröſsere Rolle, als man nach den gleichzeitigen Satzungen an- zunehmen geneigt wäre 17. Aber auch die durch Satzung angedrohte Todesstrafe gewinnt in den Novellen und in den jüngeren Texten der Lex Salica breiteren Raum. Sie lassen insbesondere auch ersehen, daſs auf handhaften Diebstahl bei den Saliern ebenso wie bei den Ribuariern von altersher peinliche Strafe stand 18. Die karolingischen Quellen bringen weitere Fälle der Lebensverwirkung, wie denn über- haupt die Lebens- und Leibesstrafen eine fortschreitende Ausdehnung erfahren, eine Entwicklung, deren Höhepunkt die zahlreichen Todes- strafen der Capitulatio de partibus Saxoniae und der Lex Saxonum bezeichnen. Die Todesstrafe ist öffentliche oder Privatstrafe. Als Privatstrafe erscheint sie, wenn sie die Sippe oder der Ehemann auf Grund ihrer 11 Lex Sal. 13, 7; 40, 5; 50, 4; 51, 2; 58, 6. Über 19, 1 Cod. 2 siehe oben S. 471, Anm. 19. 12 Lex Rib. 60, 6; 69, 1; 88. 13 Siehe oben S. 78. Bei Abfassung der Lex hatte der König keinen An- laſs, Strafbestimmungen über Missethaten aufnehmen zu lassen, die wie die In- fidelität seiner Jurisdiction vorbehalten waren. 14 Siehe unten § 144. 15 Lex Alam. 23. 24. 25. 16 Lex Baiuw. II 1, 2. 17 Lex Sal. 67: si quis hominem … de furcas abaterit aut de ramum, ubi incrocatur (vgl. franz. croc, der Haken, Diez, WB II c s. h. v.), aut reponere praesumpserit. Lex Sal. 68. 107, 2. 3. 18 Siehe unten § 139.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/618>, abgerufen am 22.11.2024.