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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 106. Die Gottesurteile.
das Beweisverfahren gegen Knechte gesetzlich geregelt wurde, war
eine Neuerung gegenüber dem älteren Rechte, nach welchem der
Herr die That des Knechtes zu büssen oder ihn freizuschwören hatte,
während herkömmlich Loosordal oder Geisselung gegen den Knecht
zur privaten ausserprozessualischen Anwendung gelangen mochten.
Dass die Lex Salica, als sie das Beweisverfahren gegen den Knecht ge-
setzlich normierte, das Loosordal nicht übernahm, kann nur auf kirch-
lichem Einfluss beruhen. Denn fränkische Konzilien des sechsten Jahr-
hunderts reprobieren das Loosen als heidnischen Aberglauben 79. Nichts-
destoweniger muss sich das Loosordal neben der Tortur mindestens in
ausserprozessualischem Gebrauche erhalten haben, weil es in den
Novellen zur Lex Salica plötzlich auftaucht. Eine Art des Loosordals
begegnet uns in einer Ordalienformel als examen in mensuris 80. In
Friesland hat die christliche Kirche eine eigenartige Form des Loos-
ordals ausgebildet, die uns in dem für die Mittelfriesen bestimmten
Teile der Lex Frisionum anschaulich beschrieben wird 81. Das bairische
Volksrecht erwähnt das Loos nicht als selbständiges Ordal, sondern nur
bei der Vorbereitung des gerichtlichen Zweikampfs.

7. Das Kampfordal, iudicium pugnae, campus, ahd. camph, andd.
camp, in einer bairischen Satzung auch chamfwich 82, in westfränkischen
Urkunden batalium, batalia 83. Näher bezeichnet heisst der Kampf
entweder Einzelkampf, ahd. einweig, ags. anvig, nord. einwigi 84, singu-

79 Conc. Aurel. v. J. 511, c. 30, LL Concilia S. 9. Conc. Autiss. v. J. 578,
c. 4 oben Anm. 72. Desgleichen fränkische Bussbücher. Paenitentiale Pseudo-
Rom. VI 4, Wasserschleben S. 368: si quis sortes habuerit, quas sanctorum contra
rationem vocant, vel aliquas sortes habuerit vel qualicunque malo ingenio sortitus
fuerit .. Pseudo-Egbert II 19, a. O. S. 335. Über die sortes sanctorum Du Cange
(Henschel) VI 304 f., E. Loening, Kirchenrecht II 464, und die Glosse zu Paenit.
Valicell. I, c. 111, Schmitz S. 327: sortes sanctorum sunt, quas in sinu vel gremio
mittunt pro qualicunque causa sive pro bona sive pro mala, quo eveniunt.
80 Zeumer, Formulae S. 639. Die Formel bezieht sich auf ein Loosordal
im Alten Testament (Jos. 7, 14 ff.). Vgl. Jurispr. fris. tit. 80, de sortilegiis, § 4:
dat ma wel muken (Strohhalme) end breuen (Briefe) lucka moet in weltlichen
Sachen, und § 3: Das geistliche Recht verbietet, Strohhalme oder Briefe zu ziehen
hor da kortera off da langhera.
81 Lex Fris. 14, 1. Einen Fall verwandter Anwendung des Looses auf Feh-
marn berichtet aus einem Gerichtsprotokoll v. J. 1450 Dreyer, Vermischte Abh.
II 875.
82 Decr. Tass. Niuhing. c. 5, LL III 465. Weig, weic, Kampf, Streit.
83 So in den Chartes de Cluny. Vgl. Lex Burg. 92, 2: si ad batalia mulier
foras curte sua exierit ...
84 An diese Bezeichnung scheint die Wendung des langob. Ediktes, Roth.
164--166, anzuklingen: sub uno scuto per pugnam dimitti.

§ 106. Die Gottesurteile.
das Beweisverfahren gegen Knechte gesetzlich geregelt wurde, war
eine Neuerung gegenüber dem älteren Rechte, nach welchem der
Herr die That des Knechtes zu büſsen oder ihn freizuschwören hatte,
während herkömmlich Loosordal oder Geiſselung gegen den Knecht
zur privaten auſserprozessualischen Anwendung gelangen mochten.
Daſs die Lex Salica, als sie das Beweisverfahren gegen den Knecht ge-
setzlich normierte, das Loosordal nicht übernahm, kann nur auf kirch-
lichem Einfluſs beruhen. Denn fränkische Konzilien des sechsten Jahr-
hunderts reprobieren das Loosen als heidnischen Aberglauben 79. Nichts-
destoweniger muſs sich das Loosordal neben der Tortur mindestens in
auſserprozessualischem Gebrauche erhalten haben, weil es in den
Novellen zur Lex Salica plötzlich auftaucht. Eine Art des Loosordals
begegnet uns in einer Ordalienformel als examen in mensuris 80. In
Friesland hat die christliche Kirche eine eigenartige Form des Loos-
ordals ausgebildet, die uns in dem für die Mittelfriesen bestimmten
Teile der Lex Frisionum anschaulich beschrieben wird 81. Das bairische
Volksrecht erwähnt das Loos nicht als selbständiges Ordal, sondern nur
bei der Vorbereitung des gerichtlichen Zweikampfs.

7. Das Kampfordal, iudicium pugnae, campus, ahd. camph, andd.
camp, in einer bairischen Satzung auch chamfwich 82, in westfränkischen
Urkunden batalium, batalia 83. Näher bezeichnet heiſst der Kampf
entweder Einzelkampf, ahd. einwîg, ags. ánvíg, nord. einwígi 84, singu-

79 Conc. Aurel. v. J. 511, c. 30, LL Concilia S. 9. Conc. Autiss. v. J. 578,
c. 4 oben Anm. 72. Desgleichen fränkische Buſsbücher. Paenitentiale Pseudo-
Rom. VI 4, Waſserschleben S. 368: si quis sortes habuerit, quas sanctorum contra
rationem vocant, vel aliquas sortes habuerit vel qualicunque malo ingenio sortitus
fuerit .. Pseudo-Egbert II 19, a. O. S. 335. Über die sortes sanctorum Du Cange
(Henschel) VI 304 f., E. Loening, Kirchenrecht II 464, und die Glosse zu Paenit.
Valicell. I, c. 111, Schmitz S. 327: sortes sanctorum sunt, quas in sinu vel gremio
mittunt pro qualicunque causa sive pro bona sive pro mala, quo eveniunt.
80 Zeumer, Formulae S. 639. Die Formel bezieht sich auf ein Loosordal
im Alten Testament (Jos. 7, 14 ff.). Vgl. Jurispr. fris. tit. 80, de sortilegiis, § 4:
dat ma wel muken (Strohhalme) end breuen (Briefe) lucka moet in weltlichen
Sachen, und § 3: Das geistliche Recht verbietet, Strohhalme oder Briefe zu ziehen
hor da kortera off da langhera.
81 Lex Fris. 14, 1. Einen Fall verwandter Anwendung des Looses auf Feh-
marn berichtet aus einem Gerichtsprotokoll v. J. 1450 Dreyer, Vermischte Abh.
II 875.
82 Decr. Tass. Niuhing. c. 5, LL III 465. Wîg, wîc, Kampf, Streit.
83 So in den Chartes de Cluny. Vgl. Lex Burg. 92, 2: si ad batalia mulier
foras curte sua exierit …
84 An diese Bezeichnung scheint die Wendung des langob. Ediktes, Roth.
164—166, anzuklingen: sub uno scuto per pugnam dimitti.
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[414/0432] § 106. Die Gottesurteile. das Beweisverfahren gegen Knechte gesetzlich geregelt wurde, war eine Neuerung gegenüber dem älteren Rechte, nach welchem der Herr die That des Knechtes zu büſsen oder ihn freizuschwören hatte, während herkömmlich Loosordal oder Geiſselung gegen den Knecht zur privaten auſserprozessualischen Anwendung gelangen mochten. Daſs die Lex Salica, als sie das Beweisverfahren gegen den Knecht ge- setzlich normierte, das Loosordal nicht übernahm, kann nur auf kirch- lichem Einfluſs beruhen. Denn fränkische Konzilien des sechsten Jahr- hunderts reprobieren das Loosen als heidnischen Aberglauben 79. Nichts- destoweniger muſs sich das Loosordal neben der Tortur mindestens in auſserprozessualischem Gebrauche erhalten haben, weil es in den Novellen zur Lex Salica plötzlich auftaucht. Eine Art des Loosordals begegnet uns in einer Ordalienformel als examen in mensuris 80. In Friesland hat die christliche Kirche eine eigenartige Form des Loos- ordals ausgebildet, die uns in dem für die Mittelfriesen bestimmten Teile der Lex Frisionum anschaulich beschrieben wird 81. Das bairische Volksrecht erwähnt das Loos nicht als selbständiges Ordal, sondern nur bei der Vorbereitung des gerichtlichen Zweikampfs. 7. Das Kampfordal, iudicium pugnae, campus, ahd. camph, andd. camp, in einer bairischen Satzung auch chamfwich 82, in westfränkischen Urkunden batalium, batalia 83. Näher bezeichnet heiſst der Kampf entweder Einzelkampf, ahd. einwîg, ags. ánvíg, nord. einwígi 84, singu- 79 Conc. Aurel. v. J. 511, c. 30, LL Concilia S. 9. Conc. Autiss. v. J. 578, c. 4 oben Anm. 72. Desgleichen fränkische Buſsbücher. Paenitentiale Pseudo- Rom. VI 4, Waſserschleben S. 368: si quis sortes habuerit, quas sanctorum contra rationem vocant, vel aliquas sortes habuerit vel qualicunque malo ingenio sortitus fuerit .. Pseudo-Egbert II 19, a. O. S. 335. Über die sortes sanctorum Du Cange (Henschel) VI 304 f., E. Loening, Kirchenrecht II 464, und die Glosse zu Paenit. Valicell. I, c. 111, Schmitz S. 327: sortes sanctorum sunt, quas in sinu vel gremio mittunt pro qualicunque causa sive pro bona sive pro mala, quo eveniunt. 80 Zeumer, Formulae S. 639. Die Formel bezieht sich auf ein Loosordal im Alten Testament (Jos. 7, 14 ff.). Vgl. Jurispr. fris. tit. 80, de sortilegiis, § 4: dat ma wel muken (Strohhalme) end breuen (Briefe) lucka moet in weltlichen Sachen, und § 3: Das geistliche Recht verbietet, Strohhalme oder Briefe zu ziehen hor da kortera off da langhera. 81 Lex Fris. 14, 1. Einen Fall verwandter Anwendung des Looses auf Feh- marn berichtet aus einem Gerichtsprotokoll v. J. 1450 Dreyer, Vermischte Abh. II 875. 82 Decr. Tass. Niuhing. c. 5, LL III 465. Wîg, wîc, Kampf, Streit. 83 So in den Chartes de Cluny. Vgl. Lex Burg. 92, 2: si ad batalia mulier foras curte sua exierit … 84 An diese Bezeichnung scheint die Wendung des langob. Ediktes, Roth. 164—166, anzuklingen: sub uno scuto per pugnam dimitti.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/432>, abgerufen am 30.05.2024.