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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 127. Der Versuch und die Versuchsverbrechen.

Wer einen anderen zu töten versucht, aber ihm nur eine Wunde
beibringt, wird nicht wegen versuchten Todschlags, sondern nur wegen
Verwundung zur entsprechenden Wundbusse verurteilt. Wenn der
Angriff auf die Person nicht zur Vollendung gelangt oder schlechtweg
misslingt, so ist nur in typischen Ausnahmefällen eine Busse verwirkt.
Als Versuchsdelikt minderer Strafbarkeit erscheint in den Volks-
rechten das Messer- und Schwertzücken 11. Mit voller Busse ahndet
das alamannische Volksrecht den Fehlschlag, der dem Reiter zugedacht
war und dessen Ross traf 12. Weiter geht die Lex Salica, nach der
nicht nur der Schuss mit vergiftetem Pfeile, der sein Ziel verfehlt 13,
sondern auch der mit Tötungsabsicht geführte Fehlschlag 14 die Busse
von 621/2 Solidi nach sich zieht, somit unter höherer Strafe steht, als
der Schlag, der eine leichte Wunde schlug. Da die Lex dabei die
Absicht der Tötung ausdrücklich hervorhebt, liegt nicht mehr ein
Versuchsdelikt vor, sondern strafbarer Tötungsversuch, ein auffallend
frühes Beispiel einer verhältnismässig modernen Auffassung, durch die
sich das Strafrecht für einen bestimmten Fall von der vorwiegenden
Berücksichtigung des äusseren Erfolges befreite.

Versuch des Giftmordes stellt sich nach einzelnen Leges unter
Umständen als Delikt des Giftgebens und dieses wieder als eine Unter-
art der Zauberei dar. Die Lex Salica verpönt es mit einer Busse von
621/2 Solidi 15, die Lex Ribuaria mit dem halben Wergelde. Doch
verlangt diese halben Erfolg, darin bestehend, dass das Gift eine nach-
weisbare leibliche Schwächung oder Veränderung bewirkte 16. Das

11 Lex Wisig. VI 4, 6. 7. Lex Burg. 37. Lex Sax. 8. Hlothar u. Eadric
c. 13. Vgl. Wilda, Strafrecht S. 603. 776 und oben S. 47.
12 Lex Alam. 64. Dass die Alamannen eine allgemeine Theorie des straf-
baren Versuches gekannt haben, darf aus dieser Stelle nicht gefolgert werden. War
der Fehlschlag ein solcher, dass er weder den Reiter noch das Ross traf, so war
keine Busse verwirkt.
13 Lex Sal. 17, 2: si quis alterum de sagitta toxigata percutere voluerit et
praetersculpaverit et ei fuerit adprobatum ...
14 Lex Sal. 17, 1: si quis alterum voluerit occidere et colpus falierit, cui
fuerit adprobatum ... Das adprobatum fuerit scheint in beiden Fällen voraus-
zusetzen, dass die That geleugnet und der Thäter überführt wurde. Aus dem
Leugnen wird auf die Tötungsabsicht geschlossen. Vgl. oben S. 372.
15 Lex Sal. 19, 2. Vgl. unten § 136.
16 Lex Rib. 83, 2: si autem mortuus non fuerit et varietatem seu debilitatem
probabile ex hoc in corpus habuerit, centum solidos culpabilis iudicetur. Auf diese
Stelle gehen Leges Henrici primi 71, § 2 zurück. Vgl. Shakespeare, Richard III.
3, 4, 69 ff. der Cambridge Edition: See how I am hewitch'd; behold, mine arm Is
like a blasted sapling, withered up: And this is Edward's wife, that monstrous
witch, Consorted with that harlot strumped Shore, That by their witchcraft thus
have marked me.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 36
§ 127. Der Versuch und die Versuchsverbrechen.

Wer einen anderen zu töten versucht, aber ihm nur eine Wunde
beibringt, wird nicht wegen versuchten Todschlags, sondern nur wegen
Verwundung zur entsprechenden Wundbuſse verurteilt. Wenn der
Angriff auf die Person nicht zur Vollendung gelangt oder schlechtweg
miſslingt, so ist nur in typischen Ausnahmefällen eine Buſse verwirkt.
Als Versuchsdelikt minderer Strafbarkeit erscheint in den Volks-
rechten das Messer- und Schwertzücken 11. Mit voller Buſse ahndet
das alamannische Volksrecht den Fehlschlag, der dem Reiter zugedacht
war und dessen Roſs traf 12. Weiter geht die Lex Salica, nach der
nicht nur der Schuſs mit vergiftetem Pfeile, der sein Ziel verfehlt 13,
sondern auch der mit Tötungsabsicht geführte Fehlschlag 14 die Buſse
von 62½ Solidi nach sich zieht, somit unter höherer Strafe steht, als
der Schlag, der eine leichte Wunde schlug. Da die Lex dabei die
Absicht der Tötung ausdrücklich hervorhebt, liegt nicht mehr ein
Versuchsdelikt vor, sondern strafbarer Tötungsversuch, ein auffallend
frühes Beispiel einer verhältnismäſsig modernen Auffassung, durch die
sich das Strafrecht für einen bestimmten Fall von der vorwiegenden
Berücksichtigung des äuſseren Erfolges befreite.

Versuch des Giftmordes stellt sich nach einzelnen Leges unter
Umständen als Delikt des Giftgebens und dieses wieder als eine Unter-
art der Zauberei dar. Die Lex Salica verpönt es mit einer Buſse von
62½ Solidi 15, die Lex Ribuaria mit dem halben Wergelde. Doch
verlangt diese halben Erfolg, darin bestehend, daſs das Gift eine nach-
weisbare leibliche Schwächung oder Veränderung bewirkte 16. Das

11 Lex Wisig. VI 4, 6. 7. Lex Burg. 37. Lex Sax. 8. Hlothar u. Eadric
c. 13. Vgl. Wilda, Strafrecht S. 603. 776 und oben S. 47.
12 Lex Alam. 64. Daſs die Alamannen eine allgemeine Theorie des straf-
baren Versuches gekannt haben, darf aus dieser Stelle nicht gefolgert werden. War
der Fehlschlag ein solcher, daſs er weder den Reiter noch das Roſs traf, so war
keine Buſse verwirkt.
13 Lex Sal. 17, 2: si quis alterum de sagitta toxigata percutere voluerit et
praetersculpaverit et ei fuerit adprobatum …
14 Lex Sal. 17, 1: si quis alterum voluerit occidere et colpus falierit, cui
fuerit adprobatum … Das adprobatum fuerit scheint in beiden Fällen voraus-
zusetzen, daſs die That geleugnet und der Thäter überführt wurde. Aus dem
Leugnen wird auf die Tötungsabsicht geschlossen. Vgl. oben S. 372.
15 Lex Sal. 19, 2. Vgl. unten § 136.
16 Lex Rib. 83, 2: si autem mortuus non fuerit et varietatem seu debilitatem
probabile ex hoc in corpus habuerit, centum solidos culpabilis iudicetur. Auf diese
Stelle gehen Leges Henrici primi 71, § 2 zurück. Vgl. Shakespeare, Richard III.
3, 4, 69 ff. der Cambridge Edition: See how I am hewitch’d; behold, mine arm Is
like a blasted sapling, withered up: And this is Edward’s wife, that monstrous
witch, Consorted with that harlot strumped Shore, That by their witchcraft thus
have marked me.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 36
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[561/0579] § 127. Der Versuch und die Versuchsverbrechen. Wer einen anderen zu töten versucht, aber ihm nur eine Wunde beibringt, wird nicht wegen versuchten Todschlags, sondern nur wegen Verwundung zur entsprechenden Wundbuſse verurteilt. Wenn der Angriff auf die Person nicht zur Vollendung gelangt oder schlechtweg miſslingt, so ist nur in typischen Ausnahmefällen eine Buſse verwirkt. Als Versuchsdelikt minderer Strafbarkeit erscheint in den Volks- rechten das Messer- und Schwertzücken 11. Mit voller Buſse ahndet das alamannische Volksrecht den Fehlschlag, der dem Reiter zugedacht war und dessen Roſs traf 12. Weiter geht die Lex Salica, nach der nicht nur der Schuſs mit vergiftetem Pfeile, der sein Ziel verfehlt 13, sondern auch der mit Tötungsabsicht geführte Fehlschlag 14 die Buſse von 62½ Solidi nach sich zieht, somit unter höherer Strafe steht, als der Schlag, der eine leichte Wunde schlug. Da die Lex dabei die Absicht der Tötung ausdrücklich hervorhebt, liegt nicht mehr ein Versuchsdelikt vor, sondern strafbarer Tötungsversuch, ein auffallend frühes Beispiel einer verhältnismäſsig modernen Auffassung, durch die sich das Strafrecht für einen bestimmten Fall von der vorwiegenden Berücksichtigung des äuſseren Erfolges befreite. Versuch des Giftmordes stellt sich nach einzelnen Leges unter Umständen als Delikt des Giftgebens und dieses wieder als eine Unter- art der Zauberei dar. Die Lex Salica verpönt es mit einer Buſse von 62½ Solidi 15, die Lex Ribuaria mit dem halben Wergelde. Doch verlangt diese halben Erfolg, darin bestehend, daſs das Gift eine nach- weisbare leibliche Schwächung oder Veränderung bewirkte 16. Das 11 Lex Wisig. VI 4, 6. 7. Lex Burg. 37. Lex Sax. 8. Hlothar u. Eadric c. 13. Vgl. Wilda, Strafrecht S. 603. 776 und oben S. 47. 12 Lex Alam. 64. Daſs die Alamannen eine allgemeine Theorie des straf- baren Versuches gekannt haben, darf aus dieser Stelle nicht gefolgert werden. War der Fehlschlag ein solcher, daſs er weder den Reiter noch das Roſs traf, so war keine Buſse verwirkt. 13 Lex Sal. 17, 2: si quis alterum de sagitta toxigata percutere voluerit et praetersculpaverit et ei fuerit adprobatum … 14 Lex Sal. 17, 1: si quis alterum voluerit occidere et colpus falierit, cui fuerit adprobatum … Das adprobatum fuerit scheint in beiden Fällen voraus- zusetzen, daſs die That geleugnet und der Thäter überführt wurde. Aus dem Leugnen wird auf die Tötungsabsicht geschlossen. Vgl. oben S. 372. 15 Lex Sal. 19, 2. Vgl. unten § 136. 16 Lex Rib. 83, 2: si autem mortuus non fuerit et varietatem seu debilitatem probabile ex hoc in corpus habuerit, centum solidos culpabilis iudicetur. Auf diese Stelle gehen Leges Henrici primi 71, § 2 zurück. Vgl. Shakespeare, Richard III. 3, 4, 69 ff. der Cambridge Edition: See how I am hewitch’d; behold, mine arm Is like a blasted sapling, withered up: And this is Edward’s wife, that monstrous witch, Consorted with that harlot strumped Shore, That by their witchcraft thus have marked me. Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 36

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/579>, abgerufen am 22.11.2024.