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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 83. Tribunus und Schultheiss.
Der Name tribunus führt hier wohl auf den römischen Militär-
beamten dieses Titels zurück, der in diesen Gegenden vermutlich
ebenso wie nachmals in Istrien und im byzantinischen Italien mit
seiner militärischen Stellung die Civilgewalt vereinigte16.

Hilfsorgane, durch welche der Graf sich vertreten lässt, begegnen
uns schon in merowingischer Zeit unter dem Namen missi comitis.
Durch seinen missus kann der Graf der Lex Salica die Auspfändung
vornehmen lassen17. Der missus comitis der Lex Alamannorum
unterstützt18 und vertritt den Grafen in der Gerichtsversammlung.
Nach der Lex Chamavorum ergehen Vorladungen in causae maiores
durch den Grafen oder seinen missus19. Der Ausdruck missi comitis
kann auch Funktionäre des Grafen in sich schliessen, welche örtlich
zu ständigen Gehilfen und Vertretern des Grafen geworden waren,
wohl auch besondere, örtlich verschiedene Amtsnamen führten, wäh-
rend die Reichs- oder Landesverfassung sie nicht als organische Glie-
der der von ihr anerkannten Beamtenhierarchie behandelte, sodass sie
offiziell nur als missi comitis bezeichnet wurden. Unter diese missi
comitis ist auch der rhätisch-alamannische Tribun oder Schultheiss zu
zählen. Ein Aufsatz des Reichenauer Abtes Walahfrid Strabo20 (+ 849)
vergleicht die missi comitis mit den Chorbischöfen, die Centenare oder
Vikare mit den Priestern der einzelnen Taufkirchen. Jene seien
für minder wichtige Angelegenheiten21 über die ganze Grafschaft oder

Jahrhunderts übersetzt centurio mit hunno, quinquagenarius mit sculdheizzo. Stein-
meyer u. Sievers, Ahd. Gl. I 274, 60; I 289, 28.
16 Ludo Hartmann, Untersuch. zur Geschichte der byzant. Verwaltung in
Italien S. 57 ff. 156. Diehl, Etudes sur l'administration Byzantine dans l'exar-
chat de Ravenne 1888, S. 112. Oben S. 122, Anm. 34.
17 Lex Salica 50, 4.
18 Dem missus comitis wird die Beweisführung gewettet, wenn nicht der
Centenar Vorsitzender ist. Lex Alam. 36, 2. Siehe oben S. 174, Anm. 7.
19 Lex Chamav. c. 43: ingenuus, si per comitem aut per missum suum ban-
nitus fuerit ... de maxima causa.
20 De exordiis, Walter C. J. G. III 527: porro sicut comites quidam missos
suos praeponunt popularibus, qui minores causas determinent, ipsis maiora reser-
vent, ita quidam episcopi chorepiscopos habent, qui in rebus sibi congruentibus,
quae iniunguntur, efficiant. Centenarii, qui et centuriones et vicarii, qui per pagos
constituti sunt, presbyteris plebeii, qui baptismales ecclesias tenent et minoribus
praesunt presbyteris, conferri queunt.
21 Dass hier nicht missi mit vorübergehenden Aufträgen, sondern ständige
Beamte gemeint sind, folgt daraus, dass sie popularibus praeponuntur, eine Wen-
dung, die auf Beamte mit streng missatischem Charakter nicht passt. 'In den
Sangaller Urkunden erscheint der missus ganz, wie sonst der vicarius oder cente-
narius.' Waitz, VG III 402, Anm. 2. In Wartmann III, S. 486, Nr. 5 v. J. 850

§ 83. Tribunus und Schultheiſs.
Der Name tribunus führt hier wohl auf den römischen Militär-
beamten dieses Titels zurück, der in diesen Gegenden vermutlich
ebenso wie nachmals in Istrien und im byzantinischen Italien mit
seiner militärischen Stellung die Civilgewalt vereinigte16.

Hilfsorgane, durch welche der Graf sich vertreten läſst, begegnen
uns schon in merowingischer Zeit unter dem Namen missi comitis.
Durch seinen missus kann der Graf der Lex Salica die Auspfändung
vornehmen lassen17. Der missus comitis der Lex Alamannorum
unterstützt18 und vertritt den Grafen in der Gerichtsversammlung.
Nach der Lex Chamavorum ergehen Vorladungen in causae maiores
durch den Grafen oder seinen missus19. Der Ausdruck missi comitis
kann auch Funktionäre des Grafen in sich schlieſsen, welche örtlich
zu ständigen Gehilfen und Vertretern des Grafen geworden waren,
wohl auch besondere, örtlich verschiedene Amtsnamen führten, wäh-
rend die Reichs- oder Landesverfassung sie nicht als organische Glie-
der der von ihr anerkannten Beamtenhierarchie behandelte, sodaſs sie
offiziell nur als missi comitis bezeichnet wurden. Unter diese missi
comitis ist auch der rhätisch-alamannische Tribun oder Schultheiſs zu
zählen. Ein Aufsatz des Reichenauer Abtes Walahfrid Strabo20 († 849)
vergleicht die missi comitis mit den Chorbischöfen, die Centenare oder
Vikare mit den Priestern der einzelnen Taufkirchen. Jene seien
für minder wichtige Angelegenheiten21 über die ganze Grafschaft oder

Jahrhunderts übersetzt centurio mit hunno, quinquagenarius mit sculdheizzo. Stein-
meyer u. Sievers, Ahd. Gl. I 274, 60; I 289, 28.
16 Ludo Hartmann, Untersuch. zur Geschichte der byzant. Verwaltung in
Italien S. 57 ff. 156. Diehl, Études sur l’administration Byzantine dans l’exar-
chat de Ravenne 1888, S. 112. Oben S. 122, Anm. 34.
17 Lex Salica 50, 4.
18 Dem missus comitis wird die Beweisführung gewettet, wenn nicht der
Centenar Vorsitzender ist. Lex Alam. 36, 2. Siehe oben S. 174, Anm. 7.
19 Lex Chamav. c. 43: ingenuus, si per comitem aut per missum suum ban-
nitus fuerit … de maxima causa.
20 De exordiis, Walter C. J. G. III 527: porro sicut comites quidam missos
suos praeponunt popularibus, qui minores causas determinent, ipsis maiora reser-
vent, ita quidam episcopi chorepiscopos habent, qui in rebus sibi congruentibus,
quae iniunguntur, efficiant. Centenarii, qui et centuriones et vicarii, qui per pagos
constituti sunt, presbyteris plebeii, qui baptismales ecclesias tenent et minoribus
praesunt presbyteris, conferri queunt.
21 Daſs hier nicht missi mit vorübergehenden Aufträgen, sondern ständige
Beamte gemeint sind, folgt daraus, daſs sie popularibus praeponuntur, eine Wen-
dung, die auf Beamte mit streng missatischem Charakter nicht paſst. ‘In den
Sangaller Urkunden erscheint der missus ganz, wie sonst der vicarius oder cente-
narius.’ Waitz, VG III 402, Anm. 2. In Wartmann III, S. 486, Nr. 5 v. J. 850
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[182/0200] § 83. Tribunus und Schultheiſs. Der Name tribunus führt hier wohl auf den römischen Militär- beamten dieses Titels zurück, der in diesen Gegenden vermutlich ebenso wie nachmals in Istrien und im byzantinischen Italien mit seiner militärischen Stellung die Civilgewalt vereinigte 16. Hilfsorgane, durch welche der Graf sich vertreten läſst, begegnen uns schon in merowingischer Zeit unter dem Namen missi comitis. Durch seinen missus kann der Graf der Lex Salica die Auspfändung vornehmen lassen 17. Der missus comitis der Lex Alamannorum unterstützt 18 und vertritt den Grafen in der Gerichtsversammlung. Nach der Lex Chamavorum ergehen Vorladungen in causae maiores durch den Grafen oder seinen missus 19. Der Ausdruck missi comitis kann auch Funktionäre des Grafen in sich schlieſsen, welche örtlich zu ständigen Gehilfen und Vertretern des Grafen geworden waren, wohl auch besondere, örtlich verschiedene Amtsnamen führten, wäh- rend die Reichs- oder Landesverfassung sie nicht als organische Glie- der der von ihr anerkannten Beamtenhierarchie behandelte, sodaſs sie offiziell nur als missi comitis bezeichnet wurden. Unter diese missi comitis ist auch der rhätisch-alamannische Tribun oder Schultheiſs zu zählen. Ein Aufsatz des Reichenauer Abtes Walahfrid Strabo 20 († 849) vergleicht die missi comitis mit den Chorbischöfen, die Centenare oder Vikare mit den Priestern der einzelnen Taufkirchen. Jene seien für minder wichtige Angelegenheiten 21 über die ganze Grafschaft oder 15 16 Ludo Hartmann, Untersuch. zur Geschichte der byzant. Verwaltung in Italien S. 57 ff. 156. Diehl, Études sur l’administration Byzantine dans l’exar- chat de Ravenne 1888, S. 112. Oben S. 122, Anm. 34. 17 Lex Salica 50, 4. 18 Dem missus comitis wird die Beweisführung gewettet, wenn nicht der Centenar Vorsitzender ist. Lex Alam. 36, 2. Siehe oben S. 174, Anm. 7. 19 Lex Chamav. c. 43: ingenuus, si per comitem aut per missum suum ban- nitus fuerit … de maxima causa. 20 De exordiis, Walter C. J. G. III 527: porro sicut comites quidam missos suos praeponunt popularibus, qui minores causas determinent, ipsis maiora reser- vent, ita quidam episcopi chorepiscopos habent, qui in rebus sibi congruentibus, quae iniunguntur, efficiant. Centenarii, qui et centuriones et vicarii, qui per pagos constituti sunt, presbyteris plebeii, qui baptismales ecclesias tenent et minoribus praesunt presbyteris, conferri queunt. 21 Daſs hier nicht missi mit vorübergehenden Aufträgen, sondern ständige Beamte gemeint sind, folgt daraus, daſs sie popularibus praeponuntur, eine Wen- dung, die auf Beamte mit streng missatischem Charakter nicht paſst. ‘In den Sangaller Urkunden erscheint der missus ganz, wie sonst der vicarius oder cente- narius.’ Waitz, VG III 402, Anm. 2. In Wartmann III, S. 486, Nr. 5 v. J. 850 15 Jahrhunderts übersetzt centurio mit hunno, quinquagenarius mit sculdheizzo. Stein- meyer u. Sievers, Ahd. Gl. I 274, 60; I 289, 28.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/200>, abgerufen am 24.11.2024.