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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 95. Die Vögte.
Ausserdem wurde ihnen die Verwaltung der Patrimonien der römi-
schen Kirche und u. a. auch die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten
übertragen.

Im fränkischen Reiche erscheinen die prozessualischen Ver-
treter der Kirchen unter den Namen agentes8, advocati9, vocati10,
defensores11 oder auch als causidici12, mandatarii13, assertores14. Doch
sehen wir unter den Merowingern ebenso wie im langobardischen Italien
die Kirchenoberen die Angelegenheiten ihrer Kirchen vor Gericht
nicht selten persönlich verfechten. Auch stand nicht allen Kirchen-
oberen ohne weiteres die Befugnis zu, sich in Rechtssachen ihrer
Kirche durch einen Vogt vertreten zu lassen. Lebte der Kirchenobere
nach römischem Rechte, so war er allerdings, wenigstens in Gegenden
mit römischer Bevölkerung, gleich jeder anderen Prozesspartei befugt,
in Civilsachen einen Vertreter der Kirche zu bestellen15. Dagegen
bedurfte es nach fränkischen Rechtsgrundsätzen -- falls die Bischöfe
in dieser Beziehung ein allgemeines Privilegium gehabt haben
sollten -- mindestens für Äbte der königlichen Erlaubnis, um in
Sachen ihrer Kirche durch einen Vertreter zu prozessieren16. Solche

8 Pertz, Dipl. M. 60 v. J. 692, M. 78 v. J. 710.
9 Marculf I 36. Konzil von S. Jean de Losne 670--673, c. 3 (citiert bei
Edg. Loening, Kirchenrecht II 534, Anm. 3): ut nullus episcopus causas perferat
nisi per advocatum. Formula Pithoei c. 75, Zeumer S. 598: dum et vos et advo-
catus vester .. ante illum comitem interpellare fecisti ...
10 Auch vogati, fogati; davon Vogt.
11 Die Identität von defensor und advocatus ergeben Meichelbeck Nr. 470
(wo Reginbertus bald advocatus, bald defensor heisst), Meichelbeck Nr. 368, Gran-
didier S. 305, Mansi, Concil. XIV 74, c. 50. Dagegen ist in Lex Baiuw. I 1 unter
dem defensor ecclesiae der Kirchenobere gemeint. Vgl. die typische Formel in
Meichelbeck Nr. 6. 8. 35. 44. 194: dono .. ad ecclesiam .. locum, ut .. habeat
potestatem defensor atque possessor supradictae ecclesiae. Der defensor Picta-
vensis ecclesiae Ansoaldus in Gesta Dagoberti 44 ist der Bischof. In Meichelbeck
Nr. 372 heisst der Geschlechtsvormund defensor.
12 Waitz, VG IV 464, Anm. 2.
13 In den Gebieten westgotischen Rechtes.
14 Ebenda. Du Cange (Henschel) I 443.
15 Für Strafklagen hatten die Bischöfe und Priester nach römischem Rechte
ein beschränktes, nach Lex Rom. Burg. XI ein unbeschränktes Vertretungsprivile-
gium. Edg. Loening a. O. S. 533.
16 Im altfranzösischen Königsgerichte entbehren Prälaten und personae eccle-
siasticae des Rechtes, durch einen gerichtlichen Vertreter zu klagen. Im Jahre
1290 wurde ihnen infolge einer von Nikolaus IV. geführten Beschwerde ein be-
schränktes Recht der Vertretung gewährt. Z. f. vergl. Rechtswissenschaft I 336.
Meine Abhandlung: Das altfranz. Inhaberpapier S. 9, Anm. 1.

§ 95. Die Vögte.
Auſserdem wurde ihnen die Verwaltung der Patrimonien der römi-
schen Kirche und u. a. auch die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten
übertragen.

Im fränkischen Reiche erscheinen die prozessualischen Ver-
treter der Kirchen unter den Namen agentes8, advocati9, vocati10,
defensores11 oder auch als causidici12, mandatarii13, assertores14. Doch
sehen wir unter den Merowingern ebenso wie im langobardischen Italien
die Kirchenoberen die Angelegenheiten ihrer Kirchen vor Gericht
nicht selten persönlich verfechten. Auch stand nicht allen Kirchen-
oberen ohne weiteres die Befugnis zu, sich in Rechtssachen ihrer
Kirche durch einen Vogt vertreten zu lassen. Lebte der Kirchenobere
nach römischem Rechte, so war er allerdings, wenigstens in Gegenden
mit römischer Bevölkerung, gleich jeder anderen Prozeſspartei befugt,
in Civilsachen einen Vertreter der Kirche zu bestellen15. Dagegen
bedurfte es nach fränkischen Rechtsgrundsätzen — falls die Bischöfe
in dieser Beziehung ein allgemeines Privilegium gehabt haben
sollten — mindestens für Äbte der königlichen Erlaubnis, um in
Sachen ihrer Kirche durch einen Vertreter zu prozessieren16. Solche

8 Pertz, Dipl. M. 60 v. J. 692, M. 78 v. J. 710.
9 Marculf I 36. Konzil von S. Jean de Losne 670—673, c. 3 (citiert bei
Edg. Loening, Kirchenrecht II 534, Anm. 3): ut nullus episcopus causas perferat
nisi per advocatum. Formula Pithoei c. 75, Zeumer S. 598: dum et vos et advo-
catus vester .. ante illum comitem interpellare fecisti …
10 Auch vogati, fogati; davon Vogt.
11 Die Identität von defensor und advocatus ergeben Meichelbeck Nr. 470
(wo Reginbertus bald advocatus, bald defensor heiſst), Meichelbeck Nr. 368, Gran-
didier S. 305, Mansi, Concil. XIV 74, c. 50. Dagegen ist in Lex Baiuw. I 1 unter
dem defensor ecclesiae der Kirchenobere gemeint. Vgl. die typische Formel in
Meichelbeck Nr. 6. 8. 35. 44. 194: dono .. ad ecclesiam .. locum, ut .. habeat
potestatem defensor atque possessor supradictae ecclesiae. Der defensor Picta-
vensis ecclesiae Ansoaldus in Gesta Dagoberti 44 ist der Bischof. In Meichelbeck
Nr. 372 heiſst der Geschlechtsvormund defensor.
12 Waitz, VG IV 464, Anm. 2.
13 In den Gebieten westgotischen Rechtes.
14 Ebenda. Du Cange (Henschel) I 443.
15 Für Strafklagen hatten die Bischöfe und Priester nach römischem Rechte
ein beschränktes, nach Lex Rom. Burg. XI ein unbeschränktes Vertretungsprivile-
gium. Edg. Loening a. O. S. 533.
16 Im altfranzösischen Königsgerichte entbehren Prälaten und personae eccle-
siasticae des Rechtes, durch einen gerichtlichen Vertreter zu klagen. Im Jahre
1290 wurde ihnen infolge einer von Nikolaus IV. geführten Beschwerde ein be-
schränktes Recht der Vertretung gewährt. Z. f. vergl. Rechtswissenschaft I 336.
Meine Abhandlung: Das altfranz. Inhaberpapier S. 9, Anm. 1.
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[304/0322] § 95. Die Vögte. Auſserdem wurde ihnen die Verwaltung der Patrimonien der römi- schen Kirche und u. a. auch die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten übertragen. Im fränkischen Reiche erscheinen die prozessualischen Ver- treter der Kirchen unter den Namen agentes 8, advocati 9, vocati 10, defensores 11 oder auch als causidici 12, mandatarii 13, assertores 14. Doch sehen wir unter den Merowingern ebenso wie im langobardischen Italien die Kirchenoberen die Angelegenheiten ihrer Kirchen vor Gericht nicht selten persönlich verfechten. Auch stand nicht allen Kirchen- oberen ohne weiteres die Befugnis zu, sich in Rechtssachen ihrer Kirche durch einen Vogt vertreten zu lassen. Lebte der Kirchenobere nach römischem Rechte, so war er allerdings, wenigstens in Gegenden mit römischer Bevölkerung, gleich jeder anderen Prozeſspartei befugt, in Civilsachen einen Vertreter der Kirche zu bestellen 15. Dagegen bedurfte es nach fränkischen Rechtsgrundsätzen — falls die Bischöfe in dieser Beziehung ein allgemeines Privilegium gehabt haben sollten — mindestens für Äbte der königlichen Erlaubnis, um in Sachen ihrer Kirche durch einen Vertreter zu prozessieren 16. Solche 8 Pertz, Dipl. M. 60 v. J. 692, M. 78 v. J. 710. 9 Marculf I 36. Konzil von S. Jean de Losne 670—673, c. 3 (citiert bei Edg. Loening, Kirchenrecht II 534, Anm. 3): ut nullus episcopus causas perferat nisi per advocatum. Formula Pithoei c. 75, Zeumer S. 598: dum et vos et advo- catus vester .. ante illum comitem interpellare fecisti … 10 Auch vogati, fogati; davon Vogt. 11 Die Identität von defensor und advocatus ergeben Meichelbeck Nr. 470 (wo Reginbertus bald advocatus, bald defensor heiſst), Meichelbeck Nr. 368, Gran- didier S. 305, Mansi, Concil. XIV 74, c. 50. Dagegen ist in Lex Baiuw. I 1 unter dem defensor ecclesiae der Kirchenobere gemeint. Vgl. die typische Formel in Meichelbeck Nr. 6. 8. 35. 44. 194: dono .. ad ecclesiam .. locum, ut .. habeat potestatem defensor atque possessor supradictae ecclesiae. Der defensor Picta- vensis ecclesiae Ansoaldus in Gesta Dagoberti 44 ist der Bischof. In Meichelbeck Nr. 372 heiſst der Geschlechtsvormund defensor. 12 Waitz, VG IV 464, Anm. 2. 13 In den Gebieten westgotischen Rechtes. 14 Ebenda. Du Cange (Henschel) I 443. 15 Für Strafklagen hatten die Bischöfe und Priester nach römischem Rechte ein beschränktes, nach Lex Rom. Burg. XI ein unbeschränktes Vertretungsprivile- gium. Edg. Loening a. O. S. 533. 16 Im altfranzösischen Königsgerichte entbehren Prälaten und personae eccle- siasticae des Rechtes, durch einen gerichtlichen Vertreter zu klagen. Im Jahre 1290 wurde ihnen infolge einer von Nikolaus IV. geführten Beschwerde ein be- schränktes Recht der Vertretung gewährt. Z. f. vergl. Rechtswissenschaft I 336. Meine Abhandlung: Das altfranz. Inhaberpapier S. 9, Anm. 1.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/322>, abgerufen am 22.11.2024.