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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 81. Die Grafen.
Versprechens nötigte den König, die Grafen aus den Grundbesitzern
des Grafschaftsgaues zu bestellen, und machte es ihm unmöglich, den
Grafen aus einer Grafschaft in die andere zu versetzen 62. Damit
wurde die Erblichkeit des Grafenamtes angebahnt, für die schon in
merowingischer Zeit sich vereinzelte Ansätze finden 63. Karl der Grosse
machte zwar sein unbeschränktes Ernennungsrecht geltend; ja, er wagte
es sogar, freigelassene Fiskalknechte als Grafen zu bestellen 64. Doch
finden wir in deutschen Stammesgebieten alten Stammesadel im Be-
sitze von Grafschaften, so in Schwaben Nachkommen des alten Her-
zogsgeschlechtes 65, und hat Karl bei Neuordnung der langobardischen
und sächsischen Verwaltung in den unterworfenen Gebieten neben
Franken auch Einheimische zu Grafen ernannt 66. Unter Ludwig I.
und seinen Nachfolgern wurde durch die Schwäche des Königtums
der Weg zur Erblichkeit der Grafschaft wieder frei 67. Die Verleihung
geschah nach lehnrechtlichen Grundsätzen, sodass das Amt für Lebens-
zeit des Empfängers und Verleihers übertragen wurde. Doch hat man
bei Thronwechsel das Amt dem Inhaber regelmässig belassen und ging
es ausserdem häufig vom Vater auf den Sohn, manchmal auch auf Seiten-
verwandte und Schwiegersöhne über. In Westfrancien, welches hierin
dem ostfränkischen Reiche 68 vorauseilte, setzte sich noch unter Karl
dem Kahlen eine thatsächliche Vererbung der Grafschaft auf den Sohn

62 In den Jahren 673--675 lassen sich die fränkischen Grossen von Childe-
rich II das Versprechen geben: ne de una provincia rectores in aliam introirent.
Vita Leodegarii c. 4, Mabillon, Acta saec. II 682. Sohm a. O. S. 22, Anm. 42.
63 Beispiele bei Waitz, VG II 2, S. 38, Anm. 1.
64 Adrevaldi Floriac. Mir. S. Benedicti c. 18, MG SS XV 1, S. 486.
65 Baumann, Die Gaugrafschaften im würtembergischen Schwaben S. 5.
Waitz, VG III 387.
66 Ein italienisches Capitular Pippins von 782--786, Cap. I 192, c. 7, unter-
scheidet comites Francisci und Langobardisci. Von den Sachsen bedachte Karl
der Grosse die Vornehmsten mit Grafenämtern, um den sächsischen Adel in sein
Interesse zu ziehen. Ann. Lauresham. z. J. 782.
67 Das Vorstadium der Erblichkeit, in welchem sich die bairischen Graf-
schaften kurz vor dem Tode Karls des Grossen befanden, veranschaulicht uns die
Urkunde Meichelbeck, Hist. Frising. Nr. 299, v. J. 814: Graf Orendil vergabt
ein Gut auf den Todesfall der Kirche von Freising mit dem Vorbehalt: si autem
aliquis de filiis meis dignus fuerit, ut ad ministerium comitis pervenerit, hoc volo
.., ut iam dictam rem cum consilio episcopi in beneficium accipiat. Die Nachfolge
eines Sohnes in das Grafenamt wird in Aussicht genommen, aber ein Erbrecht
durchaus nicht vorausgesetzt.
68 Hier schalten noch die letzten Karolinger über die Grafschaften ohne Rück-
sicht auf Erblichkeit. Vgl. Waitz, VG VII 10. Karlmann, der Sohn Ludwigs
des Deutschen, setzt 861 plötzlich sämtliche Grenzgrafen der östlichen Marken ab,
um seine Anhänger zu erheben. Dümmler, Gesch. des ostfränk. Reiches II 23.

§ 81. Die Grafen.
Versprechens nötigte den König, die Grafen aus den Grundbesitzern
des Grafschaftsgaues zu bestellen, und machte es ihm unmöglich, den
Grafen aus einer Grafschaft in die andere zu versetzen 62. Damit
wurde die Erblichkeit des Grafenamtes angebahnt, für die schon in
merowingischer Zeit sich vereinzelte Ansätze finden 63. Karl der Groſse
machte zwar sein unbeschränktes Ernennungsrecht geltend; ja, er wagte
es sogar, freigelassene Fiskalknechte als Grafen zu bestellen 64. Doch
finden wir in deutschen Stammesgebieten alten Stammesadel im Be-
sitze von Grafschaften, so in Schwaben Nachkommen des alten Her-
zogsgeschlechtes 65, und hat Karl bei Neuordnung der langobardischen
und sächsischen Verwaltung in den unterworfenen Gebieten neben
Franken auch Einheimische zu Grafen ernannt 66. Unter Ludwig I.
und seinen Nachfolgern wurde durch die Schwäche des Königtums
der Weg zur Erblichkeit der Grafschaft wieder frei 67. Die Verleihung
geschah nach lehnrechtlichen Grundsätzen, sodaſs das Amt für Lebens-
zeit des Empfängers und Verleihers übertragen wurde. Doch hat man
bei Thronwechsel das Amt dem Inhaber regelmäſsig belassen und ging
es auſserdem häufig vom Vater auf den Sohn, manchmal auch auf Seiten-
verwandte und Schwiegersöhne über. In Westfrancien, welches hierin
dem ostfränkischen Reiche 68 vorauseilte, setzte sich noch unter Karl
dem Kahlen eine thatsächliche Vererbung der Grafschaft auf den Sohn

62 In den Jahren 673—675 lassen sich die fränkischen Groſsen von Childe-
rich II das Versprechen geben: ne de una provincia rectores in aliam introirent.
Vita Leodegarii c. 4, Mabillon, Acta saec. II 682. Sohm a. O. S. 22, Anm. 42.
63 Beispiele bei Waitz, VG II 2, S. 38, Anm. 1.
64 Adrevaldi Floriac. Mir. S. Benedicti c. 18, MG SS XV 1, S. 486.
65 Baumann, Die Gaugrafschaften im würtembergischen Schwaben S. 5.
Waitz, VG III 387.
66 Ein italienisches Capitular Pippins von 782—786, Cap. I 192, c. 7, unter-
scheidet comites Francisci und Langobardisci. Von den Sachsen bedachte Karl
der Groſse die Vornehmsten mit Grafenämtern, um den sächsischen Adel in sein
Interesse zu ziehen. Ann. Lauresham. z. J. 782.
67 Das Vorstadium der Erblichkeit, in welchem sich die bairischen Graf-
schaften kurz vor dem Tode Karls des Groſsen befanden, veranschaulicht uns die
Urkunde Meichelbeck, Hist. Frising. Nr. 299, v. J. 814: Graf Orendil vergabt
ein Gut auf den Todesfall der Kirche von Freising mit dem Vorbehalt: si autem
aliquis de filiis meis dignus fuerit, ut ad ministerium comitis pervenerit, hoc volo
.., ut iam dictam rem cum consilio episcopi in beneficium accipiat. Die Nachfolge
eines Sohnes in das Grafenamt wird in Aussicht genommen, aber ein Erbrecht
durchaus nicht vorausgesetzt.
68 Hier schalten noch die letzten Karolinger über die Grafschaften ohne Rück-
sicht auf Erblichkeit. Vgl. Waitz, VG VII 10. Karlmann, der Sohn Ludwigs
des Deutschen, setzt 861 plötzlich sämtliche Grenzgrafen der östlichen Marken ab,
um seine Anhänger zu erheben. Dümmler, Gesch. des ostfränk. Reiches II 23.
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[170/0188] § 81. Die Grafen. Versprechens nötigte den König, die Grafen aus den Grundbesitzern des Grafschaftsgaues zu bestellen, und machte es ihm unmöglich, den Grafen aus einer Grafschaft in die andere zu versetzen 62. Damit wurde die Erblichkeit des Grafenamtes angebahnt, für die schon in merowingischer Zeit sich vereinzelte Ansätze finden 63. Karl der Groſse machte zwar sein unbeschränktes Ernennungsrecht geltend; ja, er wagte es sogar, freigelassene Fiskalknechte als Grafen zu bestellen 64. Doch finden wir in deutschen Stammesgebieten alten Stammesadel im Be- sitze von Grafschaften, so in Schwaben Nachkommen des alten Her- zogsgeschlechtes 65, und hat Karl bei Neuordnung der langobardischen und sächsischen Verwaltung in den unterworfenen Gebieten neben Franken auch Einheimische zu Grafen ernannt 66. Unter Ludwig I. und seinen Nachfolgern wurde durch die Schwäche des Königtums der Weg zur Erblichkeit der Grafschaft wieder frei 67. Die Verleihung geschah nach lehnrechtlichen Grundsätzen, sodaſs das Amt für Lebens- zeit des Empfängers und Verleihers übertragen wurde. Doch hat man bei Thronwechsel das Amt dem Inhaber regelmäſsig belassen und ging es auſserdem häufig vom Vater auf den Sohn, manchmal auch auf Seiten- verwandte und Schwiegersöhne über. In Westfrancien, welches hierin dem ostfränkischen Reiche 68 vorauseilte, setzte sich noch unter Karl dem Kahlen eine thatsächliche Vererbung der Grafschaft auf den Sohn 62 In den Jahren 673—675 lassen sich die fränkischen Groſsen von Childe- rich II das Versprechen geben: ne de una provincia rectores in aliam introirent. Vita Leodegarii c. 4, Mabillon, Acta saec. II 682. Sohm a. O. S. 22, Anm. 42. 63 Beispiele bei Waitz, VG II 2, S. 38, Anm. 1. 64 Adrevaldi Floriac. Mir. S. Benedicti c. 18, MG SS XV 1, S. 486. 65 Baumann, Die Gaugrafschaften im würtembergischen Schwaben S. 5. Waitz, VG III 387. 66 Ein italienisches Capitular Pippins von 782—786, Cap. I 192, c. 7, unter- scheidet comites Francisci und Langobardisci. Von den Sachsen bedachte Karl der Groſse die Vornehmsten mit Grafenämtern, um den sächsischen Adel in sein Interesse zu ziehen. Ann. Lauresham. z. J. 782. 67 Das Vorstadium der Erblichkeit, in welchem sich die bairischen Graf- schaften kurz vor dem Tode Karls des Groſsen befanden, veranschaulicht uns die Urkunde Meichelbeck, Hist. Frising. Nr. 299, v. J. 814: Graf Orendil vergabt ein Gut auf den Todesfall der Kirche von Freising mit dem Vorbehalt: si autem aliquis de filiis meis dignus fuerit, ut ad ministerium comitis pervenerit, hoc volo .., ut iam dictam rem cum consilio episcopi in beneficium accipiat. Die Nachfolge eines Sohnes in das Grafenamt wird in Aussicht genommen, aber ein Erbrecht durchaus nicht vorausgesetzt. 68 Hier schalten noch die letzten Karolinger über die Grafschaften ohne Rück- sicht auf Erblichkeit. Vgl. Waitz, VG VII 10. Karlmann, der Sohn Ludwigs des Deutschen, setzt 861 plötzlich sämtliche Grenzgrafen der östlichen Marken ab, um seine Anhänger zu erheben. Dümmler, Gesch. des ostfränk. Reiches II 23.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/188>, abgerufen am 22.11.2024.