Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 118. Spurfolge und Anefang.
seits hat der Anefangskläger, wenn er sachfällig wird, eine Busse wegen
unrechten Anefangs verwirkt, die bei den Franken fünfzehn Schillinge 87,
bei den Burgundern den zweifachen Wert der angeschlagenen Sache
betrug 88. Ist es zum persönlichen Vorwurf des Diebstahls gekommen,
so treffen den sachfälligen Kläger die Rechtsfolgen der falschen An-
klage.

Die Anefangsklage war nicht sowohl eine Klage des Eigentümers
als vielmehr desjenigen, der die Sache in Gewahrsam hatte, ehe sie ihm
durch Raub oder Diebstahl abhanden kam. Wurde die Sache nicht
dem Eigentümer, sondern einer treuen Hand gestohlen, in die er sie
gelegt hatte, so war nur diese in der Lage, den Anefang durchzuführen
und die Diebstahlsbusse in Anspruch zu nehmen. Ausdrücklich ist
dies im langobardischen Edikte bestimmt worden zu einer Zeit, als
die Anefangsklage vermutlich unter dem Einfluss römischer Rechts-
anschauungen die Tendenz zeigen mochte, sich zu einer Klage des
Eigentümers als solchen auszugestalten 89. Für das ribuarische Volks-
recht ergiebt sich jener Rechtssatz, dessen Geltung auch bei den West-
goten bezeugt ist, aus der Vorschrift, dass der Besitzer der ange-
schlagenen Sache, wenn sie ihm nach dem Anefang gestohlen wird,
schlechtweg die Diebstahlsbusse zu zahlen hat 90, augenscheinlich des-
halb, weil einerseits der Gewährszug unmöglich geworden ist, anderer-
seits der Beklagte, dem ein Dritter die Sache nach dem Anefang ge-
stohlen hatte, sich an diesem erholen und an der Sache, wenn er sie
fand, den Anefang vornehmen konnte 91.


norum begegnet für die Diebstahlsbusse der Ausdruck taxaca, taxaga, texecha,
texaga. Er gehört zu tascon, ahd. zaskon, raffen, rapere und bedeutet ursprüng-
lich den Diebstahl selbst. In der Formel Carta Senon. App. Nr. 6, Zeumer S. 211,
begegnet die jener Ableitung entsprechende Form tascega, in Kapitularien Karls
des Kahlen die Form tesceia. Grimm bei Merkel p. VIII. Diez, WB I s. v.
tasca. Zur taxaca tritt nach fränkischen Rechten die dilatura oder wirdira, eine
eigenartige Busse hinzu, von der noch unten in § 137 gehandelt werden wird.
87 Lex Sal. 90 (Hessels): si quis res alienas furtivaverit et suas fuisset non
potuerit adprobare, cui furtivaverit, sol. XV culp. iudicetur. Das furtivare schliesst
unrechten Anefang jedenfalls in sich. Vgl. Boretius in Behrends Lex Sal. S. 112,
Anm. 23. Childeb. II decretio c. 3, Cap. I 15: quod si quis praesumpserit inter-
ciare, solidos XV componat et res, quae male interciavit, amittat.
88 Lex Burg. 19, 2; 83, 2.
89 Liu. 131. Vgl. Lex Baiuw. XV 4: conpositio vero furti ad eum, qui habuit
commendata, pertineat (aus Leges Eurici fr. 280, wie sich aus Lex Wisigoth. V 5, 3
ergiebt).
90 Lex Rib. 72, 8.
91 Das Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 12 gestattet ihm, sich durch Eid zu
reinigen und nur den Wert der Sache zu ersetzen.

§ 118. Spurfolge und Anefang.
seits hat der Anefangskläger, wenn er sachfällig wird, eine Buſse wegen
unrechten Anefangs verwirkt, die bei den Franken fünfzehn Schillinge 87,
bei den Burgundern den zweifachen Wert der angeschlagenen Sache
betrug 88. Ist es zum persönlichen Vorwurf des Diebstahls gekommen,
so treffen den sachfälligen Kläger die Rechtsfolgen der falschen An-
klage.

Die Anefangsklage war nicht sowohl eine Klage des Eigentümers
als vielmehr desjenigen, der die Sache in Gewahrsam hatte, ehe sie ihm
durch Raub oder Diebstahl abhanden kam. Wurde die Sache nicht
dem Eigentümer, sondern einer treuen Hand gestohlen, in die er sie
gelegt hatte, so war nur diese in der Lage, den Anefang durchzuführen
und die Diebstahlsbuſse in Anspruch zu nehmen. Ausdrücklich ist
dies im langobardischen Edikte bestimmt worden zu einer Zeit, als
die Anefangsklage vermutlich unter dem Einfluſs römischer Rechts-
anschauungen die Tendenz zeigen mochte, sich zu einer Klage des
Eigentümers als solchen auszugestalten 89. Für das ribuarische Volks-
recht ergiebt sich jener Rechtssatz, dessen Geltung auch bei den West-
goten bezeugt ist, aus der Vorschrift, daſs der Besitzer der ange-
schlagenen Sache, wenn sie ihm nach dem Anefang gestohlen wird,
schlechtweg die Diebstahlsbuſse zu zahlen hat 90, augenscheinlich des-
halb, weil einerseits der Gewährszug unmöglich geworden ist, anderer-
seits der Beklagte, dem ein Dritter die Sache nach dem Anefang ge-
stohlen hatte, sich an diesem erholen und an der Sache, wenn er sie
fand, den Anefang vornehmen konnte 91.


norum begegnet für die Diebstahlsbuſse der Ausdruck taxaca, taxaga, texecha,
texaga. Er gehört zu tascôn, ahd. zaskôn, raffen, rapere und bedeutet ursprüng-
lich den Diebstahl selbst. In der Formel Carta Senon. App. Nr. 6, Zeumer S. 211,
begegnet die jener Ableitung entsprechende Form tascega, in Kapitularien Karls
des Kahlen die Form tesceia. Grimm bei Merkel p. VIII. Diez, WB I s. v.
tasca. Zur taxaca tritt nach fränkischen Rechten die dilatura oder wirdira, eine
eigenartige Buſse hinzu, von der noch unten in § 137 gehandelt werden wird.
87 Lex Sal. 90 (Hessels): si quis res alienas furtivaverit et suas fuisset non
potuerit adprobare, cui furtivaverit, sol. XV culp. iudicetur. Das furtivare schlieſst
unrechten Anefang jedenfalls in sich. Vgl. Boretius in Behrends Lex Sal. S. 112,
Anm. 23. Childeb. II decretio c. 3, Cap. I 15: quod si quis praesumpserit inter-
ciare, solidos XV componat et res, quae male interciavit, amittat.
88 Lex Burg. 19, 2; 83, 2.
89 Liu. 131. Vgl. Lex Baiuw. XV 4: conpositio vero furti ad eum, qui habuit
commendata, pertineat (aus Leges Eurici fr. 280, wie sich aus Lex Wisigoth. V 5, 3
ergiebt).
90 Lex Rib. 72, 8.
91 Das Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 12 gestattet ihm, sich durch Eid zu
reinigen und nur den Wert der Sache zu ersetzen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0527" n="509"/><fw place="top" type="header">§ 118. Spurfolge und Anefang.</fw><lb/>
seits hat der Anefangskläger, wenn er sachfällig wird, eine Bu&#x017F;se wegen<lb/>
unrechten Anefangs verwirkt, die bei den Franken fünfzehn Schillinge <note place="foot" n="87">Lex Sal. 90 (Hessels): si quis res alienas furtivaverit et suas fuisset non<lb/>
potuerit adprobare, cui furtivaverit, sol. XV culp. iudicetur. Das furtivare schlie&#x017F;st<lb/>
unrechten Anefang jedenfalls in sich. Vgl. Boretius in Behrends Lex Sal. S. 112,<lb/>
Anm. 23. Childeb. II decretio c. 3, Cap. I 15: quod si quis praesumpserit inter-<lb/>
ciare, solidos XV componat et res, quae male interciavit, amittat.</note>,<lb/>
bei den Burgundern den zweifachen Wert der angeschlagenen Sache<lb/>
betrug <note place="foot" n="88">Lex Burg. 19, 2; 83, 2.</note>. Ist es zum persönlichen Vorwurf des Diebstahls gekommen,<lb/>
so treffen den sachfälligen Kläger die Rechtsfolgen der falschen An-<lb/>
klage.</p><lb/>
              <p>Die Anefangsklage war nicht sowohl eine Klage des Eigentümers<lb/>
als vielmehr desjenigen, der die Sache in Gewahrsam hatte, ehe sie ihm<lb/>
durch Raub oder Diebstahl abhanden kam. Wurde die Sache nicht<lb/>
dem Eigentümer, sondern einer treuen Hand gestohlen, in die er sie<lb/>
gelegt hatte, so war nur diese in der Lage, den Anefang durchzuführen<lb/>
und die Diebstahlsbu&#x017F;se in Anspruch zu nehmen. Ausdrücklich ist<lb/>
dies im langobardischen Edikte bestimmt worden zu einer Zeit, als<lb/>
die Anefangsklage vermutlich unter dem Einflu&#x017F;s römischer Rechts-<lb/>
anschauungen die Tendenz zeigen mochte, sich zu einer Klage des<lb/>
Eigentümers als solchen auszugestalten <note place="foot" n="89">Liu. 131. Vgl. Lex Baiuw. XV 4: conpositio vero furti ad eum, qui habuit<lb/>
commendata, pertineat (aus Leges Eurici fr. 280, wie sich aus Lex Wisigoth. V 5, 3<lb/>
ergiebt).</note>. Für das ribuarische Volks-<lb/>
recht ergiebt sich jener Rechtssatz, dessen Geltung auch bei den West-<lb/>
goten bezeugt ist, aus der Vorschrift, da&#x017F;s der Besitzer der ange-<lb/>
schlagenen Sache, wenn sie ihm nach dem Anefang gestohlen wird,<lb/>
schlechtweg die Diebstahlsbu&#x017F;se zu zahlen hat <note place="foot" n="90">Lex Rib. 72, 8.</note>, augenscheinlich des-<lb/>
halb, weil einerseits der Gewährszug unmöglich geworden ist, anderer-<lb/>
seits der Beklagte, dem ein Dritter die Sache nach dem Anefang ge-<lb/>
stohlen hatte, sich an diesem erholen und an der Sache, wenn er sie<lb/>
fand, den Anefang vornehmen konnte <note place="foot" n="91">Das Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 12 gestattet ihm, sich durch Eid zu<lb/>
reinigen und nur den Wert der Sache zu ersetzen.</note>.</p><lb/>
              <p>
                <note xml:id="seg2pn_131_2" prev="#seg2pn_131_1" place="foot" n="86">norum begegnet für die Diebstahlsbu&#x017F;se der Ausdruck taxaca, taxaga, texecha,<lb/>
texaga. Er gehört zu tascôn, ahd. zaskôn, raffen, rapere und bedeutet ursprüng-<lb/>
lich den Diebstahl selbst. In der Formel Carta Senon. App. Nr. 6, Zeumer S. 211,<lb/>
begegnet die jener Ableitung entsprechende Form tascega, in Kapitularien Karls<lb/>
des Kahlen die Form tesceia. <hi rendition="#g">Grimm</hi> bei Merkel p. VIII. <hi rendition="#g">Diez</hi>, WB I s. v.<lb/>
tasca. Zur taxaca tritt nach fränkischen Rechten die dilatura oder wirdira, eine<lb/>
eigenartige Bu&#x017F;se hinzu, von der noch unten in § 137 gehandelt werden wird.</note>
              </p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[509/0527] § 118. Spurfolge und Anefang. seits hat der Anefangskläger, wenn er sachfällig wird, eine Buſse wegen unrechten Anefangs verwirkt, die bei den Franken fünfzehn Schillinge 87, bei den Burgundern den zweifachen Wert der angeschlagenen Sache betrug 88. Ist es zum persönlichen Vorwurf des Diebstahls gekommen, so treffen den sachfälligen Kläger die Rechtsfolgen der falschen An- klage. Die Anefangsklage war nicht sowohl eine Klage des Eigentümers als vielmehr desjenigen, der die Sache in Gewahrsam hatte, ehe sie ihm durch Raub oder Diebstahl abhanden kam. Wurde die Sache nicht dem Eigentümer, sondern einer treuen Hand gestohlen, in die er sie gelegt hatte, so war nur diese in der Lage, den Anefang durchzuführen und die Diebstahlsbuſse in Anspruch zu nehmen. Ausdrücklich ist dies im langobardischen Edikte bestimmt worden zu einer Zeit, als die Anefangsklage vermutlich unter dem Einfluſs römischer Rechts- anschauungen die Tendenz zeigen mochte, sich zu einer Klage des Eigentümers als solchen auszugestalten 89. Für das ribuarische Volks- recht ergiebt sich jener Rechtssatz, dessen Geltung auch bei den West- goten bezeugt ist, aus der Vorschrift, daſs der Besitzer der ange- schlagenen Sache, wenn sie ihm nach dem Anefang gestohlen wird, schlechtweg die Diebstahlsbuſse zu zahlen hat 90, augenscheinlich des- halb, weil einerseits der Gewährszug unmöglich geworden ist, anderer- seits der Beklagte, dem ein Dritter die Sache nach dem Anefang ge- stohlen hatte, sich an diesem erholen und an der Sache, wenn er sie fand, den Anefang vornehmen konnte 91. 86 87 Lex Sal. 90 (Hessels): si quis res alienas furtivaverit et suas fuisset non potuerit adprobare, cui furtivaverit, sol. XV culp. iudicetur. Das furtivare schlieſst unrechten Anefang jedenfalls in sich. Vgl. Boretius in Behrends Lex Sal. S. 112, Anm. 23. Childeb. II decretio c. 3, Cap. I 15: quod si quis praesumpserit inter- ciare, solidos XV componat et res, quae male interciavit, amittat. 88 Lex Burg. 19, 2; 83, 2. 89 Liu. 131. Vgl. Lex Baiuw. XV 4: conpositio vero furti ad eum, qui habuit commendata, pertineat (aus Leges Eurici fr. 280, wie sich aus Lex Wisigoth. V 5, 3 ergiebt). 90 Lex Rib. 72, 8. 91 Das Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 12 gestattet ihm, sich durch Eid zu reinigen und nur den Wert der Sache zu ersetzen. 86 norum begegnet für die Diebstahlsbuſse der Ausdruck taxaca, taxaga, texecha, texaga. Er gehört zu tascôn, ahd. zaskôn, raffen, rapere und bedeutet ursprüng- lich den Diebstahl selbst. In der Formel Carta Senon. App. Nr. 6, Zeumer S. 211, begegnet die jener Ableitung entsprechende Form tascega, in Kapitularien Karls des Kahlen die Form tesceia. Grimm bei Merkel p. VIII. Diez, WB I s. v. tasca. Zur taxaca tritt nach fränkischen Rechten die dilatura oder wirdira, eine eigenartige Buſse hinzu, von der noch unten in § 137 gehandelt werden wird.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/527
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/527>, abgerufen am 14.08.2024.