Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 111. Die gerichtliche Auspfändung.
Titel 50 der Lex eingeschoben worden ist, stellt dem Gläubiger unter
gewissen Voraussetzungen die Auspfändung des Schuldners durch den
königlichen Grafen zur Wahl 8. Statt selbst zu pfänden, mag der
Gläubiger den Grafen zur Pfändung auffordern, indem er die Festuca
wirft und erklärt, dass er den Schuldner rechtmässig zu Falle gebracht
und ausgeklagt habe, wie es salisches Recht sei, und indem er seine
Person und sein Vermögen für die Rechtmässigkeit der Pfändung
einsetzt. Der Graf muss sich dann, begleitet von sieben Rachine-
burgen, die eine Gerichtsversammlung darstellen, in die Wohnung
des Schuldners begeben. Wenn der Schuldner auf das Verlangen
des Grafen hin nicht freiwillig zahlt oder abwesend ist, wird zur Aus-
pfändung geschritten. Der Graf nimmt sie vor, indem er die zu
pfändenden Gegenstände anweist und von den Rachineburgen ab-
schätzen lässt. Seine Thätigkeit wird in Texten der Lex Salica tol-
lere, infiscare, confiscare 9 genannt. Die genommenen Gegenstände
erhält bis zu zwei Dritteln ihres Wertes der Gläubiger, ein Drittel
nimmt der Graf als fredus.

Der Gläubiger, der den Grafen zur Auspfändung veranlasst, ehe
die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, verwirkt nach der Lex
Salica sein Wergeld 10. Der Graf aber, der, ohne einen rechtmässigen

8 So dürfte die vielbesprochene Streitfrage über das Verhältnis von Lex Sal.
50, 3 zu Lex Sal. 50, 1. 2 (Hessels) sich lösen lassen. Von Meibom, Behrend
und andere betrachten 50, 3 als Fortsetzung von 50, 2 und bestreiten daher die
Zulässigkeit einer aussergerichtlichen Pfändung. Siegel, Sohm, Bethmann-
Hollweg, R. Loening, Cohn
beziehen 50, 1. 2 auf das aussergerichtliche, 50, 3
auf das gerichtliche Schuldversprechen. Allein Behrend hat sicherlich darin
Recht, dass placitum im Sprachgebrauch der Lex Sal. den Termin, auch den Ge-
richtstermin, nicht das Gericht bedeutet. Titel 50, 3 fügt sich aber nicht etwa
stilistisch an den Schluss von 50, 2 an, sondern geht auf den in 50, 1 besproche-
nen Thatbestand zurück. Si quis ad placitum legitime fidem factam noluerit sol-
vere in 50, 3 sagt dasselbe wie: si .. in 40 noctes aut quomodo placitum fecerit,
ei noluerit fidem factam solvere in 50, 1. Die Novelle wollte den Fall, auf den
sie sich bezieht, Zahlungsverzug des Schuldners, in den Eingangsworten kurz be-
zeichnen. Erst jüngere Texte suchen durch adhuc, si nec, si vero nec die stilistische
Verbindung mit 50, 2 herzustellen. Die Voraussetzungen der gräflichen Auspfän-
dung sind durch das legitime habeo iactivo aut admallatum gegeben und werden
in der Novelle nicht näher ausgeführt. Mit den jüngeren Texten der Lex Sal. ist
darunter das nexti chantigio und das dreimalige rogare zu verstehen. Titel 50, 1. 2
und 50, 3 betreffen jede gültige fides facta; 50, 3 schaffte die aussergerichtliche
Pfändung nicht ab, sondern gab dem Gläubiger die Wahl zwischen Selbstpfändung
und gräflicher Auspfändung, wie aus Titel 75 (s. o. S. 448, Anm. 20) erhellt.
9 Lex Sal. 51, 1. 2. Infiscare in 51, 1, Cod. 5 u. 6, infiscare, confiscare in
51, 2, Cod. 7--9.
10 Diese hohe Busse, die sich als Lösung verwirkten Lebens darstellt, mag

§ 111. Die gerichtliche Auspfändung.
Titel 50 der Lex eingeschoben worden ist, stellt dem Gläubiger unter
gewissen Voraussetzungen die Auspfändung des Schuldners durch den
königlichen Grafen zur Wahl 8. Statt selbst zu pfänden, mag der
Gläubiger den Grafen zur Pfändung auffordern, indem er die Festuca
wirft und erklärt, daſs er den Schuldner rechtmäſsig zu Falle gebracht
und ausgeklagt habe, wie es salisches Recht sei, und indem er seine
Person und sein Vermögen für die Rechtmäſsigkeit der Pfändung
einsetzt. Der Graf muſs sich dann, begleitet von sieben Rachine-
burgen, die eine Gerichtsversammlung darstellen, in die Wohnung
des Schuldners begeben. Wenn der Schuldner auf das Verlangen
des Grafen hin nicht freiwillig zahlt oder abwesend ist, wird zur Aus-
pfändung geschritten. Der Graf nimmt sie vor, indem er die zu
pfändenden Gegenstände anweist und von den Rachineburgen ab-
schätzen läſst. Seine Thätigkeit wird in Texten der Lex Salica tol-
lere, infiscare, confiscare 9 genannt. Die genommenen Gegenstände
erhält bis zu zwei Dritteln ihres Wertes der Gläubiger, ein Drittel
nimmt der Graf als fredus.

Der Gläubiger, der den Grafen zur Auspfändung veranlaſst, ehe
die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, verwirkt nach der Lex
Salica sein Wergeld 10. Der Graf aber, der, ohne einen rechtmäſsigen

8 So dürfte die vielbesprochene Streitfrage über das Verhältnis von Lex Sal.
50, 3 zu Lex Sal. 50, 1. 2 (Hessels) sich lösen lassen. Von Meibom, Behrend
und andere betrachten 50, 3 als Fortsetzung von 50, 2 und bestreiten daher die
Zulässigkeit einer auſsergerichtlichen Pfändung. Siegel, Sohm, Bethmann-
Hollweg, R. Loening, Cohn
beziehen 50, 1. 2 auf das auſsergerichtliche, 50, 3
auf das gerichtliche Schuldversprechen. Allein Behrend hat sicherlich darin
Recht, daſs placitum im Sprachgebrauch der Lex Sal. den Termin, auch den Ge-
richtstermin, nicht das Gericht bedeutet. Titel 50, 3 fügt sich aber nicht etwa
stilistisch an den Schluſs von 50, 2 an, sondern geht auf den in 50, 1 besproche-
nen Thatbestand zurück. Si quis ad placitum legitime fidem factam noluerit sol-
vere in 50, 3 sagt dasselbe wie: si .. in 40 noctes aut quomodo placitum fecerit,
ei noluerit fidem factam solvere in 50, 1. Die Novelle wollte den Fall, auf den
sie sich bezieht, Zahlungsverzug des Schuldners, in den Eingangsworten kurz be-
zeichnen. Erst jüngere Texte suchen durch adhuc, si nec, si vero nec die stilistische
Verbindung mit 50, 2 herzustellen. Die Voraussetzungen der gräflichen Auspfän-
dung sind durch das legitime habeo iactivo aut admallatum gegeben und werden
in der Novelle nicht näher ausgeführt. Mit den jüngeren Texten der Lex Sal. ist
darunter das nexti chantigio und das dreimalige rogare zu verstehen. Titel 50, 1. 2
und 50, 3 betreffen jede gültige fides facta; 50, 3 schaffte die auſsergerichtliche
Pfändung nicht ab, sondern gab dem Gläubiger die Wahl zwischen Selbstpfändung
und gräflicher Auspfändung, wie aus Titel 75 (s. o. S. 448, Anm. 20) erhellt.
9 Lex Sal. 51, 1. 2. Infiscare in 51, 1, Cod. 5 u. 6, infiscare, confiscare in
51, 2, Cod. 7—9.
10 Diese hohe Buſse, die sich als Lösung verwirkten Lebens darstellt, mag
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0472" n="454"/><fw place="top" type="header">§ 111. Die gerichtliche Auspfändung.</fw><lb/>
Titel 50 der Lex eingeschoben worden ist, stellt dem Gläubiger unter<lb/>
gewissen Voraussetzungen die Auspfändung des Schuldners durch den<lb/>
königlichen Grafen zur Wahl <note place="foot" n="8">So dürfte die vielbesprochene Streitfrage über das Verhältnis von Lex Sal.<lb/>
50, 3 zu Lex Sal. 50, 1. 2 (Hessels) sich lösen lassen. Von <hi rendition="#g">Meibom, Behrend</hi><lb/>
und andere betrachten 50, 3 als Fortsetzung von 50, 2 und bestreiten daher die<lb/>
Zulässigkeit einer au&#x017F;sergerichtlichen Pfändung. <hi rendition="#g">Siegel, Sohm, Bethmann-<lb/>
Hollweg, R. Loening, Cohn</hi> beziehen 50, 1. 2 auf das au&#x017F;sergerichtliche, 50, 3<lb/>
auf das gerichtliche Schuldversprechen. Allein <hi rendition="#g">Behrend</hi> hat sicherlich darin<lb/>
Recht, da&#x017F;s placitum im Sprachgebrauch der Lex Sal. den Termin, auch den Ge-<lb/>
richtstermin, nicht das Gericht bedeutet. Titel 50, 3 fügt sich aber nicht etwa<lb/>
stilistisch an den Schlu&#x017F;s von 50, 2 an, sondern geht auf den in 50, 1 besproche-<lb/>
nen Thatbestand zurück. Si quis ad placitum legitime fidem factam noluerit sol-<lb/>
vere in 50, 3 sagt dasselbe wie: si .. in 40 noctes aut quomodo placitum fecerit,<lb/>
ei noluerit fidem factam solvere in 50, 1. Die Novelle wollte den Fall, auf den<lb/>
sie sich bezieht, Zahlungsverzug des Schuldners, in den Eingangsworten kurz be-<lb/>
zeichnen. Erst jüngere Texte suchen durch adhuc, si nec, si vero nec die stilistische<lb/>
Verbindung mit 50, 2 herzustellen. Die Voraussetzungen der gräflichen Auspfän-<lb/>
dung sind durch das legitime habeo iactivo aut admallatum gegeben und werden<lb/>
in der Novelle nicht näher ausgeführt. Mit den jüngeren Texten der Lex Sal. ist<lb/>
darunter das nexti chantigio und das dreimalige rogare zu verstehen. Titel 50, 1. 2<lb/>
und 50, 3 betreffen jede gültige fides facta; 50, 3 schaffte die au&#x017F;sergerichtliche<lb/>
Pfändung nicht ab, sondern gab dem Gläubiger die Wahl zwischen Selbstpfändung<lb/>
und gräflicher Auspfändung, wie aus Titel 75 (s. o. S. 448, Anm. 20) erhellt.</note>. Statt selbst zu pfänden, mag der<lb/>
Gläubiger den Grafen zur Pfändung auffordern, indem er die Festuca<lb/>
wirft und erklärt, da&#x017F;s er den Schuldner rechtmä&#x017F;sig zu Falle gebracht<lb/>
und ausgeklagt habe, wie es salisches Recht sei, und indem er seine<lb/>
Person und sein Vermögen für die Rechtmä&#x017F;sigkeit der Pfändung<lb/>
einsetzt. Der Graf mu&#x017F;s sich dann, begleitet von sieben Rachine-<lb/>
burgen, die eine Gerichtsversammlung darstellen, in die Wohnung<lb/>
des Schuldners begeben. Wenn der Schuldner auf das Verlangen<lb/>
des Grafen hin nicht freiwillig zahlt oder abwesend ist, wird zur Aus-<lb/>
pfändung geschritten. Der Graf nimmt sie vor, indem er die zu<lb/>
pfändenden Gegenstände anweist und von den Rachineburgen ab-<lb/>
schätzen lä&#x017F;st. Seine Thätigkeit wird in Texten der Lex Salica tol-<lb/>
lere, infiscare, confiscare <note place="foot" n="9">Lex Sal. 51, 1. 2. Infiscare in 51, 1, Cod. 5 u. 6, infiscare, confiscare in<lb/>
51, 2, Cod. 7&#x2014;9.</note> genannt. Die genommenen Gegenstände<lb/>
erhält bis zu zwei Dritteln ihres Wertes der Gläubiger, ein Drittel<lb/>
nimmt der Graf als fredus.</p><lb/>
              <p>Der Gläubiger, der den Grafen zur Auspfändung veranla&#x017F;st, ehe<lb/>
die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, verwirkt nach der Lex<lb/>
Salica sein Wergeld <note xml:id="seg2pn_118_1" next="#seg2pn_118_2" place="foot" n="10">Diese hohe Bu&#x017F;se, die sich als Lösung verwirkten Lebens darstellt, mag</note>. Der Graf aber, der, ohne einen rechtmä&#x017F;sigen<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[454/0472] § 111. Die gerichtliche Auspfändung. Titel 50 der Lex eingeschoben worden ist, stellt dem Gläubiger unter gewissen Voraussetzungen die Auspfändung des Schuldners durch den königlichen Grafen zur Wahl 8. Statt selbst zu pfänden, mag der Gläubiger den Grafen zur Pfändung auffordern, indem er die Festuca wirft und erklärt, daſs er den Schuldner rechtmäſsig zu Falle gebracht und ausgeklagt habe, wie es salisches Recht sei, und indem er seine Person und sein Vermögen für die Rechtmäſsigkeit der Pfändung einsetzt. Der Graf muſs sich dann, begleitet von sieben Rachine- burgen, die eine Gerichtsversammlung darstellen, in die Wohnung des Schuldners begeben. Wenn der Schuldner auf das Verlangen des Grafen hin nicht freiwillig zahlt oder abwesend ist, wird zur Aus- pfändung geschritten. Der Graf nimmt sie vor, indem er die zu pfändenden Gegenstände anweist und von den Rachineburgen ab- schätzen läſst. Seine Thätigkeit wird in Texten der Lex Salica tol- lere, infiscare, confiscare 9 genannt. Die genommenen Gegenstände erhält bis zu zwei Dritteln ihres Wertes der Gläubiger, ein Drittel nimmt der Graf als fredus. Der Gläubiger, der den Grafen zur Auspfändung veranlaſst, ehe die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, verwirkt nach der Lex Salica sein Wergeld 10. Der Graf aber, der, ohne einen rechtmäſsigen 8 So dürfte die vielbesprochene Streitfrage über das Verhältnis von Lex Sal. 50, 3 zu Lex Sal. 50, 1. 2 (Hessels) sich lösen lassen. Von Meibom, Behrend und andere betrachten 50, 3 als Fortsetzung von 50, 2 und bestreiten daher die Zulässigkeit einer auſsergerichtlichen Pfändung. Siegel, Sohm, Bethmann- Hollweg, R. Loening, Cohn beziehen 50, 1. 2 auf das auſsergerichtliche, 50, 3 auf das gerichtliche Schuldversprechen. Allein Behrend hat sicherlich darin Recht, daſs placitum im Sprachgebrauch der Lex Sal. den Termin, auch den Ge- richtstermin, nicht das Gericht bedeutet. Titel 50, 3 fügt sich aber nicht etwa stilistisch an den Schluſs von 50, 2 an, sondern geht auf den in 50, 1 besproche- nen Thatbestand zurück. Si quis ad placitum legitime fidem factam noluerit sol- vere in 50, 3 sagt dasselbe wie: si .. in 40 noctes aut quomodo placitum fecerit, ei noluerit fidem factam solvere in 50, 1. Die Novelle wollte den Fall, auf den sie sich bezieht, Zahlungsverzug des Schuldners, in den Eingangsworten kurz be- zeichnen. Erst jüngere Texte suchen durch adhuc, si nec, si vero nec die stilistische Verbindung mit 50, 2 herzustellen. Die Voraussetzungen der gräflichen Auspfän- dung sind durch das legitime habeo iactivo aut admallatum gegeben und werden in der Novelle nicht näher ausgeführt. Mit den jüngeren Texten der Lex Sal. ist darunter das nexti chantigio und das dreimalige rogare zu verstehen. Titel 50, 1. 2 und 50, 3 betreffen jede gültige fides facta; 50, 3 schaffte die auſsergerichtliche Pfändung nicht ab, sondern gab dem Gläubiger die Wahl zwischen Selbstpfändung und gräflicher Auspfändung, wie aus Titel 75 (s. o. S. 448, Anm. 20) erhellt. 9 Lex Sal. 51, 1. 2. Infiscare in 51, 1, Cod. 5 u. 6, infiscare, confiscare in 51, 2, Cod. 7—9. 10 Diese hohe Buſse, die sich als Lösung verwirkten Lebens darstellt, mag

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/472
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/472>, abgerufen am 26.05.2024.