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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 60. Die königliche Gewalt.
tum, sondern ausschliesslich das Provinzialbeamtentum, von welchem
die sich vollziehende Einschränkung der königlichen Gewalt ausgeht.
Gewitzigt durch die Erfolge ihres eigenen Geschlechtes, liessen die
ersten Karolinger keines von den Ämtern der Centralverwaltung zu
hervorragender Macht gelangen, eine Politik, deren Kehrseite war, dass
das Beamtentum der Provinzialverwaltung nicht wie in merowingischer
Zeit in dem des Hofes ein wirksames Gegengewicht fand. Vereinzelte
Ansätze, ein solches auszubilden, blieben ohne Erfolg. Bernhard von
Septimanien, der als Kämmerer unter Ludwig I., Liutward, der als
Kanzler unter Karl III. zur Macht gelangte, wurden von der Amts-
aristokratie gestürzt. So kam es denn auch, dass es das territoriale
Beamtentum war, welches die Einheit des Reiches zertrümmerte. Aus
ihm waren die Gewalten hervorgegangen, welchen bei der Auflösung
der fränkischen Monarchie in Burgund, Italien und Westfrancien das
Königtum zur Beute ward.

Der König übt Regierungsrechte in kirchlichen Angelegenheiten
aus, insbesondere das Recht der Berufung von Synoden und der Be-
setzung der Bistümer. Ein eingreifendes Kirchenregiment handhabten
die ersten Karolinger. Damals traten die Bischöfe in die Reihe der
königlichen Beamten ein, was denn freilich zur Folge hatte, dass die
seit Ludwig I. wachsende Selbständigkeit der Bischöfe auf das welt-
liche Beamtentum zurückwirkte.

Der König hat ein unbeschränktes Recht, Privilegien zu verleihen
und von der Erfüllung öffentlicher Pflichten zu dispensieren. Beson-
dere Befugnisse des Königs ergaben sich aus den Verhältnissen der
königlichen Gefolgschaft, des höheren Königsschutzes, der königlichen
Benefizien und der Vassallität.

Das fränkische Recht hatte den Grundsatz: der König lügt nicht.
Sein Wort besass erhöhte Glaubwürdigkeit 12. Sein schriftliches und
sein mündliches Zeugnis durfte im Rechtsgang bei Verwirkung des
Lebens nicht angefochten werden 13. Wird im Namen des Königs
Klage erhoben, so ist sein Vertreter in Fällen, in welchen sonst der
Kläger seine Klage durch einen Voreid zu bekräftigen hat, vom Vor-
eide befreit 14.


12 Im kentischen Rechte galt der Rechtssatz, dass des Königs eidloses
Wort unwiderlegbar sei. Wihträd 16. Vgl. v. Amira, Recht S. 127.
13 Siehe unten § 107.
14 Siehe unten § 99.

§ 60. Die königliche Gewalt.
tum, sondern ausschlieſslich das Provinzialbeamtentum, von welchem
die sich vollziehende Einschränkung der königlichen Gewalt ausgeht.
Gewitzigt durch die Erfolge ihres eigenen Geschlechtes, lieſsen die
ersten Karolinger keines von den Ämtern der Centralverwaltung zu
hervorragender Macht gelangen, eine Politik, deren Kehrseite war, daſs
das Beamtentum der Provinzialverwaltung nicht wie in merowingischer
Zeit in dem des Hofes ein wirksames Gegengewicht fand. Vereinzelte
Ansätze, ein solches auszubilden, blieben ohne Erfolg. Bernhard von
Septimanien, der als Kämmerer unter Ludwig I., Liutward, der als
Kanzler unter Karl III. zur Macht gelangte, wurden von der Amts-
aristokratie gestürzt. So kam es denn auch, daſs es das territoriale
Beamtentum war, welches die Einheit des Reiches zertrümmerte. Aus
ihm waren die Gewalten hervorgegangen, welchen bei der Auflösung
der fränkischen Monarchie in Burgund, Italien und Westfrancien das
Königtum zur Beute ward.

Der König übt Regierungsrechte in kirchlichen Angelegenheiten
aus, insbesondere das Recht der Berufung von Synoden und der Be-
setzung der Bistümer. Ein eingreifendes Kirchenregiment handhabten
die ersten Karolinger. Damals traten die Bischöfe in die Reihe der
königlichen Beamten ein, was denn freilich zur Folge hatte, daſs die
seit Ludwig I. wachsende Selbständigkeit der Bischöfe auf das welt-
liche Beamtentum zurückwirkte.

Der König hat ein unbeschränktes Recht, Privilegien zu verleihen
und von der Erfüllung öffentlicher Pflichten zu dispensieren. Beson-
dere Befugnisse des Königs ergaben sich aus den Verhältnissen der
königlichen Gefolgschaft, des höheren Königsschutzes, der königlichen
Benefizien und der Vassallität.

Das fränkische Recht hatte den Grundsatz: der König lügt nicht.
Sein Wort besaſs erhöhte Glaubwürdigkeit 12. Sein schriftliches und
sein mündliches Zeugnis durfte im Rechtsgang bei Verwirkung des
Lebens nicht angefochten werden 13. Wird im Namen des Königs
Klage erhoben, so ist sein Vertreter in Fällen, in welchen sonst der
Kläger seine Klage durch einen Voreid zu bekräftigen hat, vom Vor-
eide befreit 14.


12 Im kentischen Rechte galt der Rechtssatz, daſs des Königs eidloses
Wort unwiderlegbar sei. Wihträd 16. Vgl. v. Amira, Recht S. 127.
13 Siehe unten § 107.
14 Siehe unten § 99.
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[13/0031] § 60. Die königliche Gewalt. tum, sondern ausschlieſslich das Provinzialbeamtentum, von welchem die sich vollziehende Einschränkung der königlichen Gewalt ausgeht. Gewitzigt durch die Erfolge ihres eigenen Geschlechtes, lieſsen die ersten Karolinger keines von den Ämtern der Centralverwaltung zu hervorragender Macht gelangen, eine Politik, deren Kehrseite war, daſs das Beamtentum der Provinzialverwaltung nicht wie in merowingischer Zeit in dem des Hofes ein wirksames Gegengewicht fand. Vereinzelte Ansätze, ein solches auszubilden, blieben ohne Erfolg. Bernhard von Septimanien, der als Kämmerer unter Ludwig I., Liutward, der als Kanzler unter Karl III. zur Macht gelangte, wurden von der Amts- aristokratie gestürzt. So kam es denn auch, daſs es das territoriale Beamtentum war, welches die Einheit des Reiches zertrümmerte. Aus ihm waren die Gewalten hervorgegangen, welchen bei der Auflösung der fränkischen Monarchie in Burgund, Italien und Westfrancien das Königtum zur Beute ward. Der König übt Regierungsrechte in kirchlichen Angelegenheiten aus, insbesondere das Recht der Berufung von Synoden und der Be- setzung der Bistümer. Ein eingreifendes Kirchenregiment handhabten die ersten Karolinger. Damals traten die Bischöfe in die Reihe der königlichen Beamten ein, was denn freilich zur Folge hatte, daſs die seit Ludwig I. wachsende Selbständigkeit der Bischöfe auf das welt- liche Beamtentum zurückwirkte. Der König hat ein unbeschränktes Recht, Privilegien zu verleihen und von der Erfüllung öffentlicher Pflichten zu dispensieren. Beson- dere Befugnisse des Königs ergaben sich aus den Verhältnissen der königlichen Gefolgschaft, des höheren Königsschutzes, der königlichen Benefizien und der Vassallität. Das fränkische Recht hatte den Grundsatz: der König lügt nicht. Sein Wort besaſs erhöhte Glaubwürdigkeit 12. Sein schriftliches und sein mündliches Zeugnis durfte im Rechtsgang bei Verwirkung des Lebens nicht angefochten werden 13. Wird im Namen des Königs Klage erhoben, so ist sein Vertreter in Fällen, in welchen sonst der Kläger seine Klage durch einen Voreid zu bekräftigen hat, vom Vor- eide befreit 14. 12 Im kentischen Rechte galt der Rechtssatz, daſs des Königs eidloses Wort unwiderlegbar sei. Wihträd 16. Vgl. v. Amira, Recht S. 127. 13 Siehe unten § 107. 14 Siehe unten § 99.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/31>, abgerufen am 19.04.2024.