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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 96. Die Kirche.
Origines de la juridiction ecclesiastique, Nouv. Revue hist. de droit francais 1883,
S. 387. 503. Derselbe, Hist. de l'organisation judiciaire S. 87. 354 ff. Salvioli,
La giurisdizione patrimoniale et la giurisdizione delle chiese in Italia 1884, S. 84 ff.

Der einflussreiche Bundesgenosse, den das fränkische Königtum
seit Chlodovech an der katholischen Hierarchie gewonnen hatte, blieb
fügsam und in seiner Fügsamkeit dem Königtum ungefährlich, so lange
er der Hülfe des Staats bedurfte, um die Konkurrenz konfessioneller und
religiöser Gegensätze zu bekämpfen und zu überwinden. Als mit dem
Absterben des Arianismus der einzige, damals massgebende Neben-
buhler beseitigt war, begann die gallische Kirche das Interesse an
der Machtfülle des merowingischen Königtums zu verlieren. An den
Einschränkungen der Königsgewalt, die Chlothar II. sich abringen
liess, hatte sich der Episkopat in hervorragender Weise beteiligt.

Im achten Jahrhundert war die Kirche veranlasst, sich eng an
das Haus der Karolinger anzuschliessen. Der Kampf, den dieses gegen
den Islam führte, wurde nicht nur für das fränkische Reich, sondern
auch für den Katholicismus ausgefochten. Seit die Hausmeier, um
gegen diesen Feind die Wehrkraft des Reiches zu erhöhen, zahlreiches
Kirchengut in Leihe gegeben hatten, welches dazu dienen musste, das
Heer durch eine schlagfertige Reiterei zu verstärken, bildet kirch-
licher Grundbesitz die ökonomische Basis des fränkischen Heerwesens.
Damit war jene unlösliche Verflechtung von Staat und Kirche an-
gebahnt, welche die karolingische Periode kennzeichnet und in der
Wiederherstellung des abendländischen Kaisertums ihre staatsrecht-
liche Formel fand. Zunächst gehen beide Mächte den Weg der
gleichen Interessen. Die ostrheinischen Stämme werden dem Christen-
tum unterworfen. Das gesalbte Königtum rettet den Papst vor den
Langobarden und erwirbt die Kaiserwürde. Als aber die Karolinger
die Arbeit, die sie zu Gunsten der Kirche ohne eigene Schädigung zu
leisten vermochten, im wesentlichen vollbracht hatten, begann das Ver-
hältnis der beiden Gewalten sich zu verändern. Die Kirche verfolgt
nunmehr ihre Interessen im Gegensatz zum Königtum und entpuppt
sich als eine der zersetzenden Kräfte, welche Staatsgewalt und Reich
der Auflösung entgegentreiben.

Unter den Merowingern war die fränkische Kirche im wesent-
lichen unabhängige Landeskirche. Allerdings wird der Papst als erster
Bischof der Christenheit anerkannt und benimmt sich als sein Vikar
bis in das siebente Jahrhundert der Bischof von Arles 1. Allerdings

1 Gundlach, Der Streit der Bistümer Arles und Vienne um den Primatus

§ 96. Die Kirche.
Origines de la juridiction ecclésiastique, Nouv. Revue hist. de droit français 1883,
S. 387. 503. Derselbe, Hist. de l’organisation judiciaire S. 87. 354 ff. Salvioli,
La giurisdizione patrimoniale et la giurisdizione delle chiese in Italia 1884, S. 84 ff.

Der einfluſsreiche Bundesgenosse, den das fränkische Königtum
seit Chlodovech an der katholischen Hierarchie gewonnen hatte, blieb
fügsam und in seiner Fügsamkeit dem Königtum ungefährlich, so lange
er der Hülfe des Staats bedurfte, um die Konkurrenz konfessioneller und
religiöser Gegensätze zu bekämpfen und zu überwinden. Als mit dem
Absterben des Arianismus der einzige, damals maſsgebende Neben-
buhler beseitigt war, begann die gallische Kirche das Interesse an
der Machtfülle des merowingischen Königtums zu verlieren. An den
Einschränkungen der Königsgewalt, die Chlothar II. sich abringen
lieſs, hatte sich der Episkopat in hervorragender Weise beteiligt.

Im achten Jahrhundert war die Kirche veranlaſst, sich eng an
das Haus der Karolinger anzuschlieſsen. Der Kampf, den dieses gegen
den Islam führte, wurde nicht nur für das fränkische Reich, sondern
auch für den Katholicismus ausgefochten. Seit die Hausmeier, um
gegen diesen Feind die Wehrkraft des Reiches zu erhöhen, zahlreiches
Kirchengut in Leihe gegeben hatten, welches dazu dienen muſste, das
Heer durch eine schlagfertige Reiterei zu verstärken, bildet kirch-
licher Grundbesitz die ökonomische Basis des fränkischen Heerwesens.
Damit war jene unlösliche Verflechtung von Staat und Kirche an-
gebahnt, welche die karolingische Periode kennzeichnet und in der
Wiederherstellung des abendländischen Kaisertums ihre staatsrecht-
liche Formel fand. Zunächst gehen beide Mächte den Weg der
gleichen Interessen. Die ostrheinischen Stämme werden dem Christen-
tum unterworfen. Das gesalbte Königtum rettet den Papst vor den
Langobarden und erwirbt die Kaiserwürde. Als aber die Karolinger
die Arbeit, die sie zu Gunsten der Kirche ohne eigene Schädigung zu
leisten vermochten, im wesentlichen vollbracht hatten, begann das Ver-
hältnis der beiden Gewalten sich zu verändern. Die Kirche verfolgt
nunmehr ihre Interessen im Gegensatz zum Königtum und entpuppt
sich als eine der zersetzenden Kräfte, welche Staatsgewalt und Reich
der Auflösung entgegentreiben.

Unter den Merowingern war die fränkische Kirche im wesent-
lichen unabhängige Landeskirche. Allerdings wird der Papst als erster
Bischof der Christenheit anerkannt und benimmt sich als sein Vikar
bis in das siebente Jahrhundert der Bischof von Arles 1. Allerdings

1 Gundlach, Der Streit der Bistümer Arles und Vienne um den Primatus
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[312/0330] § 96. Die Kirche. Origines de la juridiction ecclésiastique, Nouv. Revue hist. de droit français 1883, S. 387. 503. Derselbe, Hist. de l’organisation judiciaire S. 87. 354 ff. Salvioli, La giurisdizione patrimoniale et la giurisdizione delle chiese in Italia 1884, S. 84 ff. Der einfluſsreiche Bundesgenosse, den das fränkische Königtum seit Chlodovech an der katholischen Hierarchie gewonnen hatte, blieb fügsam und in seiner Fügsamkeit dem Königtum ungefährlich, so lange er der Hülfe des Staats bedurfte, um die Konkurrenz konfessioneller und religiöser Gegensätze zu bekämpfen und zu überwinden. Als mit dem Absterben des Arianismus der einzige, damals maſsgebende Neben- buhler beseitigt war, begann die gallische Kirche das Interesse an der Machtfülle des merowingischen Königtums zu verlieren. An den Einschränkungen der Königsgewalt, die Chlothar II. sich abringen lieſs, hatte sich der Episkopat in hervorragender Weise beteiligt. Im achten Jahrhundert war die Kirche veranlaſst, sich eng an das Haus der Karolinger anzuschlieſsen. Der Kampf, den dieses gegen den Islam führte, wurde nicht nur für das fränkische Reich, sondern auch für den Katholicismus ausgefochten. Seit die Hausmeier, um gegen diesen Feind die Wehrkraft des Reiches zu erhöhen, zahlreiches Kirchengut in Leihe gegeben hatten, welches dazu dienen muſste, das Heer durch eine schlagfertige Reiterei zu verstärken, bildet kirch- licher Grundbesitz die ökonomische Basis des fränkischen Heerwesens. Damit war jene unlösliche Verflechtung von Staat und Kirche an- gebahnt, welche die karolingische Periode kennzeichnet und in der Wiederherstellung des abendländischen Kaisertums ihre staatsrecht- liche Formel fand. Zunächst gehen beide Mächte den Weg der gleichen Interessen. Die ostrheinischen Stämme werden dem Christen- tum unterworfen. Das gesalbte Königtum rettet den Papst vor den Langobarden und erwirbt die Kaiserwürde. Als aber die Karolinger die Arbeit, die sie zu Gunsten der Kirche ohne eigene Schädigung zu leisten vermochten, im wesentlichen vollbracht hatten, begann das Ver- hältnis der beiden Gewalten sich zu verändern. Die Kirche verfolgt nunmehr ihre Interessen im Gegensatz zum Königtum und entpuppt sich als eine der zersetzenden Kräfte, welche Staatsgewalt und Reich der Auflösung entgegentreiben. Unter den Merowingern war die fränkische Kirche im wesent- lichen unabhängige Landeskirche. Allerdings wird der Papst als erster Bischof der Christenheit anerkannt und benimmt sich als sein Vikar bis in das siebente Jahrhundert der Bischof von Arles 1. Allerdings 1 Gundlach, Der Streit der Bistümer Arles und Vienne um den Primatus

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/330>, abgerufen am 19.05.2024.