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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 100. Vorsprecher und Anwälte.
Schwachen und Unkundigen soll das Gericht aus seiner Mitte einen
Wortführer bestellen. Im Bedürfnisfall kann mit Erlaubnis des Ge-
richtes ein vertrauenswürdiger und sachkundiger Mann als Vorsprecher
bestellt werden20.

Für das achte Jahrhundert ist uns der Vorsprecher durch eine
ahd. Glosse bezeugt, welche orator mit furisprecho wiedergiebt21. Bis
in das sechste Jahrhundert führt uns eine Novelle zur Lex Salica hin-
auf, die den Rechtssatz enthält, dass niemand in fremder Sache ohne
Auftrag der Partei das Wort führen (causam dicere) solle22.

Nach alledem darf als feststehend betrachtet werden, dass die
Verwendung von Vorsprechern, das Eindingen des Vorsprechers, d. h.
seine Bestellung mit Erlaubnis des Gerichtes, die Beschränkung des
Vorsprechers auf den Auftrag der Partei und die Bussfälligkeit des
von der Partei desavouierten Vorsprechers in die fränkische Zeit
zurückreichen. Ein Stand gewerbmässiger Vorsprecher war damals zwar
sicherlich noch nicht vorhanden. Doch deutet die Vorschrift Karls
des Grossen von 802 darauf hin, dass die von ihm bekämpften Anfänge
gewohnheitsmässiger Fürsprechthätigkeit sich bereits fühlbar zu machen
begannen.

Von dem Vorsprecher, der die vor Gericht anwesende Partei im
Worte vertritt, ist der Anwalt, muntporo, advocatus, mandatarius,
wohl auch missus23 zu unterscheiden, welcher an Stelle der Partei
vor Gericht erscheint, um deren Sache zu führen.

Das volksgerichtliche Verfahren schloss in der fränkischen Zeit
die gerichtliche Stellvertretung aus24. Noch galt der germanische
Grundsatz: Selbst soll jeder seine Sache verfolgen25. Ohne Zustim-

Vorsprecher ist wohl auch Cap. de iustit. fac. von circa 820, c. 4, zu beziehen,
nach welchem der Richter (Pfalzgraf oder Graf) den, der homini cuilibet causam
eius iniuste disputando impedierit, bei Königsbann auffordern soll, die Gerichts-
versammlung zu verlassen.
20 .. vel si necessitas sit, talis personae largitur in rationem, qui omnibus
provabilis sit et qui in ipsa bene noverit causa, quod tamen omnino fiat secundum
convenientiam priorum vel missorum, qui praesentem adsunt. Cap. I 93, c. 9.
21 Siehe oben Anm. 3.
22 Lex Salica (Hessels) 77, oben Anm. 5.
23 Nachmals Vogt, Gewalthaber, Klagführer, Klagbote, Vormund, Momper,
Anwalt.
24 Siehe Z. f. vergl. RW I 378 f. H. Brunner, Das franz. Inhaberpapier
S. 8. Für das langobardische Recht Ratchis 3. 11, Expositio zu Otto I, c. 8
(LL IV 579). Vgl. Troya Cod. dipl. IV, Nr. 671. 721 S. 459. 674, zwei unechte
Privilegien, nach welchen die Leute von Nonantola, qui causas suas peragere
nesciunt (vgl. Ratchis 11), einen beliebigen Vogt haben dürfen.
25 Gulathingslög 47: Sialfr scal hverr sina sokn sökia.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 23

§ 100. Vorsprecher und Anwälte.
Schwachen und Unkundigen soll das Gericht aus seiner Mitte einen
Wortführer bestellen. Im Bedürfnisfall kann mit Erlaubnis des Ge-
richtes ein vertrauenswürdiger und sachkundiger Mann als Vorsprecher
bestellt werden20.

Für das achte Jahrhundert ist uns der Vorsprecher durch eine
ahd. Glosse bezeugt, welche orator mit furisprecho wiedergiebt21. Bis
in das sechste Jahrhundert führt uns eine Novelle zur Lex Salica hin-
auf, die den Rechtssatz enthält, daſs niemand in fremder Sache ohne
Auftrag der Partei das Wort führen (causam dicere) solle22.

Nach alledem darf als feststehend betrachtet werden, daſs die
Verwendung von Vorsprechern, das Eindingen des Vorsprechers, d. h.
seine Bestellung mit Erlaubnis des Gerichtes, die Beschränkung des
Vorsprechers auf den Auftrag der Partei und die Buſsfälligkeit des
von der Partei desavouierten Vorsprechers in die fränkische Zeit
zurückreichen. Ein Stand gewerbmäſsiger Vorsprecher war damals zwar
sicherlich noch nicht vorhanden. Doch deutet die Vorschrift Karls
des Groſsen von 802 darauf hin, daſs die von ihm bekämpften Anfänge
gewohnheitsmäſsiger Fürsprechthätigkeit sich bereits fühlbar zu machen
begannen.

Von dem Vorsprecher, der die vor Gericht anwesende Partei im
Worte vertritt, ist der Anwalt, muntporo, advocatus, mandatarius,
wohl auch missus23 zu unterscheiden, welcher an Stelle der Partei
vor Gericht erscheint, um deren Sache zu führen.

Das volksgerichtliche Verfahren schloſs in der fränkischen Zeit
die gerichtliche Stellvertretung aus24. Noch galt der germanische
Grundsatz: Selbst soll jeder seine Sache verfolgen25. Ohne Zustim-

Vorsprecher ist wohl auch Cap. de iustit. fac. von circa 820, c. 4, zu beziehen,
nach welchem der Richter (Pfalzgraf oder Graf) den, der homini cuilibet causam
eius iniuste disputando impedierit, bei Königsbann auffordern soll, die Gerichts-
versammlung zu verlassen.
20 .. vel si necessitas sit, talis personae largitur in rationem, qui omnibus
provabilis sit et qui in ipsa bene noverit causa, quod tamen omnino fiat secundum
convenientiam priorum vel missorum, qui praesentem adsunt. Cap. I 93, c. 9.
21 Siehe oben Anm. 3.
22 Lex Salica (Hessels) 77, oben Anm. 5.
23 Nachmals Vogt, Gewalthaber, Klagführer, Klagbote, Vormund, Momper,
Anwalt.
24 Siehe Z. f. vergl. RW I 378 f. H. Brunner, Das franz. Inhaberpapier
S. 8. Für das langobardische Recht Ratchis 3. 11, Expositio zu Otto I, c. 8
(LL IV 579). Vgl. Troya Cod. dipl. IV, Nr. 671. 721 S. 459. 674, zwei unechte
Privilegien, nach welchen die Leute von Nonantola, qui causas suas peragere
nesciunt (vgl. Ratchis 11), einen beliebigen Vogt haben dürfen.
25 Gulaþíngslög 47: Sialfr scal hverr sina sokn sökia.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 23
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[353/0371] § 100. Vorsprecher und Anwälte. Schwachen und Unkundigen soll das Gericht aus seiner Mitte einen Wortführer bestellen. Im Bedürfnisfall kann mit Erlaubnis des Ge- richtes ein vertrauenswürdiger und sachkundiger Mann als Vorsprecher bestellt werden 20. Für das achte Jahrhundert ist uns der Vorsprecher durch eine ahd. Glosse bezeugt, welche orator mit furisprecho wiedergiebt 21. Bis in das sechste Jahrhundert führt uns eine Novelle zur Lex Salica hin- auf, die den Rechtssatz enthält, daſs niemand in fremder Sache ohne Auftrag der Partei das Wort führen (causam dicere) solle 22. Nach alledem darf als feststehend betrachtet werden, daſs die Verwendung von Vorsprechern, das Eindingen des Vorsprechers, d. h. seine Bestellung mit Erlaubnis des Gerichtes, die Beschränkung des Vorsprechers auf den Auftrag der Partei und die Buſsfälligkeit des von der Partei desavouierten Vorsprechers in die fränkische Zeit zurückreichen. Ein Stand gewerbmäſsiger Vorsprecher war damals zwar sicherlich noch nicht vorhanden. Doch deutet die Vorschrift Karls des Groſsen von 802 darauf hin, daſs die von ihm bekämpften Anfänge gewohnheitsmäſsiger Fürsprechthätigkeit sich bereits fühlbar zu machen begannen. Von dem Vorsprecher, der die vor Gericht anwesende Partei im Worte vertritt, ist der Anwalt, muntporo, advocatus, mandatarius, wohl auch missus 23 zu unterscheiden, welcher an Stelle der Partei vor Gericht erscheint, um deren Sache zu führen. Das volksgerichtliche Verfahren schloſs in der fränkischen Zeit die gerichtliche Stellvertretung aus 24. Noch galt der germanische Grundsatz: Selbst soll jeder seine Sache verfolgen 25. Ohne Zustim- 19 20 .. vel si necessitas sit, talis personae largitur in rationem, qui omnibus provabilis sit et qui in ipsa bene noverit causa, quod tamen omnino fiat secundum convenientiam priorum vel missorum, qui praesentem adsunt. Cap. I 93, c. 9. 21 Siehe oben Anm. 3. 22 Lex Salica (Hessels) 77, oben Anm. 5. 23 Nachmals Vogt, Gewalthaber, Klagführer, Klagbote, Vormund, Momper, Anwalt. 24 Siehe Z. f. vergl. RW I 378 f. H. Brunner, Das franz. Inhaberpapier S. 8. Für das langobardische Recht Ratchis 3. 11, Expositio zu Otto I, c. 8 (LL IV 579). Vgl. Troya Cod. dipl. IV, Nr. 671. 721 S. 459. 674, zwei unechte Privilegien, nach welchen die Leute von Nonantola, qui causas suas peragere nesciunt (vgl. Ratchis 11), einen beliebigen Vogt haben dürfen. 25 Gulaþíngslög 47: Sialfr scal hverr sina sokn sökia. 19 Vorsprecher ist wohl auch Cap. de iustit. fac. von circa 820, c. 4, zu beziehen, nach welchem der Richter (Pfalzgraf oder Graf) den, der homini cuilibet causam eius iniuste disputando impedierit, bei Königsbann auffordern soll, die Gerichts- versammlung zu verlassen. Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 23

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/371>, abgerufen am 25.11.2024.