Die auf Beseitigung des Stammesherzogtums gerichtete Politik der Karolinger konnte auf die Dauer nur durchgeführt werden, wenn als Ersatz des Herzogtums eine andere, zwischen Königtum und Graf- schaft stehende Gewalt geschaffen wurde 14. Die Karolinger schufen diesen Ersatz durch eine grossartig angelegte Weiterbildung des In- stitutes der Missi, nämlich durch Einführung der ordentlichen Missi, deren umfangreiche Gewalt, solange sie weder eine territoriale, noch eine ständige war, dem Königtum nicht gefährlich werden konnte. Das Wesen der Neuerung, deren Anfänge sich bis auf Karl Martell zurückverfolgen lassen 15, bestand darin, dass Missi mit allgemeiner Vollmacht ausgesendet wurden, um die Thätigkeit der ordentlichen geistlichen und weltlichen Beamten zu kontrollieren und zu ergänzen. Schon bald nach seinem Regierungsantritt scheint Karl der Grosse mit der regelmässig jährlichen Absendung von Missi begonnen zu haben. Bereits das Jahr 789 überliefert uns ein Edictum legationis kirchlichen und weltlichen Inhalts, welches alle Merkmale des Capitu- lare missorum aufweist. Wie Pippin 768 in das eroberte Aquitanien Missi abgesendet hatte, so verwendete sie auch Karl zur Ordnung der Zustände in Sachsen und Italien. Unter dem Impulse der Kaiser- krönung nahm dann Karl im Jahre 802 eine bessere Organisierung des missatischen Institutes vor, welche ein kräftigeres und gleich- mässiges Eingreifen desselben in die Verwaltung des gesamten Reiches ermöglichen sollte. War es früher eine Vorsichtsmassregel gewesen, minder angesehene Hofvassallen als Missi zu bestellen, so fühlt sich Karl jetzt stark genug, mit dieser Tradition zu brechen und die Missi im Interesse einer durchgreifenderen Wirksamkeit aus den hohen Reichsbeamten, aus den angesehensten Optimaten zu wählen 16. Ausser- dem erstreckt sich von nun ab die jährliche Absendung von Missi auf das ganze Reich 17. Dieses wurde in eine grössere Anzahl missa-
14 Vgl. Krause, Missi S. 11.
15 Darauf weist der Ausdruck missi discurrentes hin, der unter Karl Martell (Mühlbacher Nr. 36) und unter Pippin (Mühlbacher Nr. 58. 60. 61) vorkommt und einen Missus bezeichnet, welcher ein bestimmtes Gebiet zu bereisen hat. Vgl. Addit. Marc. 2, Zeumer S. 111.
16 Annales Laureshamenses z. J. 802, MG SS I 38: noluit de infra palatio pau- periores vassos suos transmittere ad iustitias faciendum propter munera; sed elegit in regno suo archiepiscopos et reliquos episcopos et abbates cum ducibus et comi- tibus, qui iam opus non abebant super innocentes munera accipere.
17 Das heben sowohl die Annales Lauresham. a. O. (et ipsos misit per uni- versum regnum), als auch das Cap. v. J. 802, c. 1, I 91 (et direxit in universum regnum suum) so bestimmt hervor, dass man mit Fug in der Allgemeinheit der Massregel eine Neuerung gegenüber der früheren Praxis erblicken darf.
§ 85. Die königlichen Missi.
Die auf Beseitigung des Stammesherzogtums gerichtete Politik der Karolinger konnte auf die Dauer nur durchgeführt werden, wenn als Ersatz des Herzogtums eine andere, zwischen Königtum und Graf- schaft stehende Gewalt geschaffen wurde 14. Die Karolinger schufen diesen Ersatz durch eine groſsartig angelegte Weiterbildung des In- stitutes der Missi, nämlich durch Einführung der ordentlichen Missi, deren umfangreiche Gewalt, solange sie weder eine territoriale, noch eine ständige war, dem Königtum nicht gefährlich werden konnte. Das Wesen der Neuerung, deren Anfänge sich bis auf Karl Martell zurückverfolgen lassen 15, bestand darin, daſs Missi mit allgemeiner Vollmacht ausgesendet wurden, um die Thätigkeit der ordentlichen geistlichen und weltlichen Beamten zu kontrollieren und zu ergänzen. Schon bald nach seinem Regierungsantritt scheint Karl der Groſse mit der regelmäſsig jährlichen Absendung von Missi begonnen zu haben. Bereits das Jahr 789 überliefert uns ein Edictum legationis kirchlichen und weltlichen Inhalts, welches alle Merkmale des Capitu- lare missorum aufweist. Wie Pippin 768 in das eroberte Aquitanien Missi abgesendet hatte, so verwendete sie auch Karl zur Ordnung der Zustände in Sachsen und Italien. Unter dem Impulse der Kaiser- krönung nahm dann Karl im Jahre 802 eine bessere Organisierung des missatischen Institutes vor, welche ein kräftigeres und gleich- mäſsiges Eingreifen desselben in die Verwaltung des gesamten Reiches ermöglichen sollte. War es früher eine Vorsichtsmaſsregel gewesen, minder angesehene Hofvassallen als Missi zu bestellen, so fühlt sich Karl jetzt stark genug, mit dieser Tradition zu brechen und die Missi im Interesse einer durchgreifenderen Wirksamkeit aus den hohen Reichsbeamten, aus den angesehensten Optimaten zu wählen 16. Auſser- dem erstreckt sich von nun ab die jährliche Absendung von Missi auf das ganze Reich 17. Dieses wurde in eine gröſsere Anzahl missa-
14 Vgl. Krause, Missi S. 11.
15 Darauf weist der Ausdruck missi discurrentes hin, der unter Karl Martell (Mühlbacher Nr. 36) und unter Pippin (Mühlbacher Nr. 58. 60. 61) vorkommt und einen Missus bezeichnet, welcher ein bestimmtes Gebiet zu bereisen hat. Vgl. Addit. Marc. 2, Zeumer S. 111.
16 Annales Laureshamenses z. J. 802, MG SS I 38: noluit de infra palatio pau- periores vassos suos transmittere ad iustitias faciendum propter munera; sed elegit in regno suo archiepiscopos et reliquos episcopos et abbates cum ducibus et comi- tibus, qui iam opus non abebant super innocentes munera accipere.
17 Das heben sowohl die Annales Lauresham. a. O. (et ipsos misit per uni- versum regnum), als auch das Cap. v. J. 802, c. 1, I 91 (et direxit in universum regnum suum) so bestimmt hervor, daſs man mit Fug in der Allgemeinheit der Maſsregel eine Neuerung gegenüber der früheren Praxis erblicken darf.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0209"n="191"/><fwplace="top"type="header">§ 85. Die königlichen Missi.</fw><lb/><p>Die auf Beseitigung des Stammesherzogtums gerichtete Politik<lb/>
der Karolinger konnte auf die Dauer nur durchgeführt werden, wenn<lb/>
als Ersatz des Herzogtums eine andere, zwischen Königtum und Graf-<lb/>
schaft stehende Gewalt geschaffen wurde <noteplace="foot"n="14">Vgl. <hirendition="#g">Krause</hi>, Missi S. 11.</note>. Die Karolinger schufen<lb/>
diesen Ersatz durch eine groſsartig angelegte Weiterbildung des In-<lb/>
stitutes der Missi, nämlich durch Einführung der ordentlichen Missi,<lb/>
deren umfangreiche Gewalt, solange sie weder eine territoriale, noch<lb/>
eine ständige war, dem Königtum nicht gefährlich werden konnte.<lb/>
Das Wesen der Neuerung, deren Anfänge sich bis auf Karl Martell<lb/>
zurückverfolgen lassen <noteplace="foot"n="15">Darauf weist der Ausdruck missi discurrentes hin, der unter Karl Martell<lb/>
(<hirendition="#g">Mühlbacher</hi> Nr. 36) und unter Pippin (<hirendition="#g">Mühlbacher</hi> Nr. 58. 60. 61) vorkommt<lb/>
und einen Missus bezeichnet, welcher ein bestimmtes Gebiet zu bereisen hat.<lb/>
Vgl. Addit. Marc. 2, Zeumer S. 111.</note>, bestand darin, daſs Missi mit allgemeiner<lb/>
Vollmacht ausgesendet wurden, um die Thätigkeit der ordentlichen<lb/>
geistlichen und weltlichen Beamten zu kontrollieren und zu ergänzen.<lb/>
Schon bald nach seinem Regierungsantritt scheint Karl der Groſse<lb/>
mit der regelmäſsig jährlichen Absendung von Missi begonnen zu<lb/>
haben. Bereits das Jahr 789 überliefert uns ein Edictum legationis<lb/>
kirchlichen und weltlichen Inhalts, welches alle Merkmale des Capitu-<lb/>
lare missorum aufweist. Wie Pippin 768 in das eroberte Aquitanien<lb/>
Missi abgesendet hatte, so verwendete sie auch Karl zur Ordnung der<lb/>
Zustände in Sachsen und Italien. Unter dem Impulse der Kaiser-<lb/>
krönung nahm dann Karl im Jahre 802 eine bessere Organisierung<lb/>
des missatischen Institutes vor, welche ein kräftigeres und gleich-<lb/>
mäſsiges Eingreifen desselben in die Verwaltung des gesamten Reiches<lb/>
ermöglichen sollte. War es früher eine Vorsichtsmaſsregel gewesen,<lb/>
minder angesehene Hofvassallen als Missi zu bestellen, so fühlt sich<lb/>
Karl jetzt stark genug, mit dieser Tradition zu brechen und die Missi<lb/>
im Interesse einer durchgreifenderen Wirksamkeit aus den hohen<lb/>
Reichsbeamten, aus den angesehensten Optimaten zu wählen <noteplace="foot"n="16">Annales Laureshamenses z. J. 802, MG SS I 38: noluit de infra palatio pau-<lb/>
periores vassos suos transmittere ad iustitias faciendum propter munera; sed elegit<lb/>
in regno suo archiepiscopos et reliquos episcopos et abbates cum ducibus et comi-<lb/>
tibus, qui iam opus non abebant super innocentes munera accipere.</note>. Auſser-<lb/>
dem erstreckt sich von nun ab die jährliche Absendung von Missi<lb/>
auf das ganze Reich <noteplace="foot"n="17">Das heben sowohl die Annales Lauresham. a. O. (et ipsos misit per uni-<lb/>
versum regnum), als auch das Cap. v. J. 802, c. 1, I 91 (et direxit in universum<lb/>
regnum suum) so bestimmt hervor, daſs man mit Fug in der Allgemeinheit der<lb/>
Maſsregel eine Neuerung gegenüber der früheren Praxis erblicken darf.</note>. Dieses wurde in eine gröſsere Anzahl missa-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[191/0209]
§ 85. Die königlichen Missi.
Die auf Beseitigung des Stammesherzogtums gerichtete Politik
der Karolinger konnte auf die Dauer nur durchgeführt werden, wenn
als Ersatz des Herzogtums eine andere, zwischen Königtum und Graf-
schaft stehende Gewalt geschaffen wurde 14. Die Karolinger schufen
diesen Ersatz durch eine groſsartig angelegte Weiterbildung des In-
stitutes der Missi, nämlich durch Einführung der ordentlichen Missi,
deren umfangreiche Gewalt, solange sie weder eine territoriale, noch
eine ständige war, dem Königtum nicht gefährlich werden konnte.
Das Wesen der Neuerung, deren Anfänge sich bis auf Karl Martell
zurückverfolgen lassen 15, bestand darin, daſs Missi mit allgemeiner
Vollmacht ausgesendet wurden, um die Thätigkeit der ordentlichen
geistlichen und weltlichen Beamten zu kontrollieren und zu ergänzen.
Schon bald nach seinem Regierungsantritt scheint Karl der Groſse
mit der regelmäſsig jährlichen Absendung von Missi begonnen zu
haben. Bereits das Jahr 789 überliefert uns ein Edictum legationis
kirchlichen und weltlichen Inhalts, welches alle Merkmale des Capitu-
lare missorum aufweist. Wie Pippin 768 in das eroberte Aquitanien
Missi abgesendet hatte, so verwendete sie auch Karl zur Ordnung der
Zustände in Sachsen und Italien. Unter dem Impulse der Kaiser-
krönung nahm dann Karl im Jahre 802 eine bessere Organisierung
des missatischen Institutes vor, welche ein kräftigeres und gleich-
mäſsiges Eingreifen desselben in die Verwaltung des gesamten Reiches
ermöglichen sollte. War es früher eine Vorsichtsmaſsregel gewesen,
minder angesehene Hofvassallen als Missi zu bestellen, so fühlt sich
Karl jetzt stark genug, mit dieser Tradition zu brechen und die Missi
im Interesse einer durchgreifenderen Wirksamkeit aus den hohen
Reichsbeamten, aus den angesehensten Optimaten zu wählen 16. Auſser-
dem erstreckt sich von nun ab die jährliche Absendung von Missi
auf das ganze Reich 17. Dieses wurde in eine gröſsere Anzahl missa-
14 Vgl. Krause, Missi S. 11.
15 Darauf weist der Ausdruck missi discurrentes hin, der unter Karl Martell
(Mühlbacher Nr. 36) und unter Pippin (Mühlbacher Nr. 58. 60. 61) vorkommt
und einen Missus bezeichnet, welcher ein bestimmtes Gebiet zu bereisen hat.
Vgl. Addit. Marc. 2, Zeumer S. 111.
16 Annales Laureshamenses z. J. 802, MG SS I 38: noluit de infra palatio pau-
periores vassos suos transmittere ad iustitias faciendum propter munera; sed elegit
in regno suo archiepiscopos et reliquos episcopos et abbates cum ducibus et comi-
tibus, qui iam opus non abebant super innocentes munera accipere.
17 Das heben sowohl die Annales Lauresham. a. O. (et ipsos misit per uni-
versum regnum), als auch das Cap. v. J. 802, c. 1, I 91 (et direxit in universum
regnum suum) so bestimmt hervor, daſs man mit Fug in der Allgemeinheit der
Maſsregel eine Neuerung gegenüber der früheren Praxis erblicken darf.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/209>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.