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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 129. Die Begünstigung.
Ächters strengere Strafen gekannt haben. Sonst wäre es unmöglich,
die Vorschrift eines Aachener Kapitulars v. J. 809, dass der Freie,
der einen latro forbannitus aufnimmt, nur fünfzehn Solidi büssen
solle, mit der oben erwähnten Vorschrift eines ungefähr gleich-
zeitigen Kapitulars zu vereinigen, nach welchem der Begünstiger des
latro gleich diesem bestraft wird 12.

Höchst wahrscheinlich galten jene geringeren Bussen nur der Über-
tretung des bei der Ächtung ausgesprochenen Verbotes, den Fried-
losen zu hausen und zu hofen, sodass sie sich für das fränkische
Recht als Bussen des Bannbruches darstellen. Sie wurden schon mit
der einmaligen Beherbergung oder Beköstigung des Ächters verwirkt und
waren unabhängig von dem Wissen oder Nichtwissen dessen, der sie
verwirkte. Dagegen wollten die Acht und die sonstigen strengeren Strafen
nur Fälle wissentlicher Begünstigung treffen, durch die der Ächter
der öffentlichen Gewalt und der Gesamtheit vorenthalten oder in be-
wusster Auflehnung gegen sie gefördert werden sollte 13. Die Grenzen
dieses Deliktes waren in den einzelnen Rechten mehr oder minder
weit gezogen. Mitunter wurde der dolus aus der Dauer des ge-
währten Schutzes gefolgert. Doch war die grundsätzliche Auffassung
wohl allenthalben dieselbe. Besonders lehrreich ist in dieser Be-
ziehung eine altschwedische Rechtsquelle. Nach ostgötischem Rechte
verbricht die Vierzigmarkbusse, wer den Friedlosen mehr als einmal
speist oder ihm behilflich ist, etwas Unerlaubtes auszuführen, oder ihm
sonst Vorschub leistet. Aber nur drei Mark büsst, wer ihm eine
einzige Mahlzeit giebt oder mit ihm verkehrt 14. Auch für das
fränkische Recht lässt sich unbedenklich behaupten, dass wissentliche
und fortgesetzte 15 Begünstigung des Geächteten strenger geahndet
wurde, als der einfache Bruch des Ächtungbannes, und dass beispiels-
weise die widersetzliche Förderung des geächteten Diebes nicht milder
bestraft wurde, als die des nicht geächteten.


12 Cap. Aquisgran. c. 3, I 148, vergl. mit Cap. I 156, c. 2.
13 Das Hegen und Halten der Statuten von Goslar S. 59, 29. Vgl. John,
Strafr. in Norddeutschland S. 236.
14 Wilda, Strafr. S. 286. Nach Knut II 66 gefährdet Leben und Gut, wer
einen Exkommunicierten oder einen Friedlosen hat und hält (haebbe and healde).
Dagegen droht Aethelred VIII 42 jene Strafe hinsichtlich des Exkommunicierten
(Godes utlah) nur an, wenn man ihn über die vom König gesetzte Frist hinaus be-
schützt. Vgl. Aethelstan V 4, § 3.
15 Nach Cap. de partibus Saxoniae c. 24, I 70 verwirkt man den Königsbann
wegen Aufnahme von latrones et malefactores, qui de uno comitatu ad alium con-
fugium fecerint, nur wenn man sie sieben Nächte beherbergt hat.
Binding, Handbuch II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 37

§ 129. Die Begünstigung.
Ächters strengere Strafen gekannt haben. Sonst wäre es unmöglich,
die Vorschrift eines Aachener Kapitulars v. J. 809, daſs der Freie,
der einen latro forbannitus aufnimmt, nur fünfzehn Solidi büſsen
solle, mit der oben erwähnten Vorschrift eines ungefähr gleich-
zeitigen Kapitulars zu vereinigen, nach welchem der Begünstiger des
latro gleich diesem bestraft wird 12.

Höchst wahrscheinlich galten jene geringeren Buſsen nur der Über-
tretung des bei der Ächtung ausgesprochenen Verbotes, den Fried-
losen zu hausen und zu hofen, sodaſs sie sich für das fränkische
Recht als Buſsen des Bannbruches darstellen. Sie wurden schon mit
der einmaligen Beherbergung oder Beköstigung des Ächters verwirkt und
waren unabhängig von dem Wissen oder Nichtwissen dessen, der sie
verwirkte. Dagegen wollten die Acht und die sonstigen strengeren Strafen
nur Fälle wissentlicher Begünstigung treffen, durch die der Ächter
der öffentlichen Gewalt und der Gesamtheit vorenthalten oder in be-
wuſster Auflehnung gegen sie gefördert werden sollte 13. Die Grenzen
dieses Deliktes waren in den einzelnen Rechten mehr oder minder
weit gezogen. Mitunter wurde der dolus aus der Dauer des ge-
währten Schutzes gefolgert. Doch war die grundsätzliche Auffassung
wohl allenthalben dieselbe. Besonders lehrreich ist in dieser Be-
ziehung eine altschwedische Rechtsquelle. Nach ostgötischem Rechte
verbricht die Vierzigmarkbuſse, wer den Friedlosen mehr als einmal
speist oder ihm behilflich ist, etwas Unerlaubtes auszuführen, oder ihm
sonst Vorschub leistet. Aber nur drei Mark büſst, wer ihm eine
einzige Mahlzeit giebt oder mit ihm verkehrt 14. Auch für das
fränkische Recht läſst sich unbedenklich behaupten, daſs wissentliche
und fortgesetzte 15 Begünstigung des Geächteten strenger geahndet
wurde, als der einfache Bruch des Ächtungbannes, und daſs beispiels-
weise die widersetzliche Förderung des geächteten Diebes nicht milder
bestraft wurde, als die des nicht geächteten.


12 Cap. Aquisgran. c. 3, I 148, vergl. mit Cap. I 156, c. 2.
13 Das Hegen und Halten der Statuten von Goslar S. 59, 29. Vgl. John,
Strafr. in Norddeutschland S. 236.
14 Wilda, Strafr. S. 286. Nach Knut II 66 gefährdet Leben und Gut, wer
einen Exkommunicierten oder einen Friedlosen hat und hält (hæbbe and healde).
Dagegen droht Aethelred VIII 42 jene Strafe hinsichtlich des Exkommunicierten
(Godes útlah) nur an, wenn man ihn über die vom König gesetzte Frist hinaus be-
schützt. Vgl. Aethelstan V 4, § 3.
15 Nach Cap. de partibus Saxoniae c. 24, I 70 verwirkt man den Königsbann
wegen Aufnahme von latrones et malefactores, qui de uno comitatu ad alium con-
fugium fecerint, nur wenn man sie sieben Nächte beherbergt hat.
Binding, Handbuch II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 37
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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/595>, abgerufen am 22.11.2024.