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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 115. Preisgabe und Verknechtung.
knechtung aufgefasst, sondern als härtere Massregel davon unter-
schieden.

Die übrigen ausserfränkischen Rechte sonderten von vornherein
die unbedingte Preisgabe und die Verknechtung, indem sie dem Be-
griff der Verknechtung die normale Behandlung der Knechte zu Grunde
legten, die nach der guten Sitte Handlungen ausschloss, wie sie sich
der Rächer an dem ausgelieferten Missethäter erlauben durfte. Die
Verknechtung war entweder durch Rechtssatz als Strafe gewisser Un-
thaten ausgesprochen (Strafknechtschaft), oder sie trat als Folge der
Exekution bei erwiesener Insolvenz des Schuldners ein (exekutive Ver-
knechtung). In beiden Fällen erscheint die Verknechtung als eine
Abschwächung der Friedlosigkeit, die den drohenden Verlust des Le-
bens durch den Verlust der Freiheit ersetzt. Die Strafknechtschaft
ist in gewissen Fällen den Burgundern, Langobarden, Angelsachsen,
den Alamannen und Baiern, dem westgotischen Rechte und nordischen
Rechten bekannt 12. Exekutive Verknechtung tritt uns in deutlicher
Entwickelung bei den Langobarden entgegen. Den Ausgangspunkt
bildet hier der Rechtszustand, in welchem der Missethäter mit seinem
Leben dem Verletzten verfallen, ihm als fegangi 13, als Feind preis-
gegeben ist. Die Gesetzgebung gestattete in solchen Fällen dem Ver-
brecher, sich durch Zahlung einer bestimmten Summe freizukaufen.
Unterblieb die Lösung, so mochte der Verletzte ihn töten. Nach einer
Satzung Liutprands soll der Dieb, der dem Bestohlenen verfiel, diesem
übergeben werden et ipse de eo faciat quod voluerit. Solche Hingabe
trat auch ein, wenn der Schuldige die eigentliche Diebstahlsbusse nicht
zu zahlen vermochte. Ein jüngeres Gesetz Liutprands verfügt schlecht-
weg, dass der Missethäter, der sich nicht auslösen oder die verwirkte
Busse nicht zahlen kann, dem Verletzten als Knecht übergeben werde.
Die Verknechtung soll eine dauernde sein, wenn die compositio mehr
als 20 Solidi beträgt, eine zeitlich beschränkte, wenn sie geringer ist;
denn dann wird der Schuldner dem Gläubiger nur übergeben, um
ihm so lange zu dienen, bis er sich um den Bussbetrag auslösen kann.
So hat sich bei den Langobarden die ursprünglich als prinzipale oder
subsidiäre Strafe eintretende Verknechtung in exekutive Schuldknecht-
schaft verwandelt 14.


12 Sie soll noch unten in § 132 behandelt werden.
13 Siehe oben I 172, Anm. 27.
14 Roth. 253. 254. Lin. 80. 187. 152.

§ 115. Preisgabe und Verknechtung.
knechtung aufgefaſst, sondern als härtere Maſsregel davon unter-
schieden.

Die übrigen auſserfränkischen Rechte sonderten von vornherein
die unbedingte Preisgabe und die Verknechtung, indem sie dem Be-
griff der Verknechtung die normale Behandlung der Knechte zu Grunde
legten, die nach der guten Sitte Handlungen ausschloſs, wie sie sich
der Rächer an dem ausgelieferten Missethäter erlauben durfte. Die
Verknechtung war entweder durch Rechtssatz als Strafe gewisser Un-
thaten ausgesprochen (Strafknechtschaft), oder sie trat als Folge der
Exekution bei erwiesener Insolvenz des Schuldners ein (exekutive Ver-
knechtung). In beiden Fällen erscheint die Verknechtung als eine
Abschwächung der Friedlosigkeit, die den drohenden Verlust des Le-
bens durch den Verlust der Freiheit ersetzt. Die Strafknechtschaft
ist in gewissen Fällen den Burgundern, Langobarden, Angelsachsen,
den Alamannen und Baiern, dem westgotischen Rechte und nordischen
Rechten bekannt 12. Exekutive Verknechtung tritt uns in deutlicher
Entwickelung bei den Langobarden entgegen. Den Ausgangspunkt
bildet hier der Rechtszustand, in welchem der Missethäter mit seinem
Leben dem Verletzten verfallen, ihm als fegangi 13, als Feind preis-
gegeben ist. Die Gesetzgebung gestattete in solchen Fällen dem Ver-
brecher, sich durch Zahlung einer bestimmten Summe freizukaufen.
Unterblieb die Lösung, so mochte der Verletzte ihn töten. Nach einer
Satzung Liutprands soll der Dieb, der dem Bestohlenen verfiel, diesem
übergeben werden et ipse de eo faciat quod voluerit. Solche Hingabe
trat auch ein, wenn der Schuldige die eigentliche Diebstahlsbuſse nicht
zu zahlen vermochte. Ein jüngeres Gesetz Liutprands verfügt schlecht-
weg, daſs der Missethäter, der sich nicht auslösen oder die verwirkte
Buſse nicht zahlen kann, dem Verletzten als Knecht übergeben werde.
Die Verknechtung soll eine dauernde sein, wenn die compositio mehr
als 20 Solidi beträgt, eine zeitlich beschränkte, wenn sie geringer ist;
denn dann wird der Schuldner dem Gläubiger nur übergeben, um
ihm so lange zu dienen, bis er sich um den Buſsbetrag auslösen kann.
So hat sich bei den Langobarden die ursprünglich als prinzipale oder
subsidiäre Strafe eintretende Verknechtung in exekutive Schuldknecht-
schaft verwandelt 14.


12 Sie soll noch unten in § 132 behandelt werden.
13 Siehe oben I 172, Anm. 27.
14 Roth. 253. 254. Lin. 80. 187. 152.
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[480/0498] § 115. Preisgabe und Verknechtung. knechtung aufgefaſst, sondern als härtere Maſsregel davon unter- schieden. Die übrigen auſserfränkischen Rechte sonderten von vornherein die unbedingte Preisgabe und die Verknechtung, indem sie dem Be- griff der Verknechtung die normale Behandlung der Knechte zu Grunde legten, die nach der guten Sitte Handlungen ausschloſs, wie sie sich der Rächer an dem ausgelieferten Missethäter erlauben durfte. Die Verknechtung war entweder durch Rechtssatz als Strafe gewisser Un- thaten ausgesprochen (Strafknechtschaft), oder sie trat als Folge der Exekution bei erwiesener Insolvenz des Schuldners ein (exekutive Ver- knechtung). In beiden Fällen erscheint die Verknechtung als eine Abschwächung der Friedlosigkeit, die den drohenden Verlust des Le- bens durch den Verlust der Freiheit ersetzt. Die Strafknechtschaft ist in gewissen Fällen den Burgundern, Langobarden, Angelsachsen, den Alamannen und Baiern, dem westgotischen Rechte und nordischen Rechten bekannt 12. Exekutive Verknechtung tritt uns in deutlicher Entwickelung bei den Langobarden entgegen. Den Ausgangspunkt bildet hier der Rechtszustand, in welchem der Missethäter mit seinem Leben dem Verletzten verfallen, ihm als fegangi 13, als Feind preis- gegeben ist. Die Gesetzgebung gestattete in solchen Fällen dem Ver- brecher, sich durch Zahlung einer bestimmten Summe freizukaufen. Unterblieb die Lösung, so mochte der Verletzte ihn töten. Nach einer Satzung Liutprands soll der Dieb, der dem Bestohlenen verfiel, diesem übergeben werden et ipse de eo faciat quod voluerit. Solche Hingabe trat auch ein, wenn der Schuldige die eigentliche Diebstahlsbuſse nicht zu zahlen vermochte. Ein jüngeres Gesetz Liutprands verfügt schlecht- weg, daſs der Missethäter, der sich nicht auslösen oder die verwirkte Buſse nicht zahlen kann, dem Verletzten als Knecht übergeben werde. Die Verknechtung soll eine dauernde sein, wenn die compositio mehr als 20 Solidi beträgt, eine zeitlich beschränkte, wenn sie geringer ist; denn dann wird der Schuldner dem Gläubiger nur übergeben, um ihm so lange zu dienen, bis er sich um den Buſsbetrag auslösen kann. So hat sich bei den Langobarden die ursprünglich als prinzipale oder subsidiäre Strafe eintretende Verknechtung in exekutive Schuldknecht- schaft verwandelt 14. 12 Sie soll noch unten in § 132 behandelt werden. 13 Siehe oben I 172, Anm. 27. 14 Roth. 253. 254. Lin. 80. 187. 152.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/498>, abgerufen am 17.09.2024.