Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.
Mit der Erörterung des Benefizialwesens treten wir an das be- Bekanntlich gelangte ein grosser Teil des Grundbesitzes, den das 1 Die ältere Litteratur bespricht Roth, BW S. 209 ff. Roth geht seiner- seits von der Ansicht aus, dass es unter den Merowingern nur eine Art der Ver- gabung von Krongut gegeben habe, nämlich die Vergabung zu frei vererblichem und veräusserlichem Eigentum. Benefizialwesen und Vassallität führt er auf eine plötzliche, mit bewusster Absicht vollzogene Veränderung der fränkischen Verfas- sung zurück, welche die Söhne Karl Martells mit Hülfe einer Säkularisation der Kirchengüter durchgeführt hätten. Waitz bestreitet jede legislative Einführung der Faktoren des Lehnwesens und nimmt an, dass schon die merowingische Land- schenkung ein in gewissem Sinne beschränktes Eigentum gewährte, ohne aber zu einer juristisch fassbaren Formulierung der nach seiner Ansicht vorhandenen Be- schränkungen zu gelangen. Von den Rechtshistorikern haben bis in die jüngste Zeit die meisten Roths Partei ergriffen, ausgenommen v. Daniels, der in seinem Handbuche a. O. eine Reihe beachtenswerter Gegenargumente anführt. 2 In der typischen Clausel: quicquid exinde facere volueris, liberam in omni- bus habeas potestatem. 16*
Mit der Erörterung des Benefizialwesens treten wir an das be- Bekanntlich gelangte ein groſser Teil des Grundbesitzes, den das 1 Die ältere Litteratur bespricht Roth, BW S. 209 ff. Roth geht seiner- seits von der Ansicht aus, daſs es unter den Merowingern nur eine Art der Ver- gabung von Krongut gegeben habe, nämlich die Vergabung zu frei vererblichem und veräuſserlichem Eigentum. Benefizialwesen und Vassallität führt er auf eine plötzliche, mit bewuſster Absicht vollzogene Veränderung der fränkischen Verfas- sung zurück, welche die Söhne Karl Martells mit Hülfe einer Säkularisation der Kirchengüter durchgeführt hätten. Waitz bestreitet jede legislative Einführung der Faktoren des Lehnwesens und nimmt an, daſs schon die merowingische Land- schenkung ein in gewissem Sinne beschränktes Eigentum gewährte, ohne aber zu einer juristisch faſsbaren Formulierung der nach seiner Ansicht vorhandenen Be- schränkungen zu gelangen. Von den Rechtshistorikern haben bis in die jüngste Zeit die meisten Roths Partei ergriffen, ausgenommen v. Daniels, der in seinem Handbuche a. O. eine Reihe beachtenswerter Gegenargumente anführt. 2 In der typischen Clausel: quicquid exinde facere volueris, liberam in omni- bus habeas potestatem. 16*
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§ 91. Das Benefizialwesen.
RG VIII 7. 29 ff. Derselbe, Zur Geschichte des Gefolgswesens, Z2 f. RG IX
213 f. Viktor Menzel, Die Entstehung des Lehnwesens 1890. Mühlbacher,
Deutsche Geschichte unter den Karolingern S. 45 ff. — Beugnot, Sur la spolia-
tion des biens du clergé attribuée à Charles Martell, Mém. de l’Institut, Acad. des
inscriptions XIX 2 ff., 360 ff. Garsonnet, Histoire des locations perpétuelles
1879, S. 225. Fustel de Coulanges, Histoire des institutions politiques de
l’ancienne France. Les origines du système féodal. Le Bénéfice et le Patronat
pendant l’époque mérovingienne 1890.
Mit der Erörterung des Benefizialwesens treten wir an das be-
deutsame Problem der Entstehung des Lehenwesens. Als sicheres
Ergebnis der wissenschaftlichen Forschung steht fest, daſs das Lehen-
wesen aus der Verschmelzung zweier begrifflich zu sondernder Rechts-
institute hervorging, des Benefizialwesens und der Vassallität. Allein
der Ursprung der beiden geschichtlichen Faktoren des Lehens ist streitig
und bildet den Gegenstand einer lebhaften, bis heute unerledigten
Kontroverse 1. Sie hat ihren Ausgangspunkt in dem rechtlichen Cha-
rakter der merowingischen Landschenkungen.
Bekanntlich gelangte ein groſser Teil des Grundbesitzes, den das
merowingische Königtum erworben hatte, durch königliche Schenkung
in die Hände von Kirchen und Laien. Das Recht, welches die Ver-
gabung gewährte, konnte nach dem Willen des Schenkers ein ver-
schiedenartiges sein. Mitunter erfolgte die Schenkung nach dem For-
mular der römischen Schenkungsurkunde und mit der ausdrücklich
ausgesprochenen Absicht 2, daſs der Beschenkte ein frei veräuſser-
liches und, wenn er ein Laie war, auch frei vererbliches Eigentum
haben solle. Daneben griffen aber auch Vergabungen Platz — sie
scheinen die Hauptmasse der Schenkungen an Laien gebildet zu
haben —, welche im Einklange mit dem germanischen Schenkungs-
1 Die ältere Litteratur bespricht Roth, BW S. 209 ff. Roth geht seiner-
seits von der Ansicht aus, daſs es unter den Merowingern nur eine Art der Ver-
gabung von Krongut gegeben habe, nämlich die Vergabung zu frei vererblichem
und veräuſserlichem Eigentum. Benefizialwesen und Vassallität führt er auf eine
plötzliche, mit bewuſster Absicht vollzogene Veränderung der fränkischen Verfas-
sung zurück, welche die Söhne Karl Martells mit Hülfe einer Säkularisation der
Kirchengüter durchgeführt hätten. Waitz bestreitet jede legislative Einführung
der Faktoren des Lehnwesens und nimmt an, daſs schon die merowingische Land-
schenkung ein in gewissem Sinne beschränktes Eigentum gewährte, ohne aber zu
einer juristisch faſsbaren Formulierung der nach seiner Ansicht vorhandenen Be-
schränkungen zu gelangen. Von den Rechtshistorikern haben bis in die jüngste
Zeit die meisten Roths Partei ergriffen, ausgenommen v. Daniels, der in seinem
Handbuche a. O. eine Reihe beachtenswerter Gegenargumente anführt.
2 In der typischen Clausel: quicquid exinde facere volueris, liberam in omni-
bus habeas potestatem.
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